Am 21. September ist Welt-Alzheimertag:„Demenz ist eine Riesenchance“

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Das Filmplakat hängt ganzjährig im Schaufenster von Anna Dallers Zornedinger Bekleidungsgeschäft. Es hat schon zu manch spannendem Austausch geführt. (Foto: Christian Endt)

Günter Roggenhofer und seine Frau Anna Daller haben sich sieben Jahre um seine demente Mutter gekümmert, daraus ist ein Film entstanden. Dieser nun anlässlich des Welt-Alzheimertags im Capitol Kino in Grafing zu sehen – aber nicht nur dort.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Demenz trifft immer mehr Menschen. 270 000 Erkrankte gibt es aktuell in Bayern. Viele Betroffene und Angehörige würden die Krankheit am liebsten verdrängen – für Günter Roggenhofer hingegen ist sie „mein Lebensthema“.

Der drahtige Mann in kurzen Hosen über braun gebrannten Beinen, dem man seine 60 Jahre nicht ansieht, hat die grauen Locken lässig im Nacken zusammengefasst. Der erste Gedanke: typisch Filmemacher. Falsch. Zwar zeichnet er verantwortlich für die Doku „Diagnose Demenz – Ein Schrecken ohne Gespenst“, die seit Jahren bundesweit in Kinos und Veranstaltungsräumen läuft, doch sein Geld verdient Roggenhofer normalerweise keineswegs im Filmgeschäft. Stattdessen unterstützt der selbständige IT-ler seine Kundschaft bei Hard- und Software-Problemen.

Mit Telefon und Rechner im Heim

Zusammen mit Ehefrau Anna Daller und deren Neffen Thomas Bogner, Roggenhofers Patensohn und Geschäftspartner, hat er einen Dokumentarfilm über die letzten sieben Jahre seiner an Demenz erkrankten Mutter gemacht. Fünf Jahre im Heim, dann fast zwei Jahre zu Hause begleitet das Paar seine „Mam“ bis zu deren Tod 2014, was eine komplette Veränderung des beruflichen wie privaten Alltags bedingt. Das ist nicht ohne.

Daller hat kurz zuvor ein Bekleidungsgeschäft in Zorneding eröffnet, Roggenhofer kann zwar manchmal seine Tätigkeit ins Heim verlegen und neben der Mutter arbeiten, doch seine Einsätze als „technischer Notarzt“ lassen sich nicht planen. Also geben ihm die Kunden teilweise ihre Büroschlüssel, damit er nachts oder am Wochenende an ihre Rechner kann. Selbst die Freunde „kamen gar nicht erst zu uns nach Hause, sondern direkt ins Heim“, weil sie wissen, dass dort der Lebensmittelpunkt des Ehepaars ist.

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In dieser Zeit entstehen „Tonnen von Fotos und Videoclips, einfach um festzuhalten, was morgen nicht mehr da ist“. Der Gedanke, daraus einen Film zu machen, reift erst nach Elfriede Roggenhofers Tod. Drei Jahre dauert es, bis ihr Sohn seinen „beiden besseren Hälften“, Anna und Thomas, von der Idee erzählt und das Projekt beginnt. „Nur durch die unglaubliche, technische Expertise von Thomas ist der Film zustande gekommen.“ Mitwirkung leisten auch Moderator und Entertainer Albrecht von Weech sowie Musiker Stefan Aaron, der den Titelsong „Vergessen“ komponiert.

Ursprünglich ist die Intention, mit dem Film allen Unterstützern während der „schönsten Zeit unseres Lebens“ zu danken und ihnen gleichzeitig „die Mama und die Situation nahezubringen“. Doch dann passiert etwas, womit niemand gerechnet hätte: Nach einer, nur für „Family & Friends“ gedachten Vorführung in einem Münchner Kino entwickelt sich ein riesiges, bundesweites Interesse an diesem Film, der so Roggenhofer, zeigt, „was alles nötig ist, um jemanden würdig aus dem Leben zu begleiten“.

Ohne Urlaub jeden Tag im Heim

Dazu gehört 2007 eine zunächst schwere Entscheidung: die Unterbringung im Heim. „Das war etwas, was die Mama nie wollte. Doch wir haben nicht gegen sie entschieden, sondern für das, was richtig war“, sagt Roggenhofer. Auch weil ein Arzt der Psychiatrie, wo die alte Dame zuvor einige Wochen verbringen muss, deutlich macht: „Wenn Sie Ihre Mutter im Heim auch nur zehn Minuten besuchen, dann gehört die Zeit exklusiv ihr und Sie müssen sich nicht, wie jetzt, um vieles andere gleichzeitig kümmern.“

So weit, so gewöhnlich – Tausende sind in genau dieser Situation. Dann allerdings beginnt, was Roggenhofer „unsere ganz persönliche Geschichte“ nennt, die er dezidiert nicht als „Anleitung, wie jeder es machen muss“ verstanden haben will. „Wir sind keine Übermenschen, wir sind da so reingewachsen.“ Jeden einzelnen Tag geht das Paar ins Heim, streicht alle Urlaube – „wir wussten ja nicht, ob sie morgen noch da ist“. Bei der Entscheidung hilft, dass sie vorher schon oft auf Reisen waren, unter anderem in den USA, „und am liebsten auf Ibiza, für uns eine emotionale Tankstelle“.

