Kultur im Landkreis:Schützenfest der absurden Logik

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Komödie, Satire, Groteske, Boulevard, Impro - Genre-Schubladen scheint es bei "Ratatata!" mit Constanze Lindner, Alexander Liegl und Michael Altinger (von links) nicht zu geben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Kabarett-Theater "Ratatata!" im Alten Kino mit Constanze Lindner, Alexander Liegl und Michael Altinger erweckt nicht nur Bonnie und Clyde zum Leben - sondern hebt das Genre Komödie auf ein neues Niveau.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Die Geschichte hinter "Ratatata!" bietet reichlich Stoff für Irrungen, Wirrungen und allzu menschliche Konflikte: Das Gangsterpärchen Bonnie und Clyde lebt. Der Tod im Kugelhagel war nur vorgetäuscht, um sich wachsendem Verfolgungsdruck zu entziehen. Allerdings wächst die Geldnot: Aus dem Home Office heraus versuchen sie mit Telefonbetrügereien an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen, scheitern aber kläglich. Der rote Briefkasten an der Interstate 40 füllt sich nicht mit Dollarbündeln. Dafür geben sich jetzt allerlei Besucher, die Unruhe ins Leben bringen, die Tür ihrer Wohnung in die Hand: ein dröger Niedermieter, eine dralle Gymnastikerin, ein salbungsvoller Reverend, geiergleiche Geldeintreiber der Bank und ein überraschend serviceorientierter Paketbote. Jede Figur für sich eine Bereicherung des Alltags, in geballter Häufung indes explosiver als eine Silvesternacht.

Zumal das Trio an der Zündschnur einschlägig vorbelastet ist: Wenn Constanze Lindner, Michael Altinger und Alexander Liegl miteinander eine Bühne betreten, verbreiten sie auf Anhieb jene unwiderstehliche Mischung aus Absurditäten, Wortwitz und Unschuldsvermutung, der sich kein Publikum der Welt entziehen kann - nicht einmal das im Komödien-gestählten Alten Kino in Ebersberg. Keine Frage: Das kleine Ensemble hatte hier am Samstagabend ein Heimspiel. Aber auch keine Frage: Applaus bekommt man hier nicht geschenkt. Gemessen an den tobenden Ovationen am Ende des Auftritts, so viel vorweg, haben die drei einen neuen Maßstab gesetzt, was den Vergnügungsgehalt im Kleinkunstmilieu angeht.

Das Stück lebt von Kostüm- und Rollenwechsel, insgesamt 17 Rollen gibt es

Drei Personen in 17 Rollen, ein ganzes Knäuel roter Fäden, die sich durch zwei Akte mit unzähligen Klein- und Kurzszenen spulen: Die Geschwindigkeit dieses Stückes ist überwältigend. Die eine der drei Bühnentüren ist noch nicht ins Schloss gefallen, als durch eine andere schon der nächste Wahnwitz hereinbrettert: Aber durch welche Tür? Und welcher Wahnwitz nun wieder? Bei einem Adventskalender sind die Überraschungen absehbar und endlich. Bei "Ratatata!" prasseln sie im Kugelhagel der Gags und Hirntratzerl im Schnellfeuer heraus - und stets bleibt noch eine weitere Kugel im Lauf, um der nächsten Bühnenfigur Gelegenheit zum Nachlegen zu geben. So hurtig wie an diesem Abend haben vermutlich noch nie Kostüm- und Rollenwechsel stattgefunden, so geschwind haben sich Überleitungen aus einer Szene in die andere von der Albernheit zur Genialität verdichtet. Wie die drei auf der Bühne es schaffen, in diesem Schleudergang der Emotionen ihre Professionalität zu wahren und nicht selbst in Lachkrämpfe zu verfallen: ein Rätsel.

Ein Auftritt, wie ihn Lindner, Altinger und Liegl hinlegen, sprengt daher alle Genre-Schubladen. Komödie, Satire, Groteske, Boulevard, Impro - alles drin, aber keines davon singulär. Das Trio durchbricht mit einem Schützenfest an Ideen mögliche Kategorien mit so viel Lockerheit und Souveränität, wie sie nur eine Laufbahn im höheren Rampensau-Dienst reifen und gedeihen lässt. Mit der geistreichen Arbeit von Gabi Rothmüller in der Regie und einem überzeugenden Team hinter den Kulissen haben sie alle Freiheit dazu.

Die Rollen und Kostüme sind so unterschiedlich, dass die Kabarettisten darunter kaum zu erkennen sind: Mal steckt darunter Alexander Liegl ... (Foto: Peter Hinz-Rosin)
... ein anderes Mal ist es Michael Altinger ... (Foto: Peter Hinz-Rosin)
... oder Constanze Lindner. Jeder der drei spielt mehrere Rollen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Betrachten wir die Figur von Tante Lulu Paddingston. Keine fünf Minuten ist sie im Spiel, setzt aber mit blau leuchtenden Haaren und einem Früchtekuchen ohne Verfallsdatum Pointen, die andernorts ganze Stücke tragen könnten. Constanze Lindner brennt hier ein Fraktal ins Geschehen, das bei jedem ihrer folgenden Auftritte wieder anklingt. Hank, der Etagenkellner im Hotel Golden Cleopatra zu Las Vegas, wiederum: Der ist eben nicht nur Quelle für spitzzüngige Anspielungen, sondern dient Alexander Liegl als Plattform für sein Markenzeichen, die aberwitzigen Ballett-Miniaturen, gegen die jeder eingesprungene Toeloop verblasst. Als dreifacher Klon von comichaft überzeichneten Bankbeamten gelingt dann wieder Michael Altinger schier Übermenschliches: drei Mal den gleichen Typen auszuleben, nicht unterscheidbar außer im Namen, um Sekunden nach deren Abgang nonchalant als Oma Gwendolyn oder von Miss Mobarsky zum hormonellen Ausgleich nebenbeschäftigter Paketbote neue Haltung, neues Gesicht und neuen Charakter zu zeigen. Dass das Trio zwischendrin dann auch noch eine veritable Imitation eines hyperaktiven Gospel-Chors samt "Praise the Lord" aufs Parkett legt oder sich als güldene Showtanztruppe verausgabt, fällt unter die Kategorie "Kunst am Bau".

Was die gut zwei Stunden im Alten Kino neben der überwältigenden Präsenz der Darsteller auszeichnet, ist die Liebe zum Detail, die Präzision in vermeintlichen Nebensächlichkeiten. Der staunende Ausruf "Holy Moly", das filmreife Zimmertelefon mit Wählscheibe im Standfuß, das loriotesk eingeflochtene "Ach!", das Kokettieren mit dem angespielten Publikum als "Wand", das Scheitern letzter Ölungen an der Umstellung auf Pellets und die ewiggültigen Lebensweisheiten wie "Streit ist ein wichtiges Würzgemüse im Eintopf des Zusammenlebens": Jede dieser Miniaturen für sich, aber vor allem ihre schillernde Vielfalt machen wünschen, dass Bonnie, Clyde und den Ihren eine himmlische Zukunft blüht. Komödien dieser Art haben es verdient, unsterblich zu sein.

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