Süddeutsche Zeitung

Chor aus Baldham:Maßgeschneidertes von Don Camillo

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Das A-cappella-Ensemble kehrt auf die Bühne zurück und überzeugt in Ebersberg mit einer Vielfalt der Modelle und Schnitte.

Von Ulrich Pfaffenberger

Deine Hände sind zum Segnen da, nicht zum Prügeln!" Das sagt der Gekreuzigte zum Dorfpfarrer Don Camillo in einem jener Momente, da dieser mal wieder nicht weiß, wohin mit seiner Kraft, seinem Zorn. "Eure Stimmen sind zum Freude machen da, nicht zum Jammern", das könnte als Motto über dem Don-Camillo-Chor stehen, der sich durch die Widrigkeiten der Pandemie nicht davon hat abbringen lassen, miteinander und für andere zu singen. Keine öffentlichen Auftritte waren da möglich, nur ein ziemlich pfiffiges Online-Konzert. Nun die Rückkehr auf die Bühne, 14 Tage verzögert, wieder wegen Corona, am Sonntagabend, an dem sich schon die nächsten Einschnitte ankündigen. Im Alten Speicher erlebt ein volles Haus 90 ungetrübt fröhliche Minuten, Genuss am Können eines fast immer Hertz- und Herz-genau aufeinander abgestimmten Ensembles. 90 Minuten, in denen alles draußen vor der Tür bleibt, was nicht hineingehört in die Begegnung zwischen Fans, Freunden und Familien.

Wie eng die Verbundenheit ist, zeigt sich an den zahlreichen Interaktionen zwischen Bühne und Parkett. Da werden Ehemalige und Arrangeure im Publikum persönlich begrüßt. Auch summen die einen oder anderen verhohlen den Auftakt der bekannten Stücke mit. Am meisten freuen aber darf sich der Gewinner des Quiz, das den Online-Auftritt begleitet hatte, dem der Chor einen Wunschsong kredenzt: "Ghost Train", im Original von Madness intoniert, erhielt vom früheren Chorleiter Andrea Figallo ein maßgeschneidertes, spannungsgeladenes Arrangement.

Ein Charakteristikum des Chores drängt sich bei dem Konzert sogleich wieder auf: Das Prädikat "maßgeschneidert" gehört zum Selbstverständnis. Der Kleiderschrank, in den die Don Camillos während ihrer Online-Aufnahmen hineingesungen haben - wegen der dämpfenden, studioähnlichen Füllung - hält eine Vielfalt von Modellen und Schnitten bereit, in die Sängerinnen und Sänger flugs und gewandt hineinschlüpfen. Das macht dann auch den Unterschied aus zwischen Standard und Don Camillo: Wie die Arrangeure immer wieder das vorliegende Material auftrennen und dann die Stoffe zu einer neuen Kreation knüpfen und verweben, ohne die Farben und den Charakter der Stücke zu zerstören, das ist Meisterklasse. "So cruel" von U2 mit seinen melancholischen Gedanken ist ein Paradebeispiel dafür, weil die Kunst der Lyrik noch mehr Raum erhält sich zu entfalten, als das im Original der Fall ist. Beim "Lullaby" von Leonhard Cohen geht es einem ähnlich, man hört und sieht es dem Chor an, wie er sich die Zeile "The wind in the trees is talking in tongues" zu eigen macht.

Das einfache, gleichwohl anspruchsvolle Prinzip "gesungene Sprache" ist bei diesem Chor und seinem Dirigenten bestens aufgehoben, liebevoll und akkurat zugleich umgesetzt. Da gibt sich niemand damit zufrieden, mit ein paar netten Effekten die Instrumente zu ersetzen. Sondern vollzieht sozusagen die Umkehr der musikalischen Evolution, indem aus den Imitaten der Instrumente die grundlegenden Stimmen wieder herausgefiltert und zu kunstvollen Konstruktionen gefügt werden. "Black Hole Sun", ebenfalls ein Produkt der Corona-Phase, wird dadurch maximal verführerisch, ein Ballett der Stimmen, auf unsichtbaren Bahnen planetenfarben tanzend im Weltraum. Arrangeur Marc Schmolling hat hier etwas Großartiges geschaffen.

Es spricht für die Reife und Intelligenz des Chores, dass bei aller Konzentration auf die Feinheiten der Technik viel Raum bleibt für Emotion und Ausdruck. Dazu tragen die manchmal minimalistischen Choreografien entscheidend bei, weil nie der Eindruck entsteht, da müsse sich jemand in Bewegungen zwingen oder eine Show abziehen, weil die Regie das gut findet. Sondern es wächst und gedeiht eine organische Bewegung des ganzen Klangkörpers, die beim Klassiker "Shut up and dance with me" ins Publikum überspränge, wäre da nicht die inzwischen gelernte, pandemische Disziplin. Als Hoffnung und Versprechen erfüllt der Song indes seinen Zweck auf jeden Fall: Stürmischer Jubel und leidenschaftlicher Applaus, der mit zwei Zugaben belohnt wird, mit einem "Kimmt schö hoamli die Nacht" als Wegbegleiter nach Hause, ein Viergesang, schlicht und formvollendet wie das alte Dirndl aus dem Kleiderschrank der Oma.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2021
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