Dank einer Initiative von Antje Berberich:Vorfahrt für die Kunst

Im neuesten Wohngebiet der Kreisstadt soll an drei Ebersberger Maler erinnert werden: Sowohl Kurt Heuser als auch Martha Pilliet und Heinz Schunn weisen bewegte Lebensläufe auf

Von Wieland Bögel

Die Benennung von Straßen ist eine Kunst für sich. Soll der Name möglichst unverfänglich sein, greift man gerne zu Flora, Fauna und Geografie oder zu bekannten Persönlichkeiten. Doch auch das hat Tücken, wie jeder weiß, der zwar schon einmal die Schiller-, Wendelstein- oder Finkenstraße fand - dann aber feststellen musste, dass sich das Navi dabei leider in der Ortschaft geirrt hatte. Besser für die Orientierung - sowohl in geografischer wie in historischer Hinsicht - ist da die Benennung nach Menschen, die für den jeweiligen Ort bedeutend waren. Am besten, weil sie der Nachwelt auch noch etwas schönes hinterlassen haben, zum Beispiel Kunst. In Ebersberg will man nun drei solche Persönlichkeiten im geplanten Baugebiet Friedenseiche VIII auf Straßenschildern ehren.

Streng genommen sind es eigentlich Weg-Schilder. Denn der Mehrheit der Ebersberger Stadträte gefällt die Endung "Weg" für die drei im Nordwesten Ebersbergs geplanten Zufahrten ins Wohngebiet besser als "Straße" - verkehrsrechtlich macht dies ohnehin keinen Unterschied. Einstimmig fiel dagegen die Auswahl der Namen für die drei Wege aus: Sie werden nach Kurt Heuser, Heinz Schunn und Martha Pilliet benannt.

Zumindest der erste in der Reihe dürfte spätestens seit vergangenem Jahr den meistern Ebersbergern ein Begriff sein: Kurt Heuser. Stadtarchivarin Antje Berberich hatte 2018 aus dem Nachlass des 1975 in der Kreisstadt gestorbenen Künstlers eine große Ausstellung im Rathaus organisiert, samt Beiprogramm - etwa Vorträge oder auch Filme, zu denen Heuser das Drehbuch schrieb - und 200-seitigem Katalog. Berberich gebührt dabei die Ehre, den nahezu in Vergessenheit geratenen Heuser wieder ins Bewusstsein der Nachwelt gebracht zu haben.

Denn der 1903 in Straßburg geborene Heuser hatte ein durchaus interessantes und bewegtes Leben geführt. Nach einer Ausbildung zum Tropenlandwirt versuchte sich Heuser als Baumwollpflanzer in Mosambik. Dort verfasste er auch mehrere, von der Kritik sehr gelobte Bücher, hielt seine neue Heimat in zahlreichen Gemälden fest und war vor allem auch ein eifriger Sammler lokaler Kunst - vieles davon befindet sich heute im Archiv der Stadt Ebersberg. Im Jahr 1930 kehrte Heuser nach Deutschland zurück und arbeitete zunächst als Drehbuchschreiber für die UFA. Eine Arbeit, die er zwar auch nach der Machtergreifung der Nazis ausübte - aber ausdrücklich nicht für deren Propaganda. Laut dem Literaturprofessor János Riesz, der sich umfassend mit Leben und Werk Heusers befasst hat, weigerte sich dieser etwa standhaft, an dem berüchtigten Hetzfilm "Jud Süß" mitzuarbeiten. Was, so die Erkenntnis von Riesz, den Autor fast ins KZ gebracht hätte. Nach dem Krieg bleibt Heuser zwar gut vernetzt in der Szene der Künstler und Schauspieler, allerdings ohne dass es ihm gelingt, selbst Nennenswertes zu veröffentlichen. Seine letzten Jahre widmet er vor allem der Malerei. 1974, kurz vor seinem Tod, erscheint noch sein Buch "Marabella" über die mosambikanische Geschichte vom Kolonialismus bis zum Befreiungskrieg. Literaturforscher Riesz hat Heusers Schicksal so zusammengefasst: "Er war auf dem Sprung zu einem großen Autor - aber der Nationalsozialismus kam leider dazwischen."

