Gesundheit:Die entscheidenden Minuten

Gesundheit: In Erste-Hilfe-Kursen kann man an einer Puppe lernen, mit dem Defibrillator umzugehen.

In Erste-Hilfe-Kursen kann man an einer Puppe lernen, mit dem Defibrillator umzugehen.

(Foto: Florian Peljak)

Im Landkreis Ebersberg werden immer mehr öffentliche Defibrillatoren aufgestellt, die Leben retten können. Was im Ernstfall zu beachten ist.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

"Piiiieeep - "Achtung! Zzzzzzz-Dunk!" Jeder hat vermutlich schon einmal im Film gesehen, wie ein Defibrillator zum Einsatz kommt. Meist in einer dramatischen Szene, in der der Herzmonitor eine Flatline, also einen Herzstillstand, anzeigt, und der Held oder die Heldin jemandem im letzten Moment das Leben rettet - oder eben nicht. Im Landkreis Ebersberg gibt es immer mehr öffentliche Defibrillatoren, die es theoretisch jedem erlauben, ein technisch hochgerüsteter Samariter zu sein. Doch wie funktionieren die Geräte und was ist bei ihrer Anwendung zu beachten?

"Das mit der Flatline ist natürlich Unsinn", räumt Martha Stark gleich mit dem ersten Klischee auf. Sie ist stellvertretende Geschäftsführerin des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Ebersberg. "Ich bin seit 30 Jahren im Rettungsdienst und bilde mindestens genauso lange am Defibrillator aus", berichtet sie. "Den Defi benutzt man bei einem Herzkammerflimmern, nicht bei einem Herzstillstand."

Der Defibrillator erreicht, dass wieder ein gleichmäßiger Herzrhythmus einsetzt

Thomas Wittko, Kardiologe am Internistischen Zentrum Ebersberg, erklärt, wie das funktioniert. "Bei einem Kammerflimmern gerät der Taktgeber des Herzens, der Sinusknoten im rechten Vorhof, aus seinem normalen Rhythmus." Der Sinusknoten gibt elektrische Impulse ab, die das Herz kontrahieren. Der elektrische Impuls des Defibrillators soll dafür sorgen, dass die Herzmuskelzellen nach einem kurzen Stillstand wieder synchronisiert werden.

Dafür werden die Elektroden des Defibrillators unterhalb des rechten Schlüsselbeins und am linken Brustkorb seitlich, unterhalb der Achselhöhle, angebracht. Bei einer Spannung von 1000 Volt und einer Stromstärke von zehn Ampere werden ein oder mehrere Stromstöße abgegeben. Im Idealfall fängt das Herz dann wieder an, von alleine in einem gleichmäßigen Takt zu schlagen.

Schon im 18. Jahrhundert experimentierte man mit der Auswirkung der neu entdeckten Elektrizität auf den menschlichen Körper

Die Geschichte der Verwendung von Elektrizität in der Herzmedizin geht weit zurück. Bereits im 18. Jahrhundert soll mithilfe einer sogenannten "Leidener Flasche" - eine Frühform des Kondensators - ein dreijähriges Kind reanimiert worden sein. Im 19. Jahrhundert zeigten die beiden Schweizer Ärzte Jean-Louis Prevost und Frédéric Batelli an Hunden, dass man ein künstlich hervorgerufenes Kammerflimmern mittels eines Stromstoßes wieder beseitigen kann.

Das 20. Jahrhundert brachte weitere Durchbrüche wie die erste Defibrillation an einem Menschen durch Naum Lazarevich Gurvich im Jahr 1944 in Moskau. In der Sowjetunion der 1950er Jahre und im Irland der 1960er Jahre wurden schließlich portable Defibrillatoren hergestellt. Die ersten Geräte, die in nennenswerter Stückzahl eingesetzt wurden, wogen 50 bis 70 Kilo und brauchten ein eigenes Fahrzeug. Bald verloren sie an Gewicht. In den 1970er Jahren waren es noch sieben Kilo. Heute wiegt ein Defibrillator ungefähr drei Kilo.

"Je früher man einen Stromstoß absetzt, desto besser"

Die Entwicklung und Verbreitung von Defibrillatoren ist auch eine Reaktion auf die Tatsache, dass die Haupttodesursache in modernen Industriegesellschaften Herzkreislaufstörungen sind. Laut Statista starben im Jahr 2019 rund 331 000 Menschen in Deutschland an derartigen Erkrankungen, was mehr als ein Drittel aller Todesfälle in diesem Jahr ausmachte.

Um dem entgegenzuwirken, gehören Defibrillatoren längst zur Standardausrüstung eines Rettungsdienstleisters. Das Problem ist nur, dass diese meistens einige Zeit brauchen, bis sie am Einsatzort sind. Zeit, die im Falle eines Kammerflimmerns kostbar ist. "Je früher man die Situation erkennt und einen Stromstoß absetzt, desto besser", erläutert Martha Stark vom Roten Kreuz. Wittko ergänzt: "Wenn das Herz zu lange ohne Sauerstoff bleibt, geht es kaputt, die Zellen sterben ab." Die Chance, dass man wieder einen stabilen Rhythmus erreicht, sinkt pro Minute um zehn Prozentpunkte.

