Corona-Kultur in Ebersberg:Alles andere als normal

In seinem Online-Jahresrückblick demonstriert das Alte Kino eindrücklich, wie 2020 der Pandemie unermüdlich und gekonnt die Stirn geboten wurde.

Von Michaela Pelz, Ebersber

Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich immer wieder neu erfindet. Und wesentliches Merkmal eines lebendigen Kulturbetriebs ist die Grundhaltung, sich niemals unterkriegen zu lassen.

Dass beides auf das Alte Kino in besonderem Maße zutrifft, hat das Team rund um Markus Bachmeier seit Beginn der Pandemie erfolgreich bewiesen. Zur Erinnerung gibt es nun einen moderierten Blick auf das zurückliegende Veranstaltungsjahr. Und weil sich dann doch trotz allem eine ganze Menge abgespielt hat, seit Frauke Menger an Silvester 2019 im Klosterbauhof mit ihren Sandmalereien verblüffte, ist es ein Zweiteiler geworden, dessen erste Hälfte an diesem Freitag als kostenfreier Livestream online geht. Der Mix aus Einspielern und Gesprächen, bereichert durch Jeremy Teigans Gitarrenspiel, wird charmant moderiert von Markus Bachmeier und Violetta Ditterich. Die Entdeckung der vielfältigen Talente der jungen Frau mit den wilden Locken gehört sicherlich zu den positiven Auswirkungen der Krise. Ebenso wie die "coronabedingte" Aufrüstung der Technik. So kommt nicht nur das qualitativ hochwertige Videomaterial dieses Abends zustande, sondern auch eine Entwicklung, von der noch zu sprechen sein wird.

Corona-Kultur in Ebersberg: Erst dachte man, man müsse nur drei Monate lang improvisieren: Violetta Ditterich und Markus Bachmeier erinnern sich an den Beginn der Pandemie.

Erst dachte man, man müsse nur drei Monate lang improvisieren: Violetta Ditterich und Markus Bachmeier erinnern sich an den Beginn der Pandemie.

(Foto: Christian Endt)

Zunächst aber sorgen die wackligen Handy-Auftrittsvideos vom Frühjahr 2020 für nostalgische Gefühle. Man erinnert sich an Christine Prayon, zum ersten Mal im Alten Kino, vor begeistertem vollen Haus. Oder an die Vorpremiere von Alfons - "schon die dritte"-, was Markus Bachmeier "froh und etwas stolz" macht, lebt doch der Kabarettist und Kultreporter eigentlich in Hamburg. Solche Insidergeschichten liefern jenen Blick hinter die Kulissen, die den Rückblick über einen schnöden Zusammenschnitt einzelner Acts hinaushebt. Auch Persönliches kommt zur Sprache. Der Chef des Alten Kinos verrät, welche Daten sich ihm unauslöschlich eingebrannt haben: Die Eröffnung des Alten Kinos (2.10.1992), sein Hochzeitstag ("den verrate ich nicht"), der 11.9.2001 und nun zusätzlich der 12.3.2020. Da nämlich findet mit dem Konzert von LBT (Leo Betzl Trio) die letzte reguläre Veranstaltung statt. Danach: Krisentreffen mit dem Bürgermeister, freiwillige Schließung der Spielstätten, Verschiebung aller Termine. "Von März in den Mai - man dachte ja, innerhalb von drei Monaten sei alles vorbei", sagt Ditterich. Alles kommt anders, man muss Kurzarbeit anmelden. Doch nach der ersten Schockstarre ist klar: Wenn die Zuschauer nicht zu uns kommen, gehen wir zu ihnen! "Online" heißt das Zauberwort. Doch das bedeutet auch Investitionen in besseres Equipment, Rechteklärung, Wühlen im Archiv.

Altes Kino Livestream Konzert

Erinnert wird in der Rückschau zum Beispiel an den ungewöhnlichen Auftritt der "Austria 4+".

