Die Zukunft des Wohnens:"Diese 0815-Gewerbeimmobilien haben etwas Geschwürartiges"

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Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, über TV-Klischees, ländliche Identität und die richtigen Baustoffe

Interview von Johannes Korsche

Wer baut, schafft gewissermaßen Zukunft. Schließlich sollen Gebäude in der Regel mindestens ein paar Jahrzehnte stehen. Aber wie wird in der Zukunft gebaut? Lydia Haack ist seit wenigen Wochen die neue Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. In ihrem ersten Interview spricht die 56-Jährige über "Tatort"-Klischees, ländliche Identität und architektonische "Geschwüre".

SZ: Frau Haack, im "Tatort" wohnt immer jemand in verglasten Einfamilienhäusern mit Garten. Das sieht modern aus. Aber ist das auch die Zukunft des Wohnens?

Lydia Haack (lacht): Nein, dieses Klischeebild, das Sie ansprechen, hat wahrscheinlich eher fernsehtechnische Gründe. Vielleicht, weil man durch die Glasscheiben gut filmen kann. Aber es entspricht nicht der Wirklichkeit. Was die Architektur angeht, muss man sagen, dass inzwischen das Bauen im Bestand 80 Prozent ausmacht. Da geht es dann darum, dass sich die neue Architektur in die unterschiedlichsten Kontexte des Bestandes einfügen und auf sie antworten muss.

Kontexte für Architektur klingt etwas abstrakt, um was geht es da konkret?

Zunächst geht es darum, überhaupt den Bestand zu erhalten und die bereits verbauten Ressourcen zu konservieren. Das gilt für alle Baustoffe und Produkte. Im Sinne der Nachhaltigkeit wird der Fokus die kommenden Jahrzehnte deshalb verstärkt darauf liegen, dass wir unseren Bestand nicht nur erhalten, sondern zukunftsfähig machen. Denn es geht darum, dass wir das Bauen erdverträglich gestalten, das ist die Herausforderung der Zukunft.

Im November beginnt Krauss-Maffei mit dem Umzug ins neue Gewerbegebiet in Parsdorf. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Architekten entwerfen dann nicht mehr, sondern modernisieren?

Es wird immer beides geben, wir müssen ja auch neu bauen, um neue Bedarfe zu decken. Dabei wird es wichtig sein, dass wir den sogenannten Ressourcenkanon im Kopf haben. Das heißt zum Beispiel, dass wir Wandaufbauten nicht mehr verkleben, sondern so bauen, dass wir die Materialien beim Abriss voneinander trennen und anschließen wieder gebrauchen können. Wir müssen in Kreisläufen bauen.

Wäre es nicht das Beste, auf Beton zu verzichten und mit Holz zu bauen?

Man wird sich auf nachhaltige Baustoffe konzentrieren, alleine schon, weil der Sand als Rohstoff für den Beton langsam knapp wird. Und natürlich belastet der CO₂-Ausstoß bei der Betonherstellung die Umwelt. Aber klar, momentan wird noch recht viel mit Beton gebaut. Auch weil er gewisse Anforderungen einfach gut stemmen kann, zum Beispiel eine hohe Leistungsfähigkeit gegenüber der Brandbeanspruchung, eine gute Tragfähigkeit und eine gewisse Robustheit mit sich bringt. Man sollte Beton deshalb nicht generell verteufeln. Die Frage ist eher: An welcher Stelle ist welches Material optimal eingesetzt?

Ein weiterer Trend ist die Urbanisierung. Mit der Folge, dass sich Städte wie München immer mehr ins Umland ausbreiten. Geht da ländliche Identität verloren?

Wenn es um die Veränderung der Strukturen auf dem Land geht, dann ist das eine Entwicklung, die nicht durch die Architektur auslöst wird. Vielerorts gibt es Leerstände, beispielsweise werden Bauernhöfe aufgegeben, ganz einfach, weil sich die Art der landwirtschaftlichen Produktion verändert. Die Architektur kann da eine Hilfe sein, für diese Gebäude eine neue Identität zu stiften, wir sprachen bereits über das Bauen im Bestand. Aber Sie haben recht, der sogenannte urban sprawl, also die Ausbreitung der Städte, hat noch nie zu hoher architektonischer Qualität geführt. Das merken wir ja bei den Gewerbegebieten am Stadtrand. Diese 0815-Gewerbeimmobilien haben etwas Geschwürartiges und sind in der Regel alles andere als Zeichen einer gelungenen Stadteinfahrt.

Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer: Lydia Haack. (Foto: Tobias Hase)

Tut es Ihnen manchmal weh, wenn Sie solche "Geschwüre" sehen?

Ich sage es mal positiv: Gerade hier stecken Potenziale. Wenn wir diese Bereiche mit dem Flächensparen zusammendenken würden, und etwa Wohn- und Gewerbenutzungen typologisch kombinieren, dann könnten wir in Summe vielen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Eine Nutzungsdurchmischung, die Vielfalt zulässt, führt, wenn sie dann auch noch qualitätsvoll ausgeführt wird, sicherlich zu mehr Identität und Akzeptanz.

Qualitätsvolle, individuelle Architektur kostet allerdings viel Geld. Ist das also nur was für Reiche?

Bauen ist per se etwas, das viel kostet. Ich glaube aber, dass wir als Gesellschaft insgesamt lernen müssen, all unseren Ressourcen auf ein gutes Maß zurückzuführen. Und da schließe ich auch die Finanzen als Ressource des Bauherrn mit ein. Und da sollte sich die Architektur dann auch bescheidener zeigen, als wir es gewohnt sind. Denn das teurere Haus ist nicht automatisch auch das qualitätsvollere.

© SZ vom 24.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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