Duo mit Rhythmus im Blut:Inklusion in der Disco

Mindbreakers Inklusionsprojekt

Ein Duo mit Rhythmus im Blut: Christoph Friedrich alias DJ Silk beim Auflegen mit Markus Michalik alias DJ Marek.

(Foto: oh)

20 Jahre lang hat das Projekt "Outside-Handicap" Tanznächte für Menschen mit und ohne Behinderung veranstaltet. Jetzt übernehmen die "Mindbreakers".

Von Franziska Spiecker, Steinhöring/Rott am Inn

"Mindbreakers" - Gedankenbrechen. Die Übersetzung klingt sperrig, beschreibt aber genau das Ziel eines vom Betreuungszentrum Steinhöring unterstützten Inklusionsprojekts. Es soll in zwei Richtungen wirken: Menschen mit Behinderung sollen ermutigt werden, sich über das eigene Denken, die eigenen Hemmungen hinweg zu setzen, die es ihnen schwer machen, sich frei in der Gesellschaft zu bewegen. Bei den anderen, den Menschen ohne Behinderung, geht es darum, die Angst vor dem Ungewohnten aufzubrechen. Um diesem Ziel ein Stück näher zu kommen, wurde vor gut 20 Jahren das Projekt "Outside-Handicap" gegründet, das seit März den Namen "Mindbreakers" trägt.

Einmal im Monat, immer samstags, rollen Busse aus verschiedensten Behindertenwohnheimen in Bayern beim Landgasthof Stechl in Rott am Inn vor: Meist sind es um die 200 Menschen, die aus den Bussen steigen. Sie kommen aus Prien am Chiemsee, aus Haar, Wasserburg oder dem Landkreis Ebersberg. Sitzen sie im Rollstuhl, so werden sie in den ersten Stock des Gasthofs hochgetragen, wo die DJs Christoph Friedrich aus Schalldorf, alias DJ Silk, und Markus Michalik aus Zorneding, alias DJ Marek, bereits im bunten Scheinwerferlicht auflegen.

Menschen mit Behinderung hätten es ja sonst nicht so leicht, in eine Diskothek zu gehen, da würden sie immer komisch angeschaut, erklärt der 36-jährige DJ Friedrich. Eine Beobachtung, die zu den Wurzeln des Projekts zurückführt: Dietrich Kerstens, der ehemalige Lebensgefährte der Steinhöringer Betreuungshelferin Michaela Baldauf, hatte damals als DJ in dem Gasthof seiner Schwester aufgelegt. Als Menschen mit Behinderung herein kamen und tanzen wollten, "waren alle überfordert", erzählt Baldauf. Daraufhin entwickelte Kerstens die Idee einer Inklusionsdisco. Nach seinem Tod im Jahr 2001 führte Baldauf sie unter dem Namen "Outside-Handicap" fort. Sie habe sich alles "aus Trauer angeeignet" erzählt sie, habe 17 Jahre lang alles querbeet gespielt, "was die Leute so wollten" - bis ihr das Schleppen des DJ Equipments nach einem Unfall zu schwer wurde. Um ihre "Herzblutsache" trotzdem am Laufen zu halten, bat sie Christoph Friedrich um Hilfe, der schon seit gut eineinhalb Jahren mit ihr auflegte - und übergab ihm das Projekt im März.

Für den "fliegenden DJ", der seit 18 Jahren bei Geburtstagen, Hochzeiten oder Firmenfeiern am Mischpult steht, war sofort klar, dass das Projekt nicht aufhören darf. "Wenn man einmal erlebt hat, was für eine Freude darin herrscht, wie frei sich die Menschen bewegen, dann kann man das nicht zulassen", sagt Friedrich, der selbst einen schwerbehinderten Bruder hat. Und so habe er von Kindesbeinen an miterlebt, welche Ängste es noch immer gegenüber Menschen mit Behinderung gibt. Als sein Bruder klein war, so berichtete er, hätten Eltern mit Kindern ohne Behinderung oft die Straßenseite gewechselt, wenn sie ihn gesehen hätten.

Weil die Inklusionsdisco allein aber nicht zu stemmen sei, habe er seinen DJ Kollegen Michalik gefragt, ob er das Projekt mit ihm zusammen weiterführen wolle. So entstanden die "Mindbreakers", die für ihren Fortbestand nun nach Spenden und Sponsoren suchen. Als ehrenamtliche DJs mussten sie bei Null beginnen. "Wir müssen uns immer eine Musikanlage ausleihen", erklärt Friedrich, auch für Lichter, Motto und GEMA-Gebühren seien sie auf Geldspenden angewiesen.

Deswegen hätten sie bereits eine Spendensammelaktion in Zusammenarbeit mit dem Einkaufsmarkt Rewe in Aßling gestartet, wo Kunden seit kurzem ihre Pfandbons für die "Mindbreakers" spenden können. Auch Geldspenden für T-Shirts mit dem Logo der "Mindbreakers" habe es schon gegeben, erzählt der DJ. Um die Unkosten zu kompensieren soll bei der nächsten Party - an diesem Samstag, 27. April - zum ersten Mal ein geringer Eintrittspreis von einem Euro erhoben werden.

Getanzt wird wie immer im Gasthof Stechl in Rott am Inn. "Der Wirt kommt uns sehr entgegen", berichtet Friedrich. Er erhebe keine Saalmiete, biete alles zu vergünstigten Preisen an. Dennoch hätte sein Team für 2020 gerne eine zusätzliche Location, die - am besten ebenerdig - auch für Rollstuhlfahrer besser geeignet sei. Noch aber steppt der Bär im Stechl, wenn es unter dem Motto "Schwarz-Weiß-Gaudi" auf beiden Seiten wieder heißt: Gedankenbrechen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: