Corona im Landkreis Ebersberg"Ich werde auch wieder auf Rammstein-Konzerte gehen!"

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"In der Krise fahre ich richtig hoch", sagt Brigitte Keller über sich. Diese Eigenschaft wird der 58-Jährigen wohl auch weiter zugute kommen, denn noch ist ein Ende von Corona nicht in Sicht.
"In der Krise fahre ich richtig hoch", sagt Brigitte Keller über sich. Diese Eigenschaft wird der 58-Jährigen wohl auch weiter zugute kommen, denn noch ist ein Ende von Corona nicht in Sicht. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit gut 16 Monaten dominiert das Coronavirus die Arbeit im Ebersberger Landratsamt. Brigitte Keller, die Leiterin des Krisenstabs, über bedrückende Momente, einen denkwürdigen Geburtstag - und Dinge, auf die sie sich jetzt freut

Interview von Barbara Mooser

Eigentlich ist Brigitte Keller Herrin der Kreisfinanzen und im Ebersberger Landratsamt auch für den Bereich Bildung zuständig. Seit März 2020 hat ein winziges Virus die Arbeitstage der 58-Jährigen komplett auf den Kopf gestellt. An Herausforderungen hat es der Lindacherin, die Chefin des Corona-Krisenstabs im Landratsamt ist, seitdem nicht gemangelt. Jetzt lässt Corona gerade eine kurze Atempause - Zeit für eine Zwischenbilanz.

SZ: Als im vergangenen Sommer kein einziger Coronafall im Landkreis mehr gemeldet, die Null also erreicht war, haben Sie und Ihre Mitarbeiterin den Krisenstab mit Muffins belohnt. Gibt es bald wieder etwas Süßes?

Brigitte Keller: Wir werden die Null wohl leider nicht mehr erreichen. Aber ich kann schon mal einen Ausblick bieten: Zur 200. Sitzung des Krisenstabs wird es wieder eine Überraschung geben. Das wird wohl irgendwann im Herbst sein.

Der Landkreis ist - wie im Prinzip die ganze Welt - seit gut 16 Monaten im Krisenmodus. Haben Sie im März 2020 damit gerechnet, dass es so kommt?

Ja, ehrlich gesagt schon. Seit der erste Fall bei Webasto aufgetreten ist, habe ich mich sehr viel damit beschäftigt. Und ich habe gesehen, dass Corona sich auch in sehr warmen Ländern verbreitet hat. Diese damals vorherrschende Ansicht, dass sich das mit Corona im Sommer mehr oder weniger von selbst erledigen würde wie bei der Grippe, habe ich nie geteilt. Ich habe mich schon darauf eingestellt, dass uns das nicht so schnell in eine Normalität entlassen wird.

Gab es einen Moment, in dem Ihnen der Ernst der Lage ganz deutlich bewusst geworden ist?

Ehrlich gesagt, den größten Schock hatte ich, als wir von der Staatsregierung Hinweise bekommen haben, wie wir mit den Todesopfern umzugehen haben. In dem Schreiben ging es unter anderem um Leichensäcke - das war für mich ein Moment, der mich wirklich sehr bedrückt hat. Damals lag der Tod meiner Eltern nicht weit zurück, sie sind dicht aufeinander innerhalb eines Jahres, 2018 und 2019, verstorben. Und ich dachte immer wieder, wie schlimm es für mich gewesen wäre, wenn meine Eltern diese Zeit noch erlebt hätten. Das war für mich persönlich immer wieder die Triebfeder, wirklich alles zu tun, was man tun kann als einzelner Mensch. Es gab so viele Menschen, die das ähnlich gesehen haben, nicht nur im Landratsamt, auch bei den Blaulichtorganisationen, oder die extrem vielen Ehrenamtlichen, die beispielsweise Masken genäht haben. Das waren auch tolle Momente, in denen man das Gefühl hatte: Menschen sind für Menschen da. Es gab also auch schöne Erfahrungen in der Krise. Unsere Generation ist ja behütet aufgewachsen, so was haben wir bisher noch nie erlebt. Corona hat unser Leben sicher stark verändert. Vielleicht war es in den Jahren zuvor von allem zu viel, das kann auch sein. Überall muss man gewesen sein, noch größer, noch schneller, noch weiter - und dann war ganz abrupt alles ganz anders. Das ist schon etwas, was wahrscheinlich allen in Erinnerung bleiben wird.

