So manche literarische Karriere beginnt früh – und läutet eine dramatische Biografie ein. Françoise Sagan schrieb ihren ersten Roman und größten Erfolg „Bonjour Tristesse“ mit 17 Jahren, Peter Handke „Die Hornissen“ mit 21. Und so denkt man bei jungen Schriftstellern schnell an Genie und schweres Schicksal.
Der 25-jährige Phillip von Bose aus Zorneding allerdings wirkt reichlich reif und recht wenig exzentrisch oder gar zerbrechlich. Dabei hat auch er schon einiges geschrieben: Gerade ist sein zweiter Gedichtband erschienen. Fertig in seiner Schublade lägen außerdem zwei weitere Gedichtbände und ein Roman, berichtet der junge Autor.
Der Inhalt von „Filmriss & Bedeutung“, veröffentlicht in einem Selbstkostenverlag, ist in Anbetracht der Jugend des Verfassers erst einmal überraschend: In fünf Kapiteln beschäftigen sich die Gedichte mit der biblischen Schöpfungsgeschichte. Die Sprache ist martialisch und wirkt mitunter archaisch. Hier geht es um Lämmer und Feuertaufen, dort um den Sündenfall und Kriege, dann wieder um Naturbeschreibungen und den Tod. So wie in dem Gedicht „Feuersturz“:
schneisen / in den kopf der / wälder vom dunkelroten tod /geschlagen. verwitterung wird / im keim erstickt/ zuletzt verbrannt!
feuersturz
wie ein pflaster legt sich hitze nieder / und geht der schöpfung auf den/ grund. feuervögel fallen tief – / asche & geburt
Jedes Gedicht folgt einer klaren Struktur: In der Mitte steht ein metaphorisches Wort, meist ein Neologismus, darüber eine negative, darunter eine positive Assoziation. Diese Idee habe er in einem aristotelischen Gedanken gefunden, erzählt von Bose: Das Gute und Wahre liege immer in der Mitte zwischen zwei Extremen.
Biblische Bilder, antik-philosophisches Konzept – das alles überrascht doch schon sehr. Der junge Autor nämlich sitzt da gerade mit einem breiten Lächeln an einem Weiher in Zorneding, hier hat er zuletzt gerne geschrieben. Er trägt lockere, helle Klamotten gegen die Hitze, eine Erscheinung weit weg von biblischem Pathos. Auch die Szenerie birgt wenig apokalyptische Dramatik: Der Blick geht über Weizenfelder unter blauem Himmel. Nur die hohen, schmalen Pappeln erinnern ein wenig an Italien und romantische Dichtung.
Der Zornedinger ist Kinderpfleger – hält jedoch nichts von einem klaren, lockeren Sprachstil
Auch wer hinter der lockeren Attitüde einen verkopften Altgriechisch-Studenten vermutet, liegt daneben: Nachdem von Bose seinen Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt hatte, entschied er sich für eine Ausbildung zum Kinderpfleger. Bis vor Kurzem noch hat er als solcher in Zorneding gearbeitet, hofft jedoch, langfristig vom Schreiben leben zu können. Bekanntschaften zu anderen Kreativen pflegt er aber nicht. In seiner Freizeit macht der 25-Jährige gerne Ballsport, beschreibt sich selbst als extrovertiert. Er ist dieser Typ junger Mann mit festem Händedruck, der anderen gerne ein Stück von seinem Pausenbrot abgibt.
Bei dieser Ausstrahlung, die fast ein wenig an Wolfgang Herrndorf erinnert, würde man erwarten, dass auch dieser junge Autor um klare Sprache und einen leichten Ton bemüht ist. Doch von einem lockeren, humorvollen Stil möchte der Zornedinger nichts wissen. „Ich halte in Literatur nichts von Alltagssprache“, sagt er. Auch sein noch unveröffentlichter Roman solle sich nicht durch sprachliche Leichtigkeit hervortun.
Abgrenzung von den Eltern: „Zuhause ging es viel um Größe“
Doch woher kommt diese Strenge? Erklärungsversuche landen schnell bei von Boses Elternhaus. In diesem sei Hochkultur immer geschätzt worden, sagt der Sohn. „Wir hatten zwei Bücherregale: eins für Literatur, eins für Unterhaltung. Das zeigt doch schon einiges“, sagt der junge Autor. „Zuhause ging es viel um Größe.“ Seine Mutter habe Deutsch unterrichtet, der Vater sei Professor für klassische Musik in München gewesen. Bis heute zeigt der Sohn neue Texte ihm in der Regel als erstes.
Ob der elterliche Elitarismus seinen Stil prägt? „Das ist sicher ein Teil davon“, sagt der 25-Jährige und lacht. Und die biblischen Motive? Er sei einfach ein Mensch, der starke Symbole möge. Und außerdem: „Alles Künstlerische ist immer auch ein bisschen Größenwahn.“ Auch in Sätzen wie „Ich kann gar nicht anders, als zu schreiben. Das macht mir jetzt nicht immer unbedingt Spaß, aber ich habe auch nicht das Gefühl, das entschieden zu haben. Ich würde anders nicht funktionieren“, ist ein gewisses Pathos nicht zu überhören.
Zum Schreiben kam Philipp von Bose als Jugendlicher durch ein traumatisches Erlebnis: Ein Vorfall in seinem Elternhaus habe eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst, zwei Jahre lang habe er kaum das Haus verlassen. „Sobald ich vor die Tür bin, ist mein gesamtes Nervensystem zusammengeklappt“, erzählt er. Also unterbricht der junge Zornedinger die Schule, sucht im Schreiben Ventil und Verarbeitung. „Man hat dann die Wahl zwischen Flucht und Konfrontation“, sagt er heute. Schreibend findet er wieder auf die Beine, verarbeitet den Schock und gewinnt kritische Distanz zur Prägung durch die Eltern. „Ich bin mit extremen Meinungen aufgewachsen und hatte immer das Gefühl, da stimmt etwas nicht.“
Diese Phase bestimmt auch den Inhalt des neuen Gedichtbands: Die beidseitige Beleuchtung eines zentralen Phänomens soll einen größeren Teil der Wahrheit abdecken als die dogmatische Lehrmeinung der Eltern. Und gerade darin hofft von Bose Sicherheit zu finden. Auch der zeitlose Stil solle das unterstützen, sagt er. „Ich bin ein Mensch der viel Sicherheit braucht, und am liebsten suche ich in der Sprache danach.“
Und das scheint zu funktionieren, unsicher wirkt der junge Mann jedenfalls nicht, und in seinen Texten sucht er einen offenen, aktiven Umgang mit seinen Ängsten. „Das Beste, um sich unverwundbar zu machen, ist, seine Schwächen offen zu zeigen“, sagt er. Etwas davon spürt man zum Beispiel in „Körperwege“:
rotes /wühlen durch trost / hautgebundenes versprechen /schweiß & schenkel tropfen /ein bach voll so ungeliebter zeit
körperwege
ein eigener farbton fern der vielen / nimmt mich in sein spektrum / auf: ein liebevolles du /am ende dieser haut.
Den pathetischen Duktus eines Autors, der nicht anders kann, als zu dichten, nimmt Philipp von Bose am Ende ebenfalls etwas zurück, wenn er sagt: „Es ist am Ende auch ein Handwerk, man muss vor allem dranbleiben. Und irgendwann gibt man es ohnehin ein Stück aus der Hand – und der Text diktiert, wo es hingeht“.