Süddeutsche Zeitung

Die Rolle der Kirchen:Glaube, Liebe, Diskussion

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Von Annalena Ehrlicher, Markt Schwaben

Wie politisch Kirche heute sein muss, um nicht zum schmückenden Beiwerk zu verkommen, zeigte sich bei der Sonntagsbegegnung zwischen Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, im Markt Schwabener Franz-Marc-Gymnasium. Unter dem Motto "Reden, Helfen, Glauben" sprachen die beiden Kirchenvertreter über das Selbstverständnis und die Aufgaben karitativer Verbände.

"Es kann nicht sein, dass die Kirchen in Deutschland immer nur gefordert sind, wenn etwas Schreckliches passiert ist", sagte Breit-Keßler. Ihr ist wichtig, dass sich die Kirche nicht nur in politische Diskussionen einmischen darf, sondern das auch tun soll. "Sobald man öffentlich wirkt, ist man Teil von Politik." Dass Neher ebenso wie die 64-jährige Protestantin keinen Wert auf eine Zuschauerrolle im Weltgeschehen legt, daran bleibt kein Zweifel: "Wir können tatsächlich nicht nur das Sahnehäubchen für die Gesellschaft sein," spitzt er zu.

Er verspricht: "Wir als Caritas lassen uns das Wort nicht verbieten." Im Zuge der jüngsten Diskussionen in Deutschland sowie globaler Entwicklungen könne man es sich als Kirche auch gar nicht leisten, diese nur von außen zu betrachten. "Dietrich Bonhoeffer hat gesagt, dass man dem Rad in die Speichen fallen muss und nicht nur die Verletzten am Wegrand verarzten soll", schließt Breit-Keßler an und verbindet diesen Gedanken mit einer theologischen Reflexion: Gott sei, so sagt sie, zum Menschen geworden - eine größere Hingabe an die physische Welt sei wohl nicht möglich: "Wie also soll man sich da nicht einmischen?"

Beide Kirchenvertreter bestehen darauf, dass der Diskussion über soziale Gerechtigkeit, über Fragen von Migration und Asylpolitik in Deutschland Ruhe und Differenzierung abgeht. "Ja, ich bin auch manchmal erschlagen von den Bildern von Not und Elend", gibt Neher zu. "Auch ich bin ratlos, wenn ich sehe, was in den USA los ist, in Italien und Österreich und eben auch bei uns." Die Frage, die man stellen muss, so der 63-Jährige, lautet: "Wie leben wir zusammen?"

Breit-Keßler betont die Notwendigkeit zu differenzieren. "An keiner Stelle darf man den einfachen Lösungen nachgeben. Das ist der Tod von uns allen", unterstreicht die gelernte Journalistin. Wichtig sei jedoch, sich zu vergegenwärtigen, dass ein Teil unserer Lebensform, dafür mitverantwortlich ist, dass heute so viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. "Wir müssen heute, vielleicht mehr denn je, darauf achten die Wahrheit zu sagen: Wo gibt es Probleme, wo kommen diese her und wie kann man da nachjustieren, das sind die Fragen, die wir uns in aller Offenheit stellen müssen." Alles andere sei Wahlkampf für die "Alternative für Deutschland".

Gleichberechtigung ist keinesfalls nur Thema für aus patriarchalischen Gesellschaften Geflüchtete, so Neher.

Ihr Kollege stimmt zu: "Das gilt für alle - auch die Presse muss darauf achten, nicht die Wirklichkeit zu verzerren, auch wenn das nicht aus böser Absicht geschieht."

Besonders auf diesen Aspekt geht im Nachgang an den Dialog der Geistlichen ein Kommentar aus dem Publikum ein. Die Anzingerin Elisabeth Stangelmair, die sich seit Jahren in der Geflüchtetenhilfe engagiert, betont: "Alle, die wissen wollen, wie die Integration von Geflüchteten wirklich funktioniert, müssen einfach in den Gemeinden hinschauen: Bei uns gehören die Menschen dazu, die arbeiten, die zahlen Steuern, die kaufen ein. Verlassen Sie sich nicht auf das, was man so hört, sondern schauen Sie hin und sprechen Sie mit den Menschen."

Der Caritas-Präsident fordert zudem: "Wir sollten den Moment nutzen und uns auf Grundfragen besinnen." Themen wie Gleichberechtigung seien kein Thema, das ausschließlich für aus patriarchalischen Gesellschaften Geflüchtete wichtig ist. "Geschlechtergerechtigkeit ist auch hier nach wie vor ein großes Thema." Breit-Keßler grinst nur ein wenig, als sie zustimmt.

Dass "Humanität und Barmherzigkeit in keinem Gegensatz zu Legalität stehen" dürfen, darüber sind sich beide einig. "Darüber herrscht bei uns kein Zweifel - allerdings hat das nichts mit einer Legitimierung von sprachlicher Verrohung zu tun", betont der Caritas-Präsident und spricht die Zuhörer direkt an: "Sie sind alle gefordert: Man muss darauf reagieren, denn Sprache bildet nicht nur Realität ab, sondern formt sie auch."

So reibungslos wie die beiden Kirchenvertreter sich bei einigen Themen die Bälle zuspielen, erstaunt es nicht, dass nach Ende des Gesprächs ein Herr aus Poing fragt, wann man damit rechnen dürfe, dass die Caritas und die evangelische Diakonie sich zusammenschließen. Ganz so weit geht die Ökumene dann noch nicht - auch aus organisatorischen Gründen: "Ich bin froh, wenn ich - salopp gesagt - meinen Laden zusammenhalten kann", sagt Neher lachend. Wichtig sei, dass man sich gegenseitig respektiere und immer enger zusammenarbeite.

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SZ vom 23.07.2018
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