Ist Ihnen der Krisenstab eigentlich qua Amt zugefallen oder haben Sie sich freiwillig gemeldet?

Wir haben uns ja mit Corona schon ein paar Tage vor der Gründung des Krisenstabs beschäftigt. Da war der Katastrophenfall noch gar nicht ausgerufen. Natürlich war ich in diesen ersten Gesprächen dabei, als es beispielsweise darum ging, welche Schutzmaßnahmen wir ergreifen. Sehr früh haben wir gemerkt, dass wir auch unsere Spezialisten brauchen, so hat sich eine Runde etabliert - und irgendwie ist mir das dann geblieben.

Sie haben ja gelegentlich sogar das Bürgertelefon auf sich umgestellt, also tagsüber Corona-Krisenmanagement im Landratsamt und abends daheim?

Oh ja. Aber nur ganz am Anfang. Als Anfang März die ersten Bürgeranrufe reingekommen sind und die Leute wissen wollten, wie sie sich in der Quarantäne verhalten müssen, brauchten sie ja schließlich einen Ansprechpartner. Ein Tag, den ich nie vergessen werde, war der 12. März 2020, es war der letzte Anlass, bei dem ich privat im größeren Kreis Freunde und Verwandte eingeladen hatte. An diesem Tag hatte ich die IT gebeten, die Anrufe zu mir nach Hause umzuleiten, damit die Leute überhaupt einen Ansprechpartner haben. Von meinem Geburtstag habe ich dann wenig mitbekommen, denn wenn ich mit einem Bürger telefoniert habe, waren schon fünf andere in der Warteschleife. So war das dann die ganze Nacht, und am anderen Morgen um 6 Uhr ging es dann schon wieder weiter. An diesem Tag war mir klar: Wir müssen ein Bürgertelefon einrichten. Teilweise haben sich im Haus mehr als 40 Mitarbeiter aufs Bürgertelefon aufgeschaltet, um mit den Menschen zu sprechen, ihnen Hinweise und Antworten auf ihre Fragen zu geben. Oder ihnen oft auch nur zuhören.

Anfangs wusste man ja sehr wenig über das Virus, die ganze Welt hat gewissermaßen zusammen gelernt. War es denn schwierig, hier dann auf Fragen Auskunft zu geben?

Für mich nicht. Denn ich habe den Menschen immer gesagt: Wenn Ihr für die Gesellschaft was tun wollt und auf Nummer sicher gehen wollt, bleibt einfach zuhause und nehmt es ernst.

Was war Ihr längster Arbeitstag?

Ich habe viele lange Arbeitstage. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ich von acht Uhr morgens bis Mitternacht arbeite.

Immer noch?

Ja, immer noch, auch am Wochenende bin ich meistens im Einsatz. Aber ich mache das auch einfach sehr gerne. Und ich freue mich auch am Wochenende, wenn ich jemandem helfen kann. Die Leute sind dankbar, auch wenn ich vielleicht mal nur einen Kontakt vermitteln kann.

Was war im Rückblick die schwierigste Herausforderung?

Die allerschwierigeste Entscheidung war damals tatsächlich, das Hilfskrankenhaus einzurichten. Man hatte ja damals die Bilder von Bergamo vor Augen, und man war so unsicher: Was macht die Krankheit? Was passiert mit unserem Land? Zum Glück ist bei uns dann ja nicht passiert, was in Bergamo passiert ist, die Gründe dafür müssen Spezialisten analysieren. Aber das konnte man damals ja nicht wissen. Diese Entscheidung für das Hilfskrankenhaus war unglaublich belastend, nicht die Arbeit an sich, sondern die Vorstellung, was dann da passiert: Menschen, die schwer krank sind, müssen in einer Turnhalle behandelt werden. Dann habe ich mir aber gedacht, wenn die Klinik überläuft, ist das die beste Möglichkeit, sich um die Menschen zu kümmern - besser, als wenn sie auf den Gängen der Klinik liegen oder sogar zuhause bleiben müssen und dort ersticken. Alle möglichen Gedanken haben einen da verfolgt. Heute natürlich nicht mehr, wir haben ja viel besser gelernt, das alles einzuordnen. Aber 2020 waren wir alle von diesen Bildern geprägt und auch unglaublich besorgt.

