E-Bikes:Die Entdeckung der Ästhetik

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Bisher galten E-Bikes meist als unansehnliche Geräte von klobiger Gestalt. Über eine kostspielige Gegenbewegung - und was eine kleine Firma im Landkreis Ebersberg damit zu tun hat

Von Korbinian Eisenberger, Baiern

In der Werkstatt, gleich hinter dem Ortsschild, wird geschraubt und gefräst. Zwischen Alurohren und Reifenmänteln steht Dominik Dodenhoff und feilt ein Metallteil zurecht. "Es muss auf den Millimeter genau passen", sagt Dodenhoff, Jeans, Polohemd, Schraubenzieher. Der 27-Jährige bastelt an einer Sonderanfertigung: ein BMX-Fahrrad mit Motor zum Auseinandernehmen. Allein für das Verbindungsstück, das die Teile am Rahmen zusammenhält, braucht es zwei Tage Arbeit. Auf Bestellung wird in der Radmanufaktur Electrolyte in Baiern von Hand gebaut, 10 000 Euro kostet hier das teuerste Rad inklusive Bemalung und Programmierung. Die Preise kommen zustande, weil jedes Modell ein Einzelstück ist - und weil die E-Bikes aus Baiern nicht aussehen wie E-Bikes.

Die Elektrorad-Branche boomt, das zeigen Studien des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), wonach die Verkaufszahlen seit Jahren kontinuierlich steigen. Was aber auch auffällt ist, dass E-Bikes nicht nur praktisch und umweltschonend sind, sondern oft auch wenig ansehnlich. E-Bikes zeichnet in der Regel eine gewisse Grobschlächtigkeit aus, mit den dicken Rahmen und den wuchtigen Motoren erinnern die meisten von ihnen mehr an Hometrainer als an Fahrräder. Matthias Blümel, der Firmengründer von Electrolyte, würde sogar noch direkter werden.

"Ich habe mich gefragt, warum E-Bikes eigentlich so scheußlich aussehen müssen", sagt Blümel. Weil ihn diese Frage umtrieb, gründete der Ingenieur schließlich jenes Startup, das heute in einem Designer-Bau hinter den Ortschaften Pups und Unterlaus zwischen grünen Wiesen ragt. In dem früheren Internats-Ort Piusheim werden jetzt Karbon-Pedale handgefräst. Zur Auswahl stehen 20 Rahmenfarben, matt oder glänzend - geliefert aus Europa so wie "fast alle Teile, die wir verwenden", sagt Blümel. Zu den extravagantesten Sonderwünschen zählen Schutzbleche aus Holz oder Rahmen mit Blattgoldverzierung. Ein Kunde ließ sein E-Bike den Polstern seiner Möbeleinrichtung nachlackieren. Bei einem anderen Käufer mussten Farbe und Muster zu den Lederapplikationen seines Pkw passen.

So übertrieben es klingen mag, für extravagante E-Bikes gibt es einen immer größer werdenden Markt. Im vergangenen Jahr habe er 250 Räder verkauft, sagt Blümel, deutlich mehr als im Vorjahr. "2016 sollten es noch mal hundert mehr werden." Blümel hat das Start-up zu einem profitablen Unternehmen ausgebaut, er beschäftigt mittlerweile sechs Vollzeitmitarbeiter, die mit ihm entwickeln, programmieren, schweißen und schrauben. Blümel, 34, der vor drei Jahren noch in einer Garage herumhämmerte, hat in Glonn mittlerweile vier Stockwerke angemietet.

Er hat aus der Extravaganz ein Geschäftsmodell gemacht. Dass sich mit elegant-anmutenden E-Bikes ein Reibach machen lässt, haben auch andere Hersteller erkannt. In Schwaben stellen Händler wie Freygeist und Coboc E-Bikes ebenfalls auf Wunsch zusammen und werben mit trendigen Rahmen und Lenkern. Die Fertigungen sind zwar selten Einzelstücke, dem schneidigen Look schadet dies jedoch nicht. "Es gibt immer mehr Hersteller, die darauf achten, dass man es dem E-Bike nicht so ansieht", sagt ein Sprecher des ZIV. Die Entwicklung hin zu kleineren Motoren und Batterien mit höherer Leistung erleichtere es, mehr Wert auf elegantes Design zu legen. Auch deshalb, so der ZIV, sei das E-Bike mittlerweile nicht mehr nur bei Älteren angesagt. "Die Kunden werden immer jünger". Auch, weil Fahrräder immer stärker "als Ausdruck von Persönlichkeit und Individualität" empfunden würden. In der Werkstatt von Electrolyte sieht man recht gut, dass E-Bikes nicht nur einen adretten Look haben sollen, sondern nach wie vor auch schnell sein müssen. Neben den Pedelecs, die bis zu 25 Stundenkilometer fahren, stehen dort handgefertigte Speedmaschinen mit Nummernschildern. Wer die sogenannten S-Pedelecs fahren will, braucht zwar keine durchtrainierten Waden, dafür einen dicken Geldbeutel und einen Moped-Führerschein. Im flachen Gelände heizen S-Pedelecs mit bis zu 45 Stundenkilometern über die Straße, nur dass sie eben kein Benzin brauchen. Wegen der Umweltfreundlichkeit hat sich die Bundesregierung in ihrem Verkehrsplan vorgenommen, den Radleranteil weiter zu erhöhen. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) sieht im E-Bike-Boom neben den Chancen auch ein Sicherheitsrisiko. Die Infrastruktur für Radfahrer, die größtenteils aus den 1970er und 80er Jahren stammt, reicht nach Ansichten des Verbands längst nicht mehr aus. Der ADFC fordert deshalb breitere Wege für Radfahrer, mehr Fahrradstraßen, weniger Aufbrüche und Schlaglöcher, mehr Tempo-30-Zonen für Autos, serienmäßige Abbiegeassistenten für Lkw sowie Fußgänger- und Radfahrererkennungen mit automatischer Notbremsung und Außenairbags.

Fragt man die Kunden des Betriebs in Baiern, geht es weniger um Sicherheit als um Ästhetik und Speed. Er habe 3500 Euro bezahlt, berichtet ein Electrolyte-Kunde. "Das Ding ballert richtig rein", sagt der Ingenieur aus München, ein anderer hat sich seine Bestellung bis nach England schicken lassen. Electrolyte verschifft mittlerweile weltweit, auch in die USA oder nach Australien. Kürzlich habe eine große Internet-Suchmaschine eine Probe-Bestellung aufgegeben, erklärt Blümel. Der Prototyp, eine Maßanfertigung mit weißem Rahmen und sechs bunten Buchstaben, steht jetzt in der Werkstatt; er kostet etwa 4000 Euro. Bei einer Sammelbestellung wäre das Rad zwar kein Einzelstück mehr. In dem Fall, so Blümel, würde Electrolyte aber eine Ausnahme machen.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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