Dutzende Reiter folgen einer Holzfigur:Der Heilige aus der Apotheke

1988 hat der Pfarrgemeinderat in Forstinning die Tradition der Pferdesegnungen an Silvester wiederbelebt. Heute kommen Dutzende Reiter und folgen einer Holzfigur, die auch sonst ihren Platz in der Mitte der Gemeinde hat

Barbara Mooser

- Ein braves, schweres, gutmütiges Pferd war es, das "Bräundl", das Franz Hundschell zur Kirche trug. 1954 war das, 15 Jahre war der Bub aus dem kleinen Weiler Kipfing in der Gemeinde Forstern da alt. Noch drei andere Reiter versammelten sich mit ihren Pferden an jenem kalten Silvestertag vor 58 Jahren vor der Kirche Mariä Heimsuchung in Forstinning, um ihre Tiere segnen zu lassen. "Man hat gemerkt, wie sehr die Leute ihre Pferde geschätzt haben", erinnert sich Hundschell. Doch Arbeitspferde waren schon damals aus der Mode gekommen, Freizeitpferde gab es in der bäuerlichen Gegend am Forst noch kaum. Die Pferdesegnung 1954 war deshalb für viele Jahre die letzte in Forstinning. Erst 1988 haben Franz Hundschell und einige Mitstreiter die alte Tradition wieder aufleben lassen. Auch in diesem Jahr werden Reiter teilweise von weit her kommen, um ihren Tieren den Segen erteilen zu lassen.

Die Verehrung des Heiligen hat in Forstinning eine lange Tradition: Silvester ist zwar nur der zweite Patron der Pfarrkirche Mariä Heimsuchung, hat aber im religiösen Leben der Gemeinde über Jahrhunderte hinweg eine Hauptrolle gespielt. 1638 wurde hier sogar eine bedeutende Silvesterbruderschaft gegründet. Sie hatte regen Zulauf, 2463 Menschen schlossen sich allein in den ersten sechzig Jahren ihres Bestehens an. Mit Prozessionen und Gottesdiensten begingen die Gläubigen die Gedenktage des Heiligen - bis ins 20. Jahrhundert hinein. Wenn Viehseuchen drohen, opfern die Bauern sogar ihre Notgroschen, um in besonderen Messen den Schutz des heiligen Silvester zu erbitten. Die Mitglieder der Bruderschaft beteten nicht nur für eine glückliche Sterbestunde, sondern auch dafür, "leidigen Viehfall" abzuwenden.

Vom Segen am Silvestertag erhofften sich die Bauern auch bis Mitte des 20. Jahrhunderts Schutz für ihre Arbeitstiere. Franz Hundschell ist einer derjenigen, die sich noch erinnern können, wie wichtig Pferde in der Landwirtschaft waren, bevor sie von Traktoren abgelöst wurden. "Man hat sie notwendig gebraucht und immer Sorge gehabt, dass ihnen etwas passiert", erzählt er. Heute kommen zu den Pferdesegnungen an Silvester vor allem Hobbyreiter - denn auch sie wollen, dass ihren Pferden nichts zustößt. Bisweilen bringen Besitzer auch ihre Esel mit, einmal ließ ein Bauer sogar seinen Ochsen segnen, wie sich Marianne Estermann erinnert: "Aber das ist schon ganz schön lang her." Die Vorsitzende des Pfarrgemeinderats organisiert heute gemeinsam mit den anderen Mitgliedern die Pferdesegnungen. "Es ist wieder ein wichtiges Fest für Forstinning geworden", sagt sie. Die Pfarrgemeinderäte und ihre Helfer kümmern sich um alles - von der Einladung an die örtlichen Reitvereine über die Straßensperrung und Bewirtung bis zum Aufräumen. Gerade begeisterte Hobbygärtner warteten oft sehnsüchtig auf das Ende der Prozession, erzählt Franz Hundschell: "Die wollen die Pferdeäpfel als Dünger."

Eine kleine Ministrantenschar und Diakon Hans Dimke werden den Zug auch diesmal anführen - Pfarrer Bernhard Waldherr verzichtet aufgrund seiner Tierhaarallergie liebend gern auf diese Ehre. Sogar der heilige Silvester wird in Form einer Holzfigur mit von der Partie sein. Vielen Forstinningern - und nicht nur den Kirchgängern - ist die kleine Statue aus dem 19. Jahrhundert wohlvertraut. Schließlich hat sie auch den Rest des Jahres ihren Platz mitten in der Gemeinde: in der örtlichen Apotheke St. Silvester in der Münchener Straße. 1978 ist er hier eingezogen, zuvor hatte er ein Schattendasein im "Leichenkammerl" der Aussegnungshalle geführt, wie sich die Apothekengründer Erika Weber und Franz Weber-Berg erinnern. Als sie ihre Apotheke eröffneten, wählten sie auf Vorschlag des damaligen Bürgermeisters den heiligen Silvester als Namensgeber; Pfarrgemeinderat Wilfried Röhmel war es, dem einfiel, dass es doch da noch diese alte Statue gebe, die nicht gebraucht werde. Nach einer Restaurierung fand die Holzfigur als Dauerleihgabe ihren neuen Platz zwischen den wuchtigen Apothekenschränken. Erika Weber erinnert sich noch gut an die ersten Tage nach der Eröffnung: Etliche Forstinninger hatten sich ihre Rezepte aufgespart, um sie hier einlösen zu können, andere kauften ein Päckchen Taschentücher oder andere Winzigkeiten. "Es hat sich dann herausgestellt: Sie alle sind gekommen, um festzustellen, ob ihr Silvester auch gut aufgehoben ist", erzählt Erika Weber. Sie selbst hat sich mit dem Heiligen an ihrer Seite an ihrem Arbeitsplatz immer wohl gefühlt, sagt sie: "In den langen Nächten, wenn ich Dienst hatte und alles ganz still war, habe ich mich sogar manchmal mit ihm unterhalten - und fühlte mich nicht ganz so allein." 1997 ist Erika Weber in den Ruhestand gegangen, seitdem kümmern sich ihre Nachfolger um den hölzernen Heiligen.

Blumengeschmückt wird Sankt Silvester auch in diesem Jahr am letzten Tag des Jahres der Mittelpunkt der Feier sein. Bei der Pferdesegnung, die am Silvestertag um 13.30 Uhr beim Rathaus beginnt, wird selbstverständlich auch Franz Hundschell mit von der Partie sein - auch wenn es inzwischen auf seinem Hof kein Pferd mehr gibt, wie er bedauernd erzählt. "Aber es könnte schon sein, dass es nächstes Jahr wieder anders ist", sagt er. Der 73-Jährige hat zwar selbst kein Interesse mehr am Reiten - doch die siebenjährige Enkelin Annika entwickelt sich langsam, aber sicher, zur Pferdefreundin.

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