Gab es denn einen Moment, an dem Sie daran gedacht haben, alles hinzuschmeißen?

Nie! Ganz im Gegenteil. Je mehr ich das Gefühl habe, dass eine Situation schwierig wird, je undurchsichtiger die Lage wird, umso mehr sehe ich meine Aufgabe, einen Beitrag zu leisten, dass wir wieder Durchblick kriegen. Also in der Krise, glaube ich, fahre ich richtig hoch. Ich kenne den Landkreis so gut, ich habe so viele Erfahrungen hier im Haus, ich kenne auch so viele Menschen und weiß, was sie imstande sind zu leisten. Die kennen auch mich. Und dann findet man in der Krise zusammen. Man hat eine gemeinsame Aufgabe und weiß auch, dass man sie gemeinsam stemmt.

Wie sind Ihre Prognosen, wie geht es weiter?

Da bin ich sehr ernüchtert. Man sieht ja, was jetzt passiert, in Großbritannien oder Spanien, mit Inzidenzen über 300 oder 400. Das besorgt mich aber nicht wirklich. Entscheidend ist: Kann unser Gesundheitssystem gut mit den Menschen umgehen, die erkranken? Mehr Sorge macht mir, dass viele Leute sich dafür entscheiden, sich nicht impfen zu lassen. Natürlich verstehe ich, dass viele Menschen unsicher sind und sich Gedanken darüber machen, was sie da verabreicht bekommen. Aber unsere ältere Bevölkerung ist mutig und im Vertrauen auf die Wissenschaftler vorangegangen, den Erfolg hat man schnell gesehen. Die Erkrankungszahlen in der Altersgruppe der über 80-Jährigen sind sofort zurückgegangen. Da hätte ich mir mehr den Ruck gewünscht in der jüngeren Bevölkerung, ich hätte mir gewünscht, dass die Leute erkennen: Das ist das, was wir jetzt tun sollten. Das ist unsere Chance, uns gegenseitig zu schützen. Nicht jeder kann sich impfen lassen, etwa Kinder oder Menschen mit Vorerkrankung. Aber alle, die es können, sollten nur auf die Impfung verzichten, wenn ihnen der Arzt abrät. Das ist meine ganz persönliche Meinung. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich mich freue, wenn die Inzidenz sinkt und ich vielleicht weniger Arbeit habe. Ich will einfach nicht, dass die Menschen krank werden.

Wie gehen Sie denn mit Impfgegnern im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis um?

Ich sage natürlich, dass ich geimpft bin und damit nicht nur mich, sondern auch andere schütze. Und ich sage, dass ich es schade finde, wenn sich jemand anders entscheidet. Aber ich akzeptiere das auch. Wir sind eine Gesellschaft, wir sind in unseren Meinungen vielfältig, man muss dann zusammen einen Weg finden.

Denken Sie, dass wir das Allerschlimmste jetzt hinter uns haben?

Das weiß ich nicht. Das weiß ich wirklich nicht. Mein Gefühl sagt mir aber, dass der Mensch schon so viele Krisen gemeistert hat und auch diese meistern wird. Wir haben kluge Menschen in unserem Land, wir haben kluge Menschen auf der Welt - wir kommen da durch, wir werden das gemeinsam gut schaffen. Und ich werde auch wieder auf Rammstein-Konzerte gehen!

Echt?

Ja, das Konzert in Zürich ist jetzt zum zweiten Mal verschoben worden, auf 2022, da gehe ich hin. Ich bin großer Rammstein-Fan. Und ich bin ganz optimistisch, dass dieses Konzert stattfindet.

Dürfen Sie denn in Urlaub fahren dieses Jahr?

Ja, ich fahre zum Hochseeangeln an die Ostsee nach Heiligenhafen. Das war schon immer so, und daran hat Corona auch nichts geändert.

© SZ vom 24.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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