Diskussion über Vaterstettener Straßennamen:Vorbildliche Adresse

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In der Großgemeinde sind viele Straßen nach Tieren, Pflanzen oder Bergen benannt. Ein Gemeinderat fordert nun Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten als Namenspatrone - über die Definition, wer dazugehört, kann man streiten

Von Wieland Bögel, Vaterstetten

In der Großgemeinde gibt es bereits seit vielen Jahren einen Fuchsweg - künftig sollte es nach dem Willen eines Gemeinderats gewissermaßen auch einen Wüstenfuchsweg geben. Namenspatron wäre hier indes nicht das auch als Fennek bekannte kleine Raubtier nordafrikanischer Trockengebiete, sondern Erwin Rommel, Beiname Wüstenfuchs, einer der höchstdekorierten Militärs der Wehrmacht. Gefordert hat die Rommelstraße der AfD/FBU-Gemeinderat Manfred Schmidt in einem offenen Brief an den Bürgermeister und die Gemeinderäte, mit der Begründung, Rommel sei ein Held des Widerstands gegen Hitler, ein Personenkreis, der auf den Vaterstettener Straßenschildern komplett fehle.

Nun mag man über die Beteiligung, Billigung oder Mitwisserschaft Rommels am gescheiterten Attentat auf Hitler trefflich streiten - was Angehörige und Weggefährten Rommels, Historiker, studierte wie autodidaktische, seit Ende der 1940er Jahre tun. Zu letzterer Kategorie zählt zweifellos Schmidt, seinem offenen Brief ist die Kopie eines Artikels beigefügt, den Schmidt kürzlich in der am äußerst rechten politischen Rand angesiedelten Wochenzeitung Junge Freiheit veröffentlichen durfte. Darin vertritt er ebenfalls die These, dass Erwin Rommel an der Aktion vom 20. Juli 1944 beteiligt war. Rommel sei "menschlich und militärisch ein Leuchtturm in Deutschlands finsterster Zeit", schreibt der AfD-Politiker in seinem offenen Brief.

Auch wer diese Einschätzung nicht teilt, muss Schmidt zumindest in einem Punkt seiner Kritik recht geben. Die Benennung neuer Straßen in der Großgemeinde ist tatsächlich nicht von besonderer Kreativität geprägt. Was um so deutlicher auffällt, weil Vaterstetten in den vergangenen Jahren sehr stark gewachsen ist und dadurch zahlreiche neue Straßen hinzugekommen sind, die dann überwiegend nach Tieren, Pflanzen und Bergen benannt wurden.

Eine große Ausnahme indes ist das "Musikerviertel". Die größtenteils in den 1970er und 80er Jahren angelegten beziehungsweise im Zuge der Bebauung ausgebauten Straßen zwischen dem Baldhamer Bahnhof und dem Sportzentrum tragen fast ausschließlich Namen berühmter Tonkünstler, hauptsächlich Komponisten. Darunter sind Verdi, Beethoven und Rossini, genau wie Carl Orff und Karl Böhm. Was Schmidt in seinem aktuellen Schreiben ebenfalls kritisiert, beide, besonders Böhm, hätten sich in der Nazizeit mit den Machthabern arrangiert und dadurch Karriere machen können.

Eine wichtige Verkehrsachse in Baldham ist nach dem Dirigenten Karl Böhm benannt - und bleibt es auch. (Foto: Christian Endt)

Ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist, finden sich doch beide Namen auf der sogenannten "Gottbegnadeten-Liste". Das 1944 erstellte Verzeichnis führt Künstler auf, die das Regime als so wichtig eingestuft hatte, dass sie von Kriegs- oder Arbeitsdienst befreit waren. Ein übrigens ziemlich exklusiver Kreis: Historikern zufolge waren zu dem Zeitpunkt etwa 140 000 Künstler in der Reichskulturkammer organisiert, auf die Gottbegnadeten-Liste schafften es neben Orff und Böhm gerade einmal 1039 weitere. Beide, der Komponist wie der Dirigent, profitierten von Staatsaufträgen. Böhm, der sich nachweislich des öfteren positiv über das Regime geäußert hatte, wurde zudem noch mit dem Orden "Kriegsverdienstkreuz II. Klasse ohne Schwerter" ausgezeichnet.

