Süddeutsche Zeitung

Debatte um Asylbewerber:Im Zweifel für die Einheimischen

Lesezeit: 3 min

Integrationsbeauftragter Martin Neumeyer lobt bei seinem Besuch die Eingliederung der Ebersberger Asylbewerber. In Anzing spricht er sich dennoch für eine Begrenzung auf 18 Flüchtlinge aus - "aus Gründen des Friedens".

Von Sophie Rohrmeier

Sie stehen schon da und warten, als Martin Neumeyer und Thomas Huber in der Anzinger Wendelsteinstraße vorfahren. Die beiden CSU-Landtagsabgeordneten haben sich verabredet mit den künftigen Nachbarn der Asylbewerber, die ins alte Forsthaus einziehen sollen. Anwohner und Politiker stehen an der Straße, am Haus nebenan hängt ein blaues Plakat: "30 Männer an der Zahl wird im Wohngebiet zur Qual." "Du, ich versprech' dir, wenn was nicht klappt, rufst mich an", sagt Neumeyer, der Integrationsbeauftragte der bayerischen Regierung, zu einem der Anwohner. Man habe zusammen studiert, erklärt er und ist um Verbindlichkeit bemüht. Eine Stunde später, beim Informationsabend der CSU im Anzinger Forsthof, kommt Neumeyer den Bürgern entgegen: "Eine Begrenzung ist vernünftig. Es ist richtig, wenn wir zugestehen: Es kommen weniger, nur 18 Menschen."

Weniger, als den Regularien gemäß in dem Gebäude Platz hätten. "Aus Gründen des Friedens", wie der Integrationsbeauftragte tags darauf der Süddeutschen Zeitung erklärt: "Sie sollen ja Nachbarn werden." Dass das möglich ist, sollte der Besuch von Neumeyer zeigen. Deshalb besuchte der Integrationsbeauftragte am Montagnachmittag Asylbewerberunterkünfte in Ebersberg und lud am Abend Hassan Ali Djan ein, einen jungen Mann aus Afghanistan, der mit 16 Jahren nach München floh; der "besser Deutsch spricht als ich, aber schlechter Bairisch", wie Neumeyer scherzte; der auf Deutsch erzählt, wie er sich hier "mit bestem Willen an Bildung gehalten" hat, Arbeit und Bestätigung fand.

Diesen Weg geht gerade auch ein anderer afghanischer Junge: Faramarz. Er lebt mit seinen drei jüngeren Brüdern und seinen Eltern seit eineinhalb Jahren in der ehemaligen Hausmeisterwohnung der Ebersberger Realschule. Viele Fremde stehen am Montag dort plötzlich im kleinen Wohnzimmer mit den zwei weißen Sofas und dem Webteppich: Neumeyer, der Grafinger Landtagsabgeordnete Thomas Huber, Mitgliedern der CSU und Mitarbeiter des Landratsamtes. Sie alle drängen sich zwischen den Türen der Wohnung, in die man über eine schmale Treppe gelangt. Fremde Menschen in einem Wohnzimmer, das für die sechsköpfige Familie endlich zu einer Heimat geworden ist - solange sie bleiben dürfen.

"Setzen, bitte", sagt Faramarz' Mutter, doch die Besucher bleiben stehen. So stehen auch Faramarz, seine Eltern und die Geschwister, aufgereiht vor Regalbrettern voller Fußballpokale, die die Jungs gewonnen haben. Gegenüber steht Martin Neumeyer. Er redet gern über Fußball. "FC Bayern oder 1860 München?", fragt er und beugt sich hinunter zum Zweitjüngsten, Farshad. Nur leider sagt der Siebenjährige mit Selbstverständlichkeit: FC Bayern. Das ist offensichtlich nicht ganz, was Neumeyer hören wollte. Aber für ihn steht trotzdem fest: Die Kinder sind bestens integriert. Nachher in Anzing, wo es seit Monaten Proteste gegen eine geplante Unterkunft gibt, berichtet dann Thomas Huber von den beeindruckenden Sporterfolgen und Sprachkenntnissen der Kinder.

Faramarz geht auf die Mittelschule und will kommendes Jahr in den M-Zweig wechseln. "Er ist sehr intelligent, wie auch seine Brüder", sagt Horst Binder zu den Besuchern - der Mann, der schon da war, als all die Besucher die Treppe heraufkamen. Der Rentner kümmert sich ehrenamtlich um die Familie, und versucht jetzt, da ein Vertreter der Regierung da ist, durchzudringen: "Das Problem ist", sagt er mehrmals, bis man ihn hört, "das Problem ist: Sie haben noch keinen Bescheid." Die Familie wolle bleiben und arbeiten. "Ich weiß ja nicht, ob sie sich bemühen", sagt der Integrationsbeauftragte. Ohne Arbeitserlaubnis dürfen Flüchtlinge nicht arbeiten. Für Asylsuchende und Geduldete ist Arbeit in den ersten neun Monaten des Aufenthalts verboten. Danach haben sie Chancen auf einen Job, wenn kein "bevorrechtigter Arbeitnehmer" ihn will, also kein Deutscher, EU-Ausländer oder anerkannter Flüchtling. Neumeyer gibt dann doch noch eine andere Antwort: "Es gibt definitiv keine Abschiebung nach Afghanistan, momentan. Man braucht nicht alle Tage Angst haben."

Für Senegalesen sei die Lage anders, "die haben eigentlich keine Chance", erklärt er später - allerdings nicht vor den jungen Senegalesen, die er nach der afghanischen Familie besucht. Insgesamt 26 Männer leben hier in einem Haus, zwischen Schule und Kindergarten, mitten im Ebersberger Wohngebiet in der Bürgermeister-Müller-Straße. Auf dem Herd köchelt das Linsengericht Daal, aber die Gäste lehnen die Einladung zum Essen ab. Ein paar Fragen warten die Flüchtlinge höflich ab, bis sie sagen: "Wir möchten mehr Tage Schule haben." Sie wollen richtig Deutsch lernen, nicht nur vier Stunden die Woche. "Man kann nicht immer schlafen", sagt einer. Auch nicht in einem schönen Schlafzimmer. Einer der Männer hat die Wand in weiß-blauem Rautenmuster gestrichen, offenbar ist er gern in Bayern. Mit 1860 München aber hat der Anstrich nichts zu tun. Neumeyer hat schon wieder Pech. Zumindest aber gibt es hier kein Problem in den Nachbarn, bestätigt Stefanie Geisler vom Landratsamt. "Das sollte man den Anzingern mal zeigen."

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SZ vom 26.02.2014
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