Süddeutsche Zeitung

Demo in Markt Schwaben:Wenn Kinderwagen neben Islamkritikern stehen

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In Markt Schwaben kommt es zu einer grotesken Kundgebung zur "Verteidigung der Grundrechte". Die Teilnehmer eint wenig bis nichts, die Coronakrise aber lässt sie beisammen stehen. Über einen Abend zwischen Impfgegnern, Rechtssympathisanten und gestressten Müttern.

Von Korbinian Eisenberger, Markt Schwaben

Unschwer zu erkennen, dass diese drei Männer mehr vereint als nur die Teilnahme an dieser Kundgebung. Sie tragen einheitliche Gesichtsmasken und einheitlich gestaltete Umhängebanner mit Deutschlandflagge und Bundesadler. Einer von ihnen kommt gerade vom Zahnarzt, doch die Schmerzen sieht man ihm durch den Corona-Mundschutz nicht an. "Die Maske verhindert, dass man die Emotionen der Menschen sieht", sagt einer der drei, er stellt sich als Klaus Gäßl vor. Neben ihm steht Frank Beughold, 57 Jahre alt. "Was für ein Zufall!? Pünktlich zu Ramadam sind in Thüringen Gottesdienste und Versammlungen wieder erlaubt", steht auf seinem Plakat. Er sagt: "Wir sind Freunde und als Patrioten organisiert."

Montagabend in Markt Schwaben, Regen hat den Marktplatz durchnässt, noch immer nieselt es auf die Schirme. Trotz des Sauwetters haben sich 40 Menschen versammelt. Sie eint, dass ihnen die Verteidigung der Grundrechte ein Anliegen ist, wie sie sagen. Ansonsten gehen die Lebenswirklichkeiten der Menschen hier auseinander. So kommt es zu einer Kundgebung, die in Teilen einer Groteske gleicht.

Montagabend in Markt Schwaben: 40 Menschen kommen zu einer Kundgebung zusammen. wenig bis nichts, die Coronakrise aber lässt sie beisammen stehen. Eindrücke von unserem Fotografen Peter Hinz-Rosin. Texte: Korbinian Eisenberger.

Etwa zwei Drittel der Teilnehmer sind Mütter, einige haben Kinder dabei. .

Auch dabei. Eine Gruppe von Männern aus Erding. Auf ihren Umhängebannern sind Bundesadler abgebildet. Auf einem Plakat ist ein zynischer Seitenhieb Richtung Islam zu erkennen: "Was für ein Zufall!? Pünktlich zu Ramadam sind in Thüringen Gottesdienste und Versammlungen wieder erlaubt."

Etwas absetis kommt es zu einer Debatte zwischen einem Gegendemonstranten und einer Frau, die eine Corona-Impfpflicht befürchtet.

Von den sechs Polizisten die aus drei Einsatzwagen beobachten, muss bis zum Schluss niemand eingreifen.

Die Mischung aus Emotion und Information ist explosiv. Besonders, wenn die Emotionen überhand nehmen.

Die Markt Schwabenerin Lindy Weiß, 38, ist die Initiatorin der Kundgebung und bezeichnet sich selbst als "halbe Ausländerin", ihr gehe es vor allem um die Wahrung der persönlichen Freiheit. Im Hintergrund zu sehen: Wolfgang Darchinger, der Initiator der Pro-Grundrechte-Demo am 1. Mai in Ebersberg.

Die Initiatorin verschenkt unter einem trockenen Pavillon Grundgesetze.

Die Männer aus Erding tragen aus Protest gegen die EInschränkung Masken mit der Aufschrift "Grundrechte schützen".

Lindy Weiß diskutiert mit dem Gegendemonstrant: Der 64-Jährige Volker Seibt aus Markt Schwaben.

Nach einer Stunde endet die Kundgebung - demnächst soll in Poing und Erding zu ähnlichen Zusammentreffen aufgerufen werden.

Nur Meter entfernt von den Männern mit dem islamkritischen Spruch steht eine Mama mit ihren drei Kindern, drei und fünf, die sich in ihren winzigen Anoraks an die Mama schmiegen. Miriam Dorn, 42, erzählt, dass sie und ihre Kinder sich isoliert vorkommen. Ihr Ehemann sei beruflich eingespannt, arbeite sieben Tage die Woche. "Vor der Krise wurden wir beim Einkaufen angelacht. Jetzt werde ich mit den Kindern dumm angeschaut", erzählt sie. Deswegen stehe sie hier, erzählt Dorn, die mit ihrer Familie in Buch am Buchrain (Kreis Erding) wohnt. Dass die Wissenschaft unlängst zur Entlastung ihrer Kinder beigetragen hat, änderte wenig. Sie komme sich vor wie die Frau, "die die Virenschleudern mitbringt".