(Foto: Privat)

Die Woche wird durchstrukturiert: auf den Kurzfilm-Mittwoch folgt donnerstags "Altes Zeug" von Valtorta und bevor am Samstag vorproduziertes Material gezeigt wird oder DJ Matu im leeren Saal "richtig Gas gibt", setzt sich freitags Hans Klaffl für sein anspruchsvolles Musikquiz an den Flügel. Zehn Folgen lang. "Er war so für uns da!", beschreibt Bachmeier das Engagement des Künstlers, das sich auch später im Jahr fortsetzen soll bis hin zu einem Auftritt im Alten Speicher, dessen komplette Einnahmen er dem Alten Kino spendet.

Corona-Kultur in Ebersberg: Jeremy Teigan trägt beim Jahresrückblick den musikalischen Teil bei.

Jeremy Teigan trägt beim Jahresrückblick den musikalischen Teil bei.

(Foto: Christian Endt)

Von solchen Veranstaltungen ist man allerdings noch weit entfernt, als im Mai die Idee entsteht, das bis auf das Team verwaiste Alte Kino zu bespielen und die jeweilige Show per Livestream zu übertragen. Fürs Einlass-Feeling sorgt ein Vorprogramm mit Pubquiz. Moderation: Marilena Bachmeier und Violetta Ditterich. Letztere, bis dahin Teamassistentin, erweitert so schlagartig und nachhaltig ihr Aufgabengebiet: Öffentliches Auftreten und die Interaktion mit dem Publikum, live und per Chat, liegen der grundsympathischen und naturfröhlichen Endzwanzigerin offenbar im Blut. Und mit ihrer spürbaren Begeisterung ist sie nicht allein - diese zeichnet das komplette Team aus. Dem es an weiteren Ideen nicht mangelt - wie etwa dem vorbestellbaren Menü zur Show. Höchst beeindruckend, wie Babsi Lux erst mit dem "Alte-Kino-Mobil" das Essen ausliefert, bevor sie schnell zurückstrampelt, um rechtzeitig die Kamera übernehmen zu können. Klar, dass diese Haltung auch die Künstler anspornt, die trotz der schwierigen Bedingungen erfolgreich für Stimmung sorgen. Als erstes überzeugen in einem mitreißenden Konzert Austria 4+, gefolgt von Multitalent Constanze Lindner, die extra ihr Programm umschreibt und wirklich alles gibt. Wie auch die zwerchfellerschütternde Band Gankino Circus, samt Bouzuki-Sound-by-Bohrmaschine zugeschaltet aus einem Dietenhofener Wirtshaus.

Doch das Alte Kino begnügt sich nicht mit Fremdprogramm: Ein Kreativ-Workshop mit Alex Liegl und Gabi Rothmüller mündet im Plan, die nun vorhandene Profi-Filmausrüstung unter anderem für die Produktion einer Serie zu nutzen. Gesagt, getan. In den Hauptrollen als "Heizer": Liegl selbst und Peter Voith (der Architekt ist als Ex-Valtorta- und Vorstandsmitglied nach wie vor immer wieder auf der Bühne des Alten Kinos aktiv). Später soll die auf sieben Folgen angelegte erste Staffel auch auf der momentan entstehenden Plattform "altes kino TV" abrufbar sein.

Was dank des neuen Equipments noch so entsteht, davon wird sicher im zweiten Teil des Rückblicks die Rede sein, der mit dem Kulturfeuer beginnt - am 12. Februar ist es so weit. Geht man nach den begeisterten Chat-Rückmeldungen, ist gut möglich, dass dann die Zahl der diesmal rund 160 angemeldeten Endgeräte sogar noch höher ausfallen wird. Denn echte Alte-Kino-Fans lassen sich wie die Macher durch nichts beirren - schon gar nicht durch Übertragungsprobleme, wie es sie an diesem Abend leider immer wieder gibt.

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