Süddeutsche Zeitung

Premiere in Ebersberg:Es lebe der Stream: Altes Kino meistert Konzert vor leerem Saal

Dem Alten Kino Ebersberg und der Band "Austria4+" gelingt in der Viruskrise ein Experiment: Das Publikum ist online zugeschaltet.

Von Anja Blum

Gerade mal einen Stammgast hat das Alte Kino momentan. Und der ist nicht einmal aus Fleisch und Blut, sondern eine mannsgroße Puppe, ein schneidiger Typ im bunt gemusterten Anzug. Später wird Hausherr Markus Bachmeier mit ihm tanzen, zu "I'm from Austria", und am Ende verliert "der Zuschauer" sogar noch seinen Kopf. Abgesehen von diesem Malheur aber muss man festhalten: Dieses Experiment ist absolut gelungen! Das Ebersberger Alte Kino hat seinen ersten Livestream erfolgreich über die Bühne gebracht. "Ich bin überglücklich", seufzt Bachmeier, als die Kameras abgeschaltet sind.

Das Kulturteam der Kreisstadt will seine Gäste nicht länger mit Verschiebungen vertrösten und darüberhinaus Künstler unterstützen - mit einem Onlineangebot, das es im Gegensatz zu vielen anderen nicht kostenlos gibt. Deshalb hat man begonnen, Bezahlveranstaltungen zu streamen, die Premiere ist ein Konzert von Austria4+. Geplant war eigentlich ein Abend mit Stefan Leonhardsberger und Martin Schmid, die unter dem Titel "Da Billi Jean is ned mei Bua" mit österreichischen Versionen von Welthits begeistern. "Aber ein Musikkabarett ohne Lacher? Das geht gar nicht", sagt Leonhardsberger. Also plante er um und lud auch noch die restlichen Kollegen seiner Band Austria4+ ins Alte Kino ein. Sitzt man zu fünft auf der Bühne, lässt sich die Leere im Saal besser kompensieren - so die Hoffnung.

Das Setting an diesem Dienstagabend ist skurril: Da gibt eine Band ihr Bestes, doch außer vom Team des Alten Kinos gibt es keinen Applaus. Anstatt von Zuschauern bevölkern Kameras, Mikrofone, Kabel und Bildschirme den Saal. Kontakt zum Publikum gibt es nur virtuell: Verbunden mit dem Livestream ist auch eine Chatfunktion, über die die Gäste das Geschehen kommentieren können. Und das tun sie auch rege, es hagelt Komplimente, sowohl für die Band, als auch für das Alte Kino. Vor der Bühne ist ein großer Monitor aufgestellt, über den die Musiker den Chat verfolgen können. Ansonsten müssen sie sich auf ihr Gefühl verlassen: "Wir spüren, ihr wollt eine Zugabe!"

Dass der Abend gelingt, liegt einerseits an der Professionalität des Alten Kinos, aber auch an der Band selbst. "Wir fühlen uns wie Hunde, die aus dem Zwinger ausgebrochen sind": Nach wochenlanger Abstinenz strömt ihnen die Wiedersehens- und Spielfreude aus jeder Pore, die Energie scheint grenzenlos. Austria4+, das sind drei österreichische Schauspieler - Stefan Leonhardsberger, Richard Putzinger und Peter Reisser - die 2011 im Ingolstädter Exil ihre Leidenschaft entdeckt haben: den Austro-Pop. Seitdem beglücken sie das Publikum mit Liedern von Fendrich, Danzer, STS, Ambros und Co, von Gassenhauern bis hin zu selten gehörten Nummern. Unterstützt werden sie dabei von Martin Schmid aus Augsburg, musikalischer Kopf der Truppe, und dem Percussionisten Stefan Pellmaier aus Freising.

Harte Schale, weicher Kern: Diese fünf haben den Genreton absolut drauf. Mit diversen Gitarren, Bass, Ziach, Cajón und mehrstimmigem Gesang lassen sie den Austro-Pop lebendig werden, loten die Höhen und Tiefen der Liebe und des Lebens aus, mal lässig, dann wieder gefühlvoll, mal tieftraurig, dann wieder derb. Reisser jodelt wia a Engerl zur Quetsche, Leonhardsberger steigert sich bei "Purpur Regn", einem Ausflug in sein Musikkabarett, bis zur Ekstase.

Aber das Beste ist: Diese Bühnentiere haben Spaß an ihrem Tun - trotz des leeren Parketts. Sie musizieren voller Lust, trinken Grünen Veltliner, erzählen Geschichten und lachen viel mit- und übereinander. Putzinger wird als Kärtner verunglimpft, der bärtige Reisser als "Weihnachtsmann". Zwar reüssiert die ein oder andere Moderation unter der Gürtellinie - doch dem Publikum gefällt's. Sonja etwa haut vor Begeisterung auf die Schenkel ihres Mannes. "Ist das schon häusliche Gewalt?", fragt der im Chat.

Knapp hundert Zugangslinks hat das Alte Kino verschickt, und praktisch alle Zuschauer bleiben bis zum Ende online. Das spricht für sich. "Wir freuen uns, dass wir hier Pionierarbeit leisten dürfen", sagt Leonhardsberger, "wir wollen zeigen, dass sich der Aufwand lohnt." Klar seien Künstler "auf Applaus programmiert" und Geisterkonzerte kein Ersatz für solche mit Publikum. "Aber immerhin ist es live!"

Außerdem tut das Alte Kino alles, um seine Zuschauer daheim zu erfreuen. Es gibt einen kulinarischen Lieferservice sowie ein hauseigenes Vorprogramm: Violetta Ditterich und Marilena Bachmeier laden über den Chat zu einem Quiz, das für große Erheiterung sorgt. Dass das Team dabei anfangs mit diversen technischen Schwierigkeiten kämpft: geschenkt! So muss das schließlich sein, bei einer Livepremiere.

Am Ende gibt es einen Abschied mit einem "Herz wia a Bergwerk" für alle alten und neuen Fans der Band. Und zu guter Letzt ein großes "Prost aufs Streaming!" Jedenfalls im Alten Kino. Aber daheim vor den Bildschirmen vermutlich auch.

Den nächsten Livestream aus dem Alten Kino gibt es am Samstag, 9. Mai, mit Constanze Lindner: www.kultur-in-ebersberg.de

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4899279
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.05.2020/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.