Kinderwagen neben Rechtssympathisanten. Es ist eine Zusammenkunft von Menschen, die sich sonst wohl wenig zu sagen hätten. Ähnlich wie am Wochenende in der Landeshauptstadt, wo sich 3000 Menschen auf dem Marienplatz drängten. Dort und nun auch in Markt Schwaben mit dabei: Angela Wrobel aus Poing. Die 50-Jährige ist mit mehreren Plakaten gekommen und einem Halstuch mit dem Aufdruck "Gib Gates keine Chance". Ihre Befürchtung: Mithilfe von Multimilliardär Bill Gates wird "im Schnellverfahren ein Impfstoff entwickelt", ohne die Details über die Nebenwirkungen zu kennen. "Da wird einem dann irgendwas in die Zelle induziert, von dem man nicht weiß, ob es in die DNA übergeht." So lautet ihre Theorie.

Die explosive Mischung aus Information und Emotion

Die Mischung aus Emotion und Information ist explosiv. Besonders, wenn die Emotionen überhand nehmen. Noch während der Markt Schwabener Kundgebung sprechen sich einige Teilnehmer für eine Folgeveranstaltung im benachbarten Poing aus, ähnliches ist in Erding geplant, wo sich die Männer mit den Bundesadlern als Initiatoren hervortun. Beugold spricht in die Runde. Er sagt: "Unsere Bewegung stoppt keiner mehr."

Wieder so ein Moment. Ein Satz, der irgendwie so gar nicht zu den jungen Frauen passt, die drei Meter weiter ihre Kinder auf dem Arm halten. Es sind sehr viele junge Frauen hier, sie machen etwa zwei Drittel der Teilnehmer aus, nicht wenige mit Kindern und entsprechend beschäftigt, sie im Nieselwetter bei Laune zu halten. Womöglich auch zu beschäftigt, um sich mit den Männern auseinanderzusetzen, die wenig dafür tun, um nicht nach AfD-Sympathisanten auszusehen.

Einer hat erst kürzlich für die AfD in Moosinning kandidiert, Beughold stand auf Listenplatz eins, kam aber nicht ins Gremium. Ein komisches Gefühl, sich mit ihm und seinen Kumpanen öffentlich gemeinsam zu positionieren?

Nachfrage bei Lindy Weiß, sie ist die Initiatorin der Kundgebung und bezeichnet sich selbst als "halbe Ausländerin", ihr gehe es vor allem um die Wahrung der persönlichen Freiheit, deswegen verschenkt die 38-Jährige unter einem trockenen Pavillon Grundgesetze. Das Plakat der drei Männer mit dem Seitenhieb auf den Ramadan - und damit den Islam? Sie habe Beughold deswegen angesprochen. Eine eindeutige Antwort habe sie nicht erhalten, so Weiß. "Rassismus habe sie aber nicht herausgehört. Und selbst wenn, so Weiß: "Auch die haben das Recht auf ihre Grundrechte."

Etwas abseits der Menge steht ein einsamer Gegendemonstrant. Volker Seibt, 64, den im Ort viele kennen. Mit Schutzmaske über dem Bart steht er ruhig da, während ihm Regen aufs Haupt tropft. "Wenn es um Menschenleben geht, ist eine Einschränkung der Freiheit angemessen", lautet das Statement auf seinem Schild, "Wir warten auf die Impfung". Es kommt zu einer Debatte mit einer Frau, die eine Corona-Impfpflicht befürchtet. Aber zu keinem Zwischenfall. Von den sechs Polizisten die aus drei Einsatzwagen beobachten, muss bis zum Schluss niemand eingreifen.

Der Wind fegt über den Platz. Katharina Wachinger aus Pliening hält ein Plakat fest, das nicht von ihr stammt, aber hinter dem sie stehen kann. "Meinungsfreiheit", "kritischer Dialog" und "Hochfahren der Wirtschaft" steht dort geschrieben. Sie sei wegen ihrer vier Kinder hier, so die 37-Jährige. Sie sagt: "Mia fünf san ned links und ned rechts und aa ned radikal."

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SZ vom 13.05.2020
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