Süddeutsche Zeitung

Bahnstrecke Wasserburg - Ebersberg:30 Jahre nach dem Dammrutsch: Bürger wollen kaputte Gleise zurück

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1987 wurde die direkte Zugverbindung zwischen Ebersberg und Wasserburg zerstört. Die Initiative Pro Bahn kämpft seither für die Wiederherstellung der Gleise - bislang allerdings erfolglos.

Von Victor Sattler, Wasserburg

- "30 Jahre Blockade beenden - Altstadtbahn jetzt!" steht über den moosbewachsenen Gleisen in großen Buchstaben auf einem Banner. Mit diesem fordert die Initiative Pro Bahn zum Jahrestag des Dammrutsches erneut die Reaktivierung der Strecke Ebersberg - Wasserburg. Am 2. März 1987 wurden die Gleise nach sintflutartigen Regenfällen derart verschüttet und unterspült, dass die Strecke seitdem nicht mehr befahren werden kann. Der Filzenexpress endet in Reitmehring, weiter geht es in die Stadt per Bus. Ein Umstand, der Ebersberger Berufspendler genauso nervt wie Fachoberschüler aus dem Landkreis. Aber auch in Wasserburg ist man nicht glücklich.

"Wasserburg hätte für Münchner Touristen so viel zu bieten, mit diesem Traumblick über den Inn. Diese Reisestrecke ist eine der landschaftlich schönsten in ganz Deutschland. Aber die Tortur mit den Stadtbussen will sich niemand antun, verständlicherweise", sagt Pro Bahn-Sprecher Bernd Meerstein. Nach Reitmehring gelangt man schon nur im Stundentakt. Dahinter wurde der Filzenexpress in Busse aufgedröselt, die Stau und Glatteis ausgeliefert sind.

Die Bahnstrecke wurde außer Betrieb genommen und dann 2004 an die Stadt Wasserburg verkauft, die die Trasse bald endgültig stilllegen will. Das hat der Wasserburger Stadtrat schon 2011 entschieden, nachdem ein Gutachten für die Reaktivierung Kosten in Höhe von über neun Millionen Euro netto veranschlagt hatte. Pro Bahn kommt nach eigener Rechnung allerdings auf 2,5 Millionen Euro, dort hält man das Gutachten der Stadt für nicht objektiv.

"Ausschlaggebend war für uns eine klare Kosten-Nutzen-Analyse, bei der die Kosten nun überwiegen", sagt Wasserburgs Bürgermeister Michael Kölbl (SPD). Die Stadt habe mit zwei privaten Interessenten Verhandlungen zum Verkauf der Altstadtstrecke geführt, die aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über eine finanzielle Beteiligung der Stadt aber ergebnislos blieben, so Kölbl weiter. Folglich sei beim Bayerischen Innenministerium die Stilllegung beantragt und auch genehmigt worden, danach könne eine Entwidmung in Aussicht gestellt werden.

Das Ende des öffentlich-rechtlichen Besitzes an der Trasse würde zwangsläufig auch das Ende aller Pro-Bahn-Bestrebungen bedeuten. Um das zu verhindern, zog die Initiative vors Münchner Verwaltungsgericht. Allerdings erfolglos: Die Klage wurde im Januar abgewiesen. "Das Gericht hat das auch sehr ausführlich begründet", sagt Bürgermeister Kölbl.

Notfalls bis zum Bundesverwaltungsgerichtshof nach Leipzig

Davon abschrecken lassen wollen sich die Freunde des Filzenexpress aber nicht. Meerstein hofft, dass ein Berufungsverfahren den Fall in zweiter Instanz an den Bundesverwaltungsgerichtshof nach Leipzig bringt- nicht zuletzt, weil er mehr Vertrauen in eine Verhandlung außerhalb Bayerns hätte. "Die Eisenbahn nah zu den Menschen zu bringen", das ist ihr unermüdlicher Antrieb, den die Wasserburger Firma Meggle jedoch gerne ausbremsen würde.

Dem Unternehmen wäre die endgültige Stilllegung der Strecke am liebsten. Auch, weil man die Trasse nicht gerade in guter Erinnerung hat. Meggle befand sich im Februar 1987 mitten in einem Skandal um 5000 Tonnen radioaktiv verseuchtes Molkepulver, das in Bahnwaggons von Wasserburg nach Bremen und Köln abtransportiert wurde, um von dort in Entwicklungsländer geschickt zu werden. Während Bremens damalige Umweltministerin darauf pochte, das verstrahlte Molkepulver zurück nach Wasserburg zu schicken, schnitt der Dammrutsch den Weg ab und machte eine Rückkehr unmöglich.

Gleise durchqueren bis heute das Firmengelände, obwohl man 1999 langsam angefangen hat, umzubauen. Damals genehmigte die Deutsche Bahn das Herausnehmen eines Bahnübergangs, "auf Zeit". In einem Abkommen wurde festgehalten, dass Meggle bei einer Wiederinbetriebnahme diesen Teil der Trasse auf eigene Kosten wieder herstellen müsse. Ein Firmensprecher bestätigt die "erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen", die daraus entstünden.

Stattdessen habe Meggle laut Bürgermeister Kölbl in der Vergangenheit bei der Stadt Wasserburg Interesse angemeldet, die Bahntrasse nach der etwaigen Entwidmung zu erwerben, um sich damit Klarheit zu verschaffen. Mit rund 1000 Mitarbeitern und Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe allein in Wasserburg sei das ein berechtigtes Anliegen.

Zu guter Letzt ist es aber nicht nur die Industrie, sondern auch der Naturschutz, der hier sein Revier markiert hat: "Inn-Auen und Leitenwälder" heißt das Gebiet offiziell, das von den stillgelegten Gleisen auf ein paar hundert Metern durchkreuzt wird. Diese mehr als 3,5 Hektar Land wurden der Europäischen Kommission im Jahr 2004 als ein Natura-2000-Gebiet gemeldet, mit erhaltens- und schützenswerter Flora und Fauna.

Aus gutem Grund: 1999 war von der EU eine Klage an mehrere Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, ergangen, in der beanstandet wurde, die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) sei nicht ausreichend umgesetzt worden, Gebietslisten wären lange überfällig. Nun sind es ebendiese Umwelt-Ziele, die mit einer Wiederinbetriebnahme nicht vereinbar wären. Das weiß Bürgermeister Kölbl und in diesem Sinn urteilte auch das Gutachten im Auftrag der Stadt Wasserburg.

Millionenkosten, der Umweltschutz und ein Großkonzern - von all dem lässt sich Pro Bahn allerdings nicht beeindrucken: "Bundesweit wird wieder in Regionalstrecken investiert, warum nicht auch hier?" Die Gleise würden doch nahezu intakt wirken, sagt Meerstein. Eine Einschätzung, die sich kaum auf die gleiche Strecke beziehen kann, wie sie im Gutachten der Stadt geschildert wird.

Die Bemühungen von Pro-Bahn tragen für manche ihrer Gegner zwar nostalgische, fast rückwärtsgewandte Züge. "Aber am Ende wäre die Altstadtbahn für Wasserburg auch eine Entscheidung für die Zukunft", verspricht Meerstein.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2017
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