Süddeutsche Zeitung

Ebersberger Jazzfestival:Auch Profis haben Gefühle

Die "Enja Label Night" bietet einen perfekt intonierten Jazz-Abend, bereichert um einige emotionale Momente. Star-Trompeter Franco Ambrosetti gibt Geschichten aus seinem bewegten Musikerleben preis.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Anke Helfrich und Franco Ambrosetti kennen sich gut. Nicht nur, weil sie seit langem bei der gleichen Plattenfirma zuhause sind. Sondern vor allem deshalb, weil sich die Jazzpianistin und der Trompeter in Stil und Ausdruck so nahe sind, dass sie immer wieder gern zusammen die Bühne suchen und finden. Am Samstag bot sich dazu Gelegenheit, beim abschließenden Abendkonzert von EBE-JAZZ 2021, der "Enja Label Night", die der Widmung des Festivals ans 50-jährige Bestehen des Labels die Krone aufsetzte.

Beide nutzen sie für einen Auftritt in Vollendung. Keine Experimente, keine Ausritte in fremde Welten, sondern geradliniger, melodischer Jazz, vielfach im Ballroom-Modus, manchmal nah am Bigband-Sound. Wozu in stoischer Ruhe und mit der Präzision eines Diamantschleifers der Weilheimer Saxofonist Johannes Enders beitrug, der zwar Neuling im Ensemble, aber ausgewiesener Könner auf dem Tenorsaxofon genau jene kluge, geistreiche und tonangebende Komponente beisteuerte, die Jazzfreunde erfreut, die sich nicht damit abfinden, alles gehört zu haben.

Was einem das Zusammenspiel von Helfrich, Enders und Ambrosetti geradezu aufdrängt, ist die Wertschätzung für maximale Professionalität - sowohl am eigenen Instrument als auch im Zusammenspiel. Ansatzlose Wechsel von Genre, Tempo und Ausdruck, im blinden Verständnis füreinander, in der Flexibilität, noch einen Refrain draufzusetzen oder einem effektvollen Schlussakkord entgegenzuarbeiten, ja, auch um mal ein musikalisches Späßchen zu machen und danach souverän in die gemeinsame Spur zurückzukehren: Derlei, bei Benny Golsons "Stablemates" zelebriert, geht nur mit Leuten, die's können.

Pianistin Helfrich ist ein Paradebeispiel dafür. Ihre Kombination aus Fantasie, Lockerheit und Konzentration macht das Piano erst zum Jazz-Instrument, zum ruhenden Pol und zum Fliehkraft-Generator zugleich. Wie sie die makellosen Ansätze von Trompeter und Saxofonist aufgreift und in emotionsgeladene Melodien verwandelt, begeistert. Nicht nur das Publikum, sondern auch die meist sehr disziplinierten Mitspieler. Dass Bassist Dietmar Fuhr sein großes Solo erst bei der letzten Zugabe erhält, scheint den nicht groß zu stören - das Freisetzen gesammelter Gefühle verleiht "You'll see" für einige Takte die emotionale Fülle eines Chansons.

Das fügt sich gut zu Ambrosettis Vorliebe für lateinische Rhythmen. Schnell lernt man sie schätzen und genießen. Einmal ist es das als Bossanova zelebrierte "Sometime ago" von Sergio Mihanovich, später dann die Bossa-Samba "Silli in the sky", die er selbst als Filmmusik für seine Frau, eine Schauspielerin, schrieb. Bei aller Abgeklärtheit und Routine, die er in rund 70 Musikerjahren erworben hat, sprach aus seiner Intonation so viel Leidenschaft und Liebe, wie es nur einer fertigbringt, der seine Kunst aus ganzem Herzen lebt.

Worüber man sich streiten konnte, war an diesem Abend gelegentlich der Einsatz des Besens bei Schlagzeuger Jens Düppe. Obwohl sein Wunsch nach einem möglichst kraftvollen Kontrast zum Bläsersound klar erkennbar war, geriet das Ergebnis zeitweise zu metallisch. Das waren nicht mehr die Beschäftigten im Barbershop, die zur Musik die abgeschnittenen Haare zusammenfegten, das waren schon eher Stauer im Hafen, die Eisenbleche über den Kai zogen. Jazzfreunden stellt sich die Frage: Soll man sich wundern, ärgern oder einfach weghören? Bei der Qualität, die Düppe mit seiner Percussion sonst erzeugt, war diese Aggressivität auf jeden Fall befremdlich und wirkte kälter, distanzierter, als es dem Klangbild guttat.

Auf was man sich bei einem Auftritt von Franco Ambrosetti auch freuen kann, sind die Geschichten aus einem bewegten Musikerleben. Jene etwa von seinem spontanen Engagement bei einem Miles Davis-Konzert in Mailand, zu dem er mangels Alternativen als junger Mann bestellt wurde und erstmals "Sometime ago" live mitspielte. Der Star hatte nach einem italienischen Trompeter verlangt. Spannend, so berichtet er, wurde es nach dem Auftritt, als man bis morgens um fünf in einer Bar jammte. Als er sich ans Klavier setzte, hörte er plötzlich jemanden hinter sich am Bass zupfen.

Herbie Hancock, der ihm über diesen instrumentalen Ausflug Verschwiegenheit auferlegte. Nun ja, nicht für immer offenbar. Die Vorstellung, die beim Hören der Geschichte entsteht, ist verlockend: Was, wenn bei einem Auftritt alle einmal reihum ihre Instrumente wechselten? Wo, wenn nicht beim Jazz, ist das möglich? Wo, wenn nicht beim Jazz, käme vermutlich etwas Hörbares heraus? Man hätte ein solches Experiment auch dem makellos durchorchestrierten Samstagabend gewünscht: Etwas mehr "dirt", etwas weniger "polish". Seinen anerkennenden Applaus gewährte das voll besetzte Haus gleichwohl intensiv und reichlich.

Das Konzert zum Nachhören gibt es am 10. Dezember nachts um 23.05 Uhr in der "Jazz Time" von BR-Klassik. Dann erklingt der Mitschnitt als Hommage zu Ambrosettis 80er an diesem Tag.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2021
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