Corona in EbersbergBoostern boomt

Lesezeit: 4 Min.

Im Impfzentrum steigt die Nachfrage nach einem dritten Piks, auch in den Praxen stehen die Telefone nicht mehr still. Sorgen um einen möglichen Engpass bei den Vakzinen sind aber unbegründet.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Eines Tages habe ein Mitarbeiter der Telekom bei einer Hausarztpraxis in Grafing angerufen, erzählt der Zornedinger Mediziner Marc Block. Ob alles in Ordnung sei, habe der Mann von der Telekom wissen wollen - ein Patient habe bei der Hotline nachgefragt, ob etwas mit der Telefonleitung nicht stimme, weil niemand erreichbar gewesen sei. "Dabei kam der Patient einfach nur nicht durch, weil die Telefone in den Praxen nicht mehr still stehen." Die Anekdote, die der Ärztliche Koordinator der niedergelassenen Praxen im Landkreis Ebersberg und Corona-Krisenstabsmitglied, erzählt, ist einer seiner Kolleginnen geschehen. Und sie könnte kaum besser widerspiegeln, welch enormem Andrang Arztpraxen und Impfzentrum dieser Tage gegenüber stehen: Die Corona-Booster-Impfungen boomen. Es ist anzunehmen, dass die