Jeden Morgen fällt der Blick von Günter Roggenhofer und Ehefrau Anna Daller auf das Bild eines befreundeten Malers, das die Insel Ibiza zeigt, ihre "emotionale Tankstelle". (Foto: Günter Roggenhofer / OH)

Ein Bild dieser Insel, von einem befreundeten Maler, hängt im Wohnzimmer. Jeden Morgen fragt sich Roggenhofer beim Blick darauf: „Wann tut es weh, wenn du es anschaust?“ In all der Zeit sei das nie der Fall gewesen. „Weil ich gewusst habe, wofür wir das tun – für die Mama mit ihrem Riesenherz.“ Geschafft hätte er das aber nicht ohne seine Ehefrau. Deren Bindung an die Schwiegermutter ist innig, sie fühlt sich bei ihr „wie ein zweites Kind“– vielleicht auch, weil sie beide aus der gleichen Gegend in Österreich stammen, dem Innviertel.

In enger Abstimmung mit dem Personal beteiligt sich das Paar ganz selbstverständlich an der Pflege. Wie hält man das aus? „Ein Heim riecht anders als ein Kaffeehaus – aber wenn man jeden Tag dort ist, wird es ganz normal“, sagt Daller. Und ihr Mann fügt hinzu: „Eine Mutter würde das niemand fragen. Sie opfert sich nicht auf, sondern tut, was getan werden muss.“ Das kommt nicht pathetisch und nicht aufgesetzt – man spürt, dass diese beiden leben, was sie sagen.

„Ohne ausländisches Personal könnten wir einpacken“

Sie widmen sich auch anderen Bewohnern, die den Besuch bald ebenso sehnsüchtig erwarten. Das wiederum macht sie selbst glücklich, „weil so viel zurückkam“. Zum Kontakt mit „wunderbaren Menschen“ gehört auch die Begegnung mit den Mitarbeitenden. Beim gemeinsamen Frischmachen komme man ganz anders ins Gespräch, lerne andere Kulturen kennen und entwickle eine große Wertschätzung auch für das ausländische Personal, „ohne das wir einpacken könnten“. Abgesehen davon ließen sich bei einem solch engen Kontakt Probleme oft schon im Keim ersticken. So sei die Mutter aufgrund ihrer Platzangst „völlig ausgetickt“, wenn man ihr den Pulli direkt übers Gesicht zog und nicht von der Haut weghielt. „Aber das muss man ja erst mal wissen.“

Im Heim lernen Roggenhofer und Daller auch alles, was sie brauchen, als sie die stark geschwächte Frau nach einer schweren Magen-Darm-Infektion am 21. Dezember 2012 zu sich nach Baldham holen. „Sie sollte daheim sterben dürfen.“ Doch Weihnachten vergeht, Silvester ebenfalls und nach und nach weitere kostbare 21 Monate. Ohne Pflegedienst, nur unterstützt durch Freunde bewältigen sie die Zeit bis zu „Friedls“ tatsächlichem Tod im September 2014. Damit könnte die Geschichte zu Ende sein. Ist sie aber nicht.

Denn erstens sind da die bisher rund 140 Filmvorführungen, die das Ehepaar oft persönlich begleitet und mit einem Gespräch nachbereitet. Was auch der Grund ist, warum Streaming vorerst nicht infrage kommt: „Das Ganze lebt vom Austausch und der Gemeinschaft.“ Wie das ankommt und was es auslöst, zeigen die zahlreichen Zuschriften. Da erzählt jemand, dass sie sich durch das Beispiel hat inspirieren lassen, selbst alte Menschen im Heim zu besuchen. „Schon dafür hätte sich der Film gelohnt!“

Nun wird ein Freund begleitet

Andere, so Roggenhofer, berichteten, dass erst durch die Demenz eine vorher ungekannte Nähe zu den Eltern entstanden sei. Einer der Gründe, warum der 60-Jährige Demenz im Alter eine „Riesenchance“ nennt. Für Angehörige, aber auch für die Erkrankten, die „den Rucksack ihres Lebens ablegen und frei von Problemen im Moment leben können“.

Wie jemand das tut, erlebt das Ehepaar seit Dezember 2023 ein zweites Mal. Diesmal ist es ein Freund, Ende 80. Seitdem Günter und Anna ihm einen Platz verschaffen konnten, sind sie wieder fast täglich im Heim. „Das Personal hat sich geändert, die Bewohner auch, die Situation ist gleich geblieben: Jede Umarmung zaubert den Menschen ein Lächeln ins Gesicht.“ Ihr Antrieb ist vor allem der Wille, sich zum Wohl der Gesellschaft einzubringen, statt „Dinge zum Thema zu machen, die uns letztendlich teilen und spalten“.

Dazu passt, dass Roggenhofer und Daller, mit großem Engagement unterstützt von Thomas Bogner – „bezahlen könnten wir das sicher nicht“ –, nach wie vor für die Verbreitung des Films sorgen. Rund 60 Anfragen haben sie derzeit. „Im Vordergrund steht nicht Gewinnmaximierung, wir wollen nur keinen Verlust machen. Es ist kein klassisches Business, sondern eine Herzensangelegenheit. Wir wollen den Menschen die Angst nehmen, indem sie sehen, wie bereichernd ein Leben sein kann, bei dem man die Demenz in den eigenen Alltag integriert.“ Am 21. September, dem Welt-Alzheimertag, wird die Doku „aus Wertschätzung für die Kinos“ kostenfrei zur Ausstrahlung zur Verfügung gestellt. Weitere Interessenten können sich unter demenzdoku.de melden. Im Capitol Grafing läuft der Film an diesem Tag um 19 Uhr. Wie Günter Roggenhofer und Anna Daller ihn zusammenfassen würden?„Wir können alle viel mehr als wir denken, man muss es halt probieren.“

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