Soll man in Vaterstetten also eine Umbenennung ins Auge fassen und für zwei der größten Straßen neue Namenspatrone suchen, am besten solche, die sich gegen das Naziregime gestellt haben? Zumindest diese Frage wird in Vaterstetten parteiübergreifend verneint. "Er hat seine Verdienste in der Musik gehabt", sagt Bürgermeister Georg Reitsberger (FW) über Karl Böhm, und verweist außerdem auf dessen Lokalbezug zu Vaterstetten. Denn sein früherer Wohnort in Baldham wurde im Zuge der Gebietsreform 1977 eingemeindet, damals hatte sich der Gemeinderat entschieden, die ebenfalls neu erworbene Bahnhofstraße nach Karl Böhm zu benennen.

Auch bei der CSU ist man gegen eine erneute Umbenennung dieser Straße, sagt der langjährige Gemeinderat und Zweiter Bürgermeister Martin Wagner und verweist ebenfalls auf Lokalbezug und Lebensleistung des Dirigenten. "Dass er den Nazis nicht feindselig gegenübergestanden ist", sei schon richtig, so Wagner, dennoch sieht er darin keinen Grund für einen neuen Straßennamen: "Er war ein Dirigent, der Staatsaufträge angenommen hat, und kein Kriegsverbrecher - das ist in meinen Augen schon ein Unterschied." Dass die Causa Böhm "ein schwieriges Thema" ist, findet SPD-Fraktionssprecher Sepp Mittermeier. "Er hat natürlich seine Verdienste gehabt", aber im Rahmen seiner Kunst natürlich auch dem Regime gedient. Eine Umbenennung der Straße - die im Übrigen auch ein gewaltiger administrativer Aufwand und eine Belastung für die Anwohner sei - rechtfertige dies aber nicht, sagt Mittermeier. Ähnlich formuliert dies Axel Weingärtner, Sprecher der Grünen-Fraktion, auch er spricht sich gegen einen neuen Namen für Vaterstettens wichtigste Verkehrsachse aus.

Dirigent Karl Böhm. (Foto: Michel Neumeister/Imago)

"Was aber nicht heißt, dass man nicht darüber nachdenken sollte, Straßen nach Nazigegnern zu benennen", fügt Weingärtner an. Er verweist auf einen entsprechenden Antrag seiner Fraktion, als es um die Straßen im neuen Wohngebiet ging - der aber keine Mehrheit gefunden hatte. "Ich sehe nicht ein, warum es immer unpolitisch sein muss, aber das ist in Vaterstetten schon lange so." Dies zu ändern hält auch Mittermeier "für eine sehr wichtige Angelegenheit", bei neuen Straßen sollte man dieses Thema endlich einmal angehen und statt Blumen, Vögeln und - wie im jüngsten Fall Obstsorten - endlich einen Gegner der Nationalsozialisten zum Straßennamenspatron machen. Was, darauf verweisen die beiden Bürgermeister, ja im neuen Wohngebiet durchaus geschehen sei. Schließlich wurde die größte Straße dort nach Pfarrer Korbinian Aigner benannt. Der hatte bereits zu Zeiten der Republik gegen die Nationalsozialisten opponiert und auch nach 1933 entsprechende Predigten gehalten. Weil er angeblich das gescheiterte Attentat Georg Elsers auf Hitler vom 9. November 1939 verteidigt hatte, wurde er zuerst ins Gefängnis Stadelheim, später ins Konzentrationslager Dachau eingesperrt, wo er bis wenige Tage vor Kriegsende bleiben musste. Da Aigner ein ebenso leidenschaftlicher wie fähiger Obstbauer war, passe er doch gut ins neue Obstviertel, findet Reitsberger. Wagner verweist auf dem Lokalbezug - Aigner war von 1916 bis 1921 Koadjutor in Grafing -, der eben bei zumindest den bekannteren Namen des Widerstands fehle.

Etwa bei Rommel, der aber auch sonst kaum Chancen auf eine Straße in Vaterstetten hat - das zeigte eine Gemeinderatssitzung im Jahr 2017. Schon damals hatte Schmidt eine Erwin-Rommel-Straße beantragt, was fraktions- und parteiübergreifend abgelehnt wurde. Für CSU-Fraktionschef Michael Niebler war Schmidts Rommel-Exegese eine "willkürliche, einseitige Sicht der Dinge", für Dritten Bürgermeister Günter Lenz (SPD) eine "Geschichtsklitterung", und Roland Meier (FW) empfahl dem Antragsteller doch "seinen Sandkasten nach Rommel zu benennen".

© SZ vom 26.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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