Corona im Landkreis Ebersberg:"Die Situation ist unvorhersehbar"

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Bundesweit schlagen Intensivmediziner wegen steigender Patientenzahlen Alarm, in der Ebersberger Kreisklinik hingegen gibt es noch freie Kapazitäten. Ein Grund zur Entwarnung ist das für den Pandemiebeauftragten Peter Lemberger trotzdem nicht.

Interview von Johanna Feckl

Die Corona-Infektionszahlen steigen, und zwar bundesweit - trotz verstärkter Impf- und Teststrategie. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Kreisklinik in Ebersberg? Darüber hat die SZ mit Peter Lemberger gesprochen, dem stellvertretenden Ärztlichen Direktor der Klinik, Chefarzt für Anästhesie und den operativen Teil der Intensivmedizin und zugleich Pandemiebeauftragten. In dieser Funktion ist der 59-Jährige verantwortlich für die optimale Planung der Kapazitäten an der Klinik.

SZ: Herr Lemberger, die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat am vergangenen Wochenende den bisherigen Höhepunkt der Auslastung aller Intensivbetten in Deutschland während der gesamten Corona-Pandemie gemeldet. Herrscht an der Kreisklinik aktuell auch Höchststand?

Peter Lemberger: Bei uns ist die Lage weniger dramatisch. Wir haben seit ungefähr vier Wochen einen recht gleichbleibenden Stand bei der Belegung - was Covid anbelangt, hatten wir Ende 2020 und während der ersten Welle im vergangenen Frühjahr mehr Patienten. Aktuell sind es immer um die fünf Covid-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen - das bringt uns bei weitem nicht an die Grenzen. Auf der Isolierstation ist die Belegung sogar eher rückläufig. Da behandeln wir im Moment fünf Covid-Patienten und sechs Verdachtsfälle, das waren zusammen genommen auch schon bis zu 20.

Das klingt sehr konträr zu den deutschlandweiten Entwicklungen. Hat Ebersberg bislang einfach Glück?

Peter Lemberger, Chefarzt für Anästhesie im Klinikum Ebersberg, wirbt dafür, sich einfach zu trauen, wenn es um Leben und Tod geht. (Foto: Kreisklinik Ebersberg)

Im Landkreis liegt die Sieben-Tage-Inzidenz seit geraumer Zeit unter 100. Ich glaube, dass sich das konsequente Impfen der älteren Mitbürger diesbezüglich sehr positiv ausgewirkt hat, die Seniorenheime beispielsweise sind durchgeimpft. Das macht sich bemerkbar bei uns, denn wir haben kaum noch Patienten aus Heimen oder generell Covid-Erkrankte über 80 Jahre - gerade zur ersten Welle hat uns die große Zahl solcher Patienten sehr zu schaffen gemacht. Aber ich kann abschließend nicht erklären und nur spekulieren, weshalb wir im Vergleich zu vielen anderen Kliniken in Deutschland bislang so gut dastehen.

Die Erkrankten sind also nun jünger und landen dennoch in der Klinik?

Allgemein geht die Tendenz hin zu jüngeren Betroffenen, die uns in der Klinik überhaupt nicht erreichen, weil sie eher milde Verläufe haben. Der momentane Gipfel bei uns besteht aus Patienten zwischen 50 und 70 Jahren. Viele davon sind vorerkrankt, etwa aufgrund einer Lungenkrankheit oder weil sie an hohem Blutdruck oder anderen Herz-Kreislauferkrankungen leiden.

Bluthochdruck ist ja nicht gerade selten ...

Das stimmt, etwa jeder vierte Mensch hat einen hohen Blutdruck. Und solche Menschen neigen zu schweren Covid-Verläufen, das konnten wir in der Vergangenheit immer wieder beobachten. Aber die gute Nachricht: Mittlerweile versterben weniger Menschen an Corona, bei uns gab es seit mehreren Wochen keinen Todesfall. Hochbetagte Patienten, die in der Vergangenheit schwere Verläufe mit hoher Sterblichkeit hatten, kommen inzwischen kaum noch zu uns, vermutlich wegen der hohen Impfrate. Was hingegen jetzt auffällt ist die lange Liegedauer der Patienten auf der Intensivstation: Die Jüngeren überleben meistens, leiden aber an langwierigen Verläufen. Aktuell haben wir zum Beispiel einen schwerst betroffenen Patienten, der seit zwei Monaten bei uns behandelt wird.

