Süddeutsche Zeitung

Grafinger Jugendorchester:Taktstock, Geigenbogen - und Zahnbürste

Musik, Tanz, Witz: Das "Grafinger Jugendorchester" begeistert in Ebersberg mit seinem Programm "Luna". Es kommen nicht nur Instrumente zum Einsatz.

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Zwar dreht sich das mit "Luna" betitelte Sommerkonzert des Grafinger Jugendorchesters um die Nacht mit ihren Geheimnissen, Verlockungen und Leidenschaften; es erklingt Musik zum Träumen, es rieseln Daunenfedern vom Saalhimmel, es werden Auftritte in Nachthemd und Pyjama samt Hintergrund-Schnarchen sowie Tipps zum Einschlummern geboten.

Doch an Schlaf ist bei diesem Konzert natürlich nicht zu denken. Ein Nickerchen genehmigt sich lediglich einer der Schlagzeuger der Formation Drumline, der sich demonstrativ in ein Kissen schmiegt, wenn er gerade mal nichts zu trommeln hat. Auch die karnevalesken Schlafmasken, die er und die anderen Drummer bei dem Stück "Montuno" von Timm Pieper tragen, mögen bei dem Versuch, inmitten der harten Beats kurz wegzudämmern, hilfreich sein.

Das Publikum im Alten Speicher in Ebersberg dagegen wird nicht vom Schlaf, sondern von Freude und pulsierender Energie übermannt. Musik und Inszenierung elektrisieren, wie gewohnt, bei diesem von Hedi Gruber geleiteten Jugendorchester, das mehrere Generationen vereint. Das Zauberwort "Jugend" steht hier nicht für ein bestimmtes Alter, sondern für Begeisterung, Ideenreichtum, Frische, Spielfreude und Engagement.

Zwar ist die Nacht nicht allein zum Schlafen da, häufig aber doch. In diesem Fall ist es Moderator Philipp Gassert, den Hedi Gruber mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet, ins Bett schickt. In seinem Horoskop stehe zwar, er solle sich von Frauen, die den Takt angeben wollen, besser fernhalten, wird Gassert später erzählen, aber erst mal folgt er artig der Meisterin des Taktstocks und erscheint im Schlafanzug mit Teddybär; Kissen und Zahnbürste liegen bereit. Was eben so alles zum abendlichen Ritual dazugehört.

Wie eine Traumreise durch die Musikwelt

Zuvor geleiten die Streicher des Orchesters das Publikum mit Max Richters Version des Frühlings aus Vivaldis "Jahreszeiten" bei schummriger Beleuchtung sanft ins Traumland, während die anderen Musiker auf der Bühne Platz nehmen. Richter nutzte die barocke Partitur als Material: Vivaldis Notentext rupfte er auseinander, kreierte daraus neue Motive. Das Original mit Vogelgezwitscher und Blätterrauschen klingt von ferne an, doch bekommt man das Tongespinst ebenso wenig zu fassen wie einen Traum, der Bilder, Worte und Klänge unauflösbar durcheinanderwirbelt. Das Gefühl zu fallen, inbegriffen.

Auch das Programm gleicht einer Traumreise durch die verschiedenen Räume und Kammern der Musikwelt vom "Vivaldi recomposed" über das "Aquarium" aus dem "Karneval der Tiere", vom bayerisch-südamerikanischen Dreigesang der Cuba-Boarischen über Swing, Rock, Folk, Blues bis zu Walzer, Charleston, Mambo, Boogie und Tango. Mitreißend spielt nicht nur das Orchester, auch die Solisten verzaubern, allen voran Adam Ambarzumjan, Student am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg, der seiner Klarinette mit einem Klezmer-Stück von Giora Feidman die Klangfarben des Glücks entlockt, weich, rau, ekstatisch. Virtuos und hochemotional gleitet er durch Skalen, die auf wunderbare Weise verrückt spielen. Kongenialer Partner ist David Hacker mit seinem Akkordeon.

Derweil versucht sich Philipp Gassert mal als Virtuose auf der Okarina, mal auf der Melodika. Gegen Solisten wie den Klarinettisten Kilian Berger und den Pianisten Jakob Skudlik, die zusammen mit dem Orchester klangschön George Gershwins "Rhapsody in Blue" aufführen, sind seine Chancen auf Starruhm allerdings gering. Dann doch lieber Meriten als Moderator einheimsen, darin ist er konkurrenzlos.

Am Ende wird es nochmal fetzig

Bei der Inszenierung hat Hedi Gruber wieder alle Register gezogen. Wenn zum Beispiel Teresa Gruber, erste Geigerin und hochbegabte Tänzerin, und Kilian Berger den Evergreen "Dream a Little Dream" - sie im weißen Nachthemd, er im Bademantel - singen; wenn zum "Mambo Italiano" aus den Fünfzigern von Sängerin Hannah Kreck das Publikum mit Reiskörnern gefüllte und mit dem Logo des Jugendorchesters bedruckte Plastikdöschen ausgehändigt bekommt, die zum Rhythmus passend geschüttelt werden sollen; wenn bei einem weiteren Mambo, dem Stück "Sway" des Mexikaners Luis Demetrio, Harry Khatchatrian mit seiner sonoren Stimme bezaubert; und wenn zwei ältere Semester (Franz Kraxenberger und Franz Mlnarschik) mit Sängerin Amelie Jost zum orchestrierten Song "Layla" von Eric Clapton demonstrieren, dass auch steifbeiniger Senioren-Rock Pep besitzen kann.

Zu den Ohrwürmern gehört der alte Folksong "House of the Rising Sun". Dieses ehemals schlichte Lied der Animals wird hier in einer einpeitschenden Heavy-Metal-Version mit Soli an E-Gitarre (Xaver Neuhäusler) und Schlagzeug (Benedict Ohmann) gespielt. Sänger Matthias Kupka, stilecht im Gammler-Look, ist eine Wucht. Seine Stimme hat Soul und Blues. Mit etwas weniger Schlagzeug käme diese allerdings noch besser zur Geltung.

Die Nacht ist eine Zeit der Erinnerungen, eine Zeit, sich die Lieblingssongs der Jugend anzuhören; in der Nacht ist der Mensch aber auch offen für Verführung und Abenteuer, wie es einst Etablissements wie das "Moulin Rouge" dem Besucher verhießen. Den Tango "Roxanne" aus dem gleichnamigen Film tanzen Teresa Gruber und Kilian Berger in einer erotisch-artistischen Choreografie, die das Publikum zu stürmischem Beifall mitreißt.

Beinahe drei Stunden sind um, doch noch hat das Publikum nicht genug, brennt für diese Musiker wie die Flammen der Pyrotechnik am Bühnenrand. Das Jugendorchester verabschiedet sich mit einem fetzigen Arrangement des Rocksongs "Proud Mary", der noch einmal alle Energien weckt, Nacht hin oder her.

Die Konzerte am Dienstag und Mittwoch im Alten Speicher sind bereits ausverkauft.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2018/koei
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