Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:Alle warten auf Bauland

Der Landkreis braucht dringend mehr bezahlbaren Wohnraum. Geld und Bauträger stehen bereit. Aber die Gemeinden zögern mit Grundstücken.

Von Christian Endt, Ebersberg

Mehr als 1000 Asylbewerber leben derzeit im Landkreis Ebersberg. Geht man davon aus, dass knapp die Hälfte irgendeine Form der Anerkennung bekommt, können in den kommenden Jahren Hunderte Flüchtlinge raus aus den Turnhallen und in eine Wohnung ziehen.

Dabei ist der Wohnungsmarkt im Landkreis schon jetzt mehr als angespannt. Viele der Flüchtlinge werden zumindest in den ersten Jahren keine Großverdiener sein; sie werden günstigen Wohnraum brauchen. Da ist der Mangel noch größer als auf dem freien Markt.

957 Sozialwohnungen im weiteren Sinne gibt es im Landkreis. Es wird unterschieden zwischen Sozialwohnungen des ersten und dritten Förderwegs einerseits und neueren EOF-Wohnungen andererseits.

Bei ersteren darf das Einkommen der Mieter bestimmte Obergrenzen nicht überschreiten, beim ersten Förderweg sind das beispielsweise 30 000 Euro pro Jahr für einen Vier-Personen-Haushalt. Bei der einkommensorientierten Förderung (EOF) bekommen die Mieter je nach Einkommen bis drei Euro pro Quadratmeter Mietzuschuss. Außerdem bekommt der Bauträger einen Zuschuss zu den Baukosten.

Die Mitarbeiter im Landratsamt führen eine Liste mit Interessenten für Sozialwohnungen. Das sind nicht nur Sozialhilfeempfänger, auch Geringverdiener und Alleinerziehende. Auf der Liste standen Ende August 681 Haushalte. Entsprechend lange ist die Wartezeit. Flüchtlinge stehen bisher keine auf der Liste, die werden in den kommenden Monaten wohl noch dazukommen.

Daher ist unbestritten: Die Gemeinden im Landkreis Ebersberg brauchen viel mehr bezahlbaren Wohnraum. Die hohe Zahl der Asylbewerber sorgt lediglich für zusätzliche Dramatik. Eine Analyse in Auftrag der IG Bau gibt für den Landkreis Ebersberg dieses Jahr einen Bedarf von 1 530 Wohnungen an. Vor allem würden Sozialwohnungen fehlen.

Größter Eigentümer von Sozialwohnungen ist die Wohnungsbaugenossenschaft Ebersberg (GWG). Ihr gehören 602 Wohnungen im Landkreis. Über die Hälfte unterliegt einer Sozialbindung, wobei die GWG auch ihre ungebundenen Wohnungen zu den vergünstigten Konditionen vermietet.

Das sind vor allem Wohnungen, deren Sozialbindung inzwischen ausgelaufen ist. Die GWG führt auch eine eigene Vormerkliste, auf der aktuell etwa 70 Interessenten für günstigen Wohnraum stehen. Geschäftsführer Ulrich Krapf sagt, sie seien bereit zu bauen: "Wir hoffen, dass die Gemeinden auf uns zukommen."

Auf politischer Ebene haben alle Parteien die Bedeutung des Themas erkannt. Unterschiedliche Vorstellungen gibt es lediglich, was Ausgestaltung und Geschwindigkeit anbelangt. Landrat Robert Niedergesäß (CSU) hatte im vergangenen Jahr "1000 Wohnungen in zehn Jahren" als Ziel ausgegeben. Inzwischen sagt Niedergesäß: "Es braucht sicher mehr!"

Trotzdem sei das ein guter Ansatz. Die GWG könne die Hälfte übernehmen, indem sie 50 Wohnungen pro Jahr baut, für die andere Hälfte setzt der Landrat auf andere Wohnungsbaugenossenschaften und private Investoren. "Die Finanzierung ist derzeit nicht das größte Problem", so Niedergesäß. Vielmehr komme es jetzt auf die Gemeinden an: Nur die könnten Baurecht schaffen und so Grundstücke bereit stellen. Er appelliert an die Gemeinden, "passend zu ihrer Größe" Flächen einzubringen.

Auch Waltraud Gruber, Fraktionssprecherin der Grünen im Kreistag, fordert, das Ziel von 1000 Wohnungen "erheblich nach oben" zu korrigieren. Zugleich müsse "sehr sparsam" mit Flächen umgegangen werden. Gruber schlägt vor, dass die Kommunen in den Bebauungsplänen künftig häufiger drei- statt zweigeschossige Wohnbauten ausweisen. Man müsse darauf achten, dass günstiger Wohnraum "in eine Siedlungsstruktur" eingefügt sei, damit "keine sozialen Brennpunkte" entstünden.

Die drastischste Forderung kommt von der FDP. Kreisvorsitzender Alexander Müller sagt: "Wir brauchen 500 bis 1000 Wohnungen jährlich." Umsetzbar ist das aus seiner Sicht so: Die Kommunen schaffen billiges Bauland, private Investoren bauen darauf dank steuerlicher Anreize des Bundes. "Der Landkreis kann das nicht stemmen", so Müller. Er schlägt standardisierte, drei- bis viergeschossige Mietwohnungsbauten in den S-Bahn-Gemeinden vor.

Auch SPD-Kreisrat Ernst Böhm rechnet mit 1000 Wohnungen pro Jahr. Zusätzlich schlägt er ein Sofortprogramm vor: Dabei stellt jede Gemeinde einen Parkplatz als Baugrund zur Verfügung, die großen Gemeinden zwei Parkplätze. Bei 21 Gemeinden kommt Böhm so auf 25 Grundstücke für je zwölf Wohnungen. Da die Gemeinden auf ihre Stellflächen nicht einfach so verzichten können, will Böhm die Wohnungen auf Stelzen errichten.

Darunter könnten weiterhin Autos geparkt werden, nur zwei bis drei Plätze würden jeweils wegfallen. Böhm, der als Unternehmer seit vielen Jahren in der Wohnungswirtschaft tätig ist, schätzt die Bauzeit für solche Projekte auf sechs bis acht Monate: "Wenn wir im Januar beginnen, können im Oktober die Mieter einziehen." Egal, wen man fragt: Alle warten auf die Gemeinden. Ohne Baugrund keine Wohnungen.

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SZ vom 17.11.2015
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