Wenn Patienten so lange stationär behandelt werden, sind dadurch personelle Ressourcen sowie gegebenenfalls Beatmungskapazitäten lange gebunden, oder?

Ja. Umso besser ist es für uns, dass aktuell so wenig neue Patienten hinzukommen. Wenn jede Woche solche Patienten mit extrem langwierigen Verläufen hinzukämen, dann wären wir schon sehr bald überlastet.

Aber es bleibt festzuhalten: Aktuell gibt es ausreichend Intensivplätze.

Auf jeden Fall. Wir betreiben unsere reguläre Anzahl an Intensivbetten. Zeitweise haben wir sie sogar um zwei Betten eingeschränkt, weil wir so viele Isolierpatienten - auch unabhängig von Corona - haben, deren Versorgung einen hohen Aufwand für das Personal bedeutet. Wir haben aber bei Bedarf die Möglichkeit, bis zu 25 Beatmungen durchzuführen. Was wir vorsorglich schon jetzt machen, das ist die Verschiebung elektiver Eingriffe von Patienten, bei denen wir von einer intensivpflichtigen Behandlung nach der Operation ausgehen. Akute Erkrankungen oder Tumorpatienten werden selbstverständlich sofort behandelt, da wird nichts verzögert.

Die Beatmungskapazität scheint in Ebersberg also derzeit kein Problem darzustellen. Wie geht es aber dem Pflegepersonal sowie den Ärzten und Ärztinnen?

Insbesondere unser Pflegepersonal ist sehr stark beansprucht. Niemand weiß, in welche Richtung die Entwicklungen gehen werden, das ist eine enorme psychische Belastung - und die wird immer mehr, die Kräfte verbrauchen sich nun einmal auch. Bei vielen nimmt die Befürchtung zu, dass die Pandemie und die damit einhergehende Unsicherheit in der Arbeit niemals ein Ende nimmt. Und nicht nur die Behandlung der intensivpflichtigen Patienten ist herausfordernd, sondern auch auf der Isolierstation ist der Versorgungsaufwand sehr viel höher als bei anderen Patienten. Wir haben eine sehr gute Stammmannschaft - aber wir bewegen uns trotzdem immer an der Grenze zum Personalmangel.

Was würde passieren, sollten künftig mehr Corona-Patienten intensiv behandelt werden müssen, sodass die aktuellen Ressourcen nicht ausreichen?

Wir haben immer die Möglichkeit, Personal aus anderen Bereichen zuzuschalten, indem wir beispielsweise alle elektiven und nicht lebensnotwendigen Operationen verschieben oder eine Station schließen, so wie wir es im vergangenen Jahr zeitweise gemacht haben. Sehr gut eignet sich das Anästhesiepersonal, denn das hat zum Teil die gleiche fachliche Weiterbildung wie das auf der Intensivstation - die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, wie man ein Beatmungsgerät bedient. Aber sollten solche Entscheidungen notwendig werden, werden sie auch immer eine gewisse Kompromisslösung bleiben.

Wie meinen Sie das?

Wenn wir Personal aus anderen Bereichen auf die Intensivstation zuschalten, schwächen wir diese Bereiche. Außerdem ist es für das Personal natürlich eine besondere Belastung, abseits seiner Routine die anspruchsvolle Betreuung unserer Intensivpatienten zu übernehmen. Um so mehr sind wir besonders dankbar für die Flexibilität unseres Pflegepersonals, das hier Herausragendes leistet.

Ist der Alarm, den unter anderem die DIVI sowie viele andere Wissenschaftlerinnen und Mediziner geschlagen haben, übertrieben?

Nein, auf gar keinen Fall. Nochmal: Für uns in Ebersberg stellt sich die Lage aktuell nicht so dramatisch dar. Aber: Die Situation in den Kliniken entwickelt sich sehr dynamisch und ist unvorhersehbar. Wir waren auch schon überbelegt und mussten Patienten in andere Kliniken verlegen. Ich kann nicht für die Zukunft sprechen und sagen, ob die Situation an unserer Kreisklinik so bleiben wird, wie sie jetzt ist.

© SZ vom 14.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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