SPD-Sozialempfang:Doris Rauscher und Verena Bentele rufen "soziale Revolution" aus

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Verena Bentele und Doris Rauscher (rechts) neben SPD-Fraktionschef im Kreistag, Albert Hingerl (links), und dem Kreisvorsitzenden Thomas Vogt. (Foto: Christian Endt)

Die Ebersberger SPD-Abgeordnete fordert neue politische Wege. Die Kernthesen stehen in Blindenschrift auf dem Spickzettel einer früheren Spitzensportlerin.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Das Karterl in Verena Benteles Hand hat ein ähnliches Format wie die SPD-Flyer auf den Tischen. Nur dass auf der Karteikarte nichts zu sehen ist. Man muss schon ganz genau hinschauen, um das kleine Punktmuster zu erkennen. Wer es gar lesen will, muss wie Bentele Blindenschrift verstehen. Ganz oben stehe "Ebersberg", erklärt sie nach ihrer Rede. Und so geht die Liste weiter: Arbeitsmarkt, Barrierefreiheit, Bildung, Gesundheit, Rente, Pflege. Alles Themen, die man angehen müsse, so Bentele. Themen, weswegen die einstige Spitzensportlerin nun mit ihrer Karteikarte in einem Festsaal in Ebersberg steht. Eine Karte mit Profil.

Bei der Suche nach einem Parteiprofil ist die SPD am Sonntagabend möglicherweise einen Schritt vorangekommen. Beim Sozialempfang für den Landkreis Ebersberg gab es nicht nur eine reichhaltige Brotzeit, sondern vor allem große Worte. Doris Rauscher, Gastgeberin und für den Stimmkreis Ebersberg im bayerischen Landtag, stellte in den Raum, ob der Freistaat eine "soziale Revolution" brauche. Ehrengast Bentele beantwortete diese Frage in einer viel beklatschten Rede mit einem nachdrücklichen Ja. Die 120 Gäste in der Ebersberger Alm ließen eine ähnlich klare Tendenz durchblicken.

Es war der bisher neunte Sozialempfang, zu dem die Kreis-SPD traditionell engagierte Menschen aus Vereinen, Selbsthilfegruppen und Wohlfahrtsverbänden einlädt. Einst von Ewald Schurer gegründet, war es für Rauscher der fünfte Sozialempfang als Landtagsabgeordnete - und der erste in ihrer neuen Position als Vorsitzende im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Jugend und Familie. Die Veranstaltung soll als Zeichen an die Gäste verstanden werden. "Ich möchte Ihnen allen danke sagen", erklärte Rauscher. Nach den für die SPD miserabel verlaufenen Landtagswahlen ging es aber vor allem auch um einen kämpferischen politischen Vorausblick.

Verena Bentele, 36, kämpfte vor allem gegen die Zeit und gegen den inneren Schweinehund. Im Biathlon und Skilanglauf war sie deutlich erfolgreicher als zuletzt die SPD. Zwölf paralympische Goldmedaillen hat sie geholt, viermal wurde sie Weltmeisterin. In Ebersberg zielte sie nun auf die neue bayerische Regierung aber auch die Bundespolitik bekam einiges ab. So forderte sie etwa einen Systemwechsel, "damit auch Beamte in gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen". Das gab Beifall im Publikum, genau wie Benteles Ansinnen der Umverteilung: Reiche zur Kasse bitten, ebenso wie "multinationale Konzerne, die sollen sich am Sozialstaat beteiligen", sagte sie.

Fast auf den Tag genau 100 Jahre nach Kurt Eisners Ermordung

Nach vier Jahren als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ist Bentele seit 2018 Bundesvorsitzende des Sozialverbands VdK - wo Rauscher den Kreisvorsitz in Ebersberg hat. Für diesen Posten gab es Lob von Bentele, der VDK biete Rauscher wichtige Einblicke, "weil Menschen da praxisnah Probleme schildern", so Bentele. Dazu zählt sie Alters- und Jugendarmut, aber auch mangelnde Barrierefreiheit - und fehlende Bereitschaft in Bayern, körper- oder sehbehinderte Kinder an regulären Schulen zu integrieren. Das mache den Einstieg an der Uni "sehr schwierig", so Bentele, die aus Erfahrung berichtete: "Es ist wirklich Zeit für eine soziale Revolution."

Vielleicht ein Zufall, dass Rauscher wenige Tage nach dem 100. Jahrestag der Ermordnung des Revoluzzers Kurt Eisners die soziale Revolution in Bayern ausrief. Wobei sowohl sie als auch die Gastrednerin betonten, dass diese Revolution anders als damals unbedingt friedlich vonstatten gehen solle. In der Küche der Ebersberger Alm kam lediglich eine gut geladene Gulaschkanone zum Einsatz. Das dampfende Ergebnis bekamen die Gäste in Suppenschüsseln serviert. Und so kam es nach Benteles Referat zu heißen Diskussionen, in denen Probleme in und um Ebersberg konkret zur Sprache kamen.

Zum Beispiel ein Phänomen dieses schneereichen Winters: Senioren, die in ihrem Zuhause wie eingeschlossen sind. "Menschen mit Rollator oder Rollstuhl hatten keine Chance, das Haus zu verlassen", erklärte Veronika Höfer aus Steinhöring. Ein weiteres Problem für viele ältere oder behinderte Menschen sprach Uta Göhlert aus Baldham an: mangelnde Barrierefreiheit bei Wohnanlagen, auch weil in Mehrparteienhäusern die Selbstbestimmung stark eingeschränkt ist. Der Geschäftsführer des Ebersberger Kreisjugendrings Philipp Spiegelsberger machte sich hingegen für die Jugend im Landkreis Ebersberg stark. "Wir verlieren die jungen Leute", sagte Spiegelsberger. Aus seiner Sicht gebe es "für die Jugend im Landkreis kein tragfähiges Konzept".

Konzeptlosigkeit lautet einer der häufigsten Vorwürfe an die SPD, auf Bundes- und Landesebene. Ja, so Doris Rauscher, "wir haben leider einige Mandate verloren". Umso mehr sei die Zeit gekommen, dass sich die Partei neu formiere. So steht nun eine Revolte im Raum, deren Kernthesen auf einem Karteikarterl verewigt sind.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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