Am besten wirkt der Schock, wenn man ihn maximal zwei Minuten nach dem Erkennen der Situation abgibt

In einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie heißt es dazu, dass die "Überlebensrate 24 Stunden nach dem Ereignis 55 Prozent betrug", sofern der Schock "maximal zwei Minuten nach Erkennen der Situation abgegeben wurde". Andernfalls waren die Chancen signifikant schlechter.

Die Notwendigkeit, möglichst schnell einen lebensrettenden Schock abzugeben, führte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dazu, dass immer mehr "Automatisierte Externe Defibrillatoren" (AEDs) im öffentlichen Raum angebracht wurden, in ganz Deutschland und auch im Landkreis Ebersberg. Die ersten dieser Geräte wurden bereits in den 1970er Jahren unter dem Namen "Heart-Aid" in den USA verteilt. Der Anwender musste damals noch eine Röhre samt Elektrode in den Rachen des Patienten schieben, um die Notwendigkeit eines Schocks abzuschätzen. Heute geschieht das einfach über die Elektroden, die man am Brustkorb anbringt.

Der Defibrillator ergänzt die anderen lebenserhaltenden Maßnahmen nur, er ersetzt sie nicht

Wenn man den kleinen Koffer mit dem weißen Herz und dem Blitzsymbol im Notfall benutzt, "sagt einem das Gerät genau, was man tun soll. Man wird Schritt für Schritt geführt", lobt Stark die AEDs. "Man kann wirklich nichts falsch machen." Das Gerät sagt einem, ob ein Stromstoß nötig ist oder nicht, wie viele davon und auch, wie man die Herzdruckmassage durchführen soll. Diese ist in den allermeisten Fällen immer noch nötig, erläutert Wittko: "Die Basismaßnahmen werden durch den Defibrillator nur ergänzt." Man sollte auf keinen Fall eine zusammengebrochene Person liegen lassen, um ewig nach einem Defibrillator zu suchen. Die Herzdruckmassage sollte sofort, nach Absetzen des Notrufs, angefangen werden.

Stark und Wittko betonen beide, dass in den allermeisten Fällen mehr als ein Ersthelfer oder eine Ersthelferin vor Ort seien. Im Idealfall kann also eine Person die Herzdruckmassage beginnen, eine weitere einen Notruf absetzen und eine dritte einen Defibrillator suchen. "Wenn ich alleine bin, sollte ich den Defi wirklich nur in Erwägung ziehen, wenn er vielleicht zwanzig Schritte entfernt ist und ich genau weiß, wo er sich befindet", rät Stark. Es zahlt sich also aus, mit offenen Augen durchs Büro und die Gemeinde zu gehen. Die Geräte hängen mittlerweile an vielen Orten, so zum Beispiel im Edeka, Josef-Brendle-Straße 1 in Ebersberg, und sind meist auffällig gekennzeichnet. Wie viele AEDs es genau im Landkreis gibt und wo sie sich befinden, ist nicht ganz klar, da es keine zentrale Stelle gibt, die sie dokumentiert. Über den "Defikataster", den es auch als App gibt, lassen sich aber dort registrierte Geräte in der Umgebung finden.

Der Umgang mit AEDs lässt sich in Erste-Hilfe-Kursen üben

Wenn ein AED eingesetzt werden kann, lohnt er sich aber auf jeden Fall. "Ein eigener Herzrhythmus ist auf jeden Fall besser als die Massage", so Wittko. Stark, die den Defibrillator schon unzählige Male eingesetzt hat, erinnert sich an tatsächlich fernsehreife Situationen: "Einmal ist ein Mann in unserem Beisein zusammengebrochen. Wir konnten ihn also sofort mit dem Defi reanimieren, er hat auch gleich wieder die Augen aufgemacht." Auf die Frage, wie es ihm denn ginge, kam die lakonische Feststellung: "Eigentlich besser wie vorher." Doch auch, wenn die Person nicht sofort die Augen öffnet, heißt das nicht, dass man etwas falsch gemacht hat. So lange man die Anweisungen des Geräts befolgt, ist man auf der sicheren Seite.

Wer sich dennoch etwas mulmig bei dem Gedanken fühlt, einen Defibrillator zu verwenden, kann beim BRK einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen. "Seit etwa zehn Jahren ist der Umgang mit dem Defi fest in den Kursen installiert und die Leute sind da auch voll dabei." Ihre häufigste Reaktion sei: "Ach, das ist ja gar nicht so schwer!" Martha Stark jedenfalls sagt: "Man macht nur etwas falsch, wenn man nichts macht!"

Die Standorte von AEDs sind über den Defikataster einsehbar. Informationen zu Erste-Hilfe-Kursen finden Sie auf der Homepage des Kreisverbands des Bayerischen Roten Kreuzes.

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