Wirklich fatal wirkte sich das Naziregime allerdings auf die zweite Namensgeberin Matha Pilliet aus: Antje Berberich vom Stadtarchiv hat den Lebensweg der 1883 in Hamburg als Martha Strelitz geborene Pilliet rekonstruiert: 1910 war sie nach Ebersberg gezogen, zusammen mit ihrem Mann Johann, einem Kunstmaler. Sechs Jahre später wurde sie zur Witwe, Johann Pilliet fiel im Alter von 46 Jahren an der Ostfront. Danach übernahm Martha Pilliet sein Handwerk und arbeitete als Kunstmalerin. Einige Werke sind erhalten, manche in Privatbesitz, auch das Stadtarchiv hat ein Bild von Martha Pilliet. Es zeigt eine tief verschneite Ortschaft, möglicherweise ein Teil des damaligen Ebersberg. Da es nicht datiert ist, könnte es sich auch um einen Grafinger Straßenzug handeln, denn dorthin ist Pilliet im Jahr 1932 umgezogen. Die Nazis zwangen sie neun Jahre später zunächst zum Verkauf ihres Hauses, im September 1941 dann zum Umzug in eine Sammelstelle für Juden in Berg am Laim. Von dort aus sollte sie im November in ein Lager deportiert werden. Doch dazu kam es nicht: am 17. November 1941 nahm sich Martha Pilliet das Leben, bevor es die Nazis tun konnten.

Diese hätten beinahe auch Heinz Schunn sein Leben gekostet. Der Sohn eines Malers und Zeichenlehrers aus Bistritz in Siebenbürgen wurde 1943 im Alter von 20 Jahren an die Front geschickt, verwundet und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung nahm Schunn 1948 ein Studium an der Münchner Kunstakademie auf, 1952 legte er dort sein Staatsexamen ab, danach arbeitete er einige Jahre als Lehrer an Privatschulen, in Ebersberg lebte er seit 1964. Schunns Vorliebe galt der Natur, auf zahlreichen Reisen durch die ganze Welt sammelte er Inspiration. "Ich wollte Gartenarchitekt werden", verriet Schunn der Ebersberger SZ einmal, nach dem Krieg sei er dann "zur Kunst gekommen, die Faszination an der Natur ist mir jedoch geblieben." Der Druck hatte es Schunn besonders angetan, beginnend mit Holzschnitt nutzte er in späteren Jahren verschiedenste Materialien - bis hin zu Bügeleisen. Doch auch viele andere Techniken finden sich in Schunns reichem Werk, das er bis ins hohe Alter immer erweiterte. Im Jahr 2014 ist Heinz Schunn in Ebersberg gestorben.

Dass er zusammen mit Martha Pilliet und Kurt Heuser nun Namenspatron einer Straße - oder eben eines Weges - wird, ist vor allem Stadtarchivarin Berberich zu verdanken. Da das Namenskonzept vorsieht, in der nordwestlichen Ecke der Stadt örtliche Künstler und vor allem auch Künstlerinnen zu ehren - Frauennamen sind derzeit nämlich auf Straßenschildern deutlich unterrepräsentiert, hatte sie dem Stadtrat Heuser, Pilliet und Schunn vorgeschlagen. Dass den Ebersbergern damit in Zukunft die Namen für neue Straßen ausgehen könnten, steht übrigens nicht zu befürchten: "Ich habe noch einiges in Petto", sagt Berberich und denkt dabei nicht nur an Künstler: "Vielleicht könnte man einmal einen Widerstandskämpfer nehmen?" Welchen denn? Da gibt sich die Stadtarchivarin geheimnisvoll: "Daran recherchiere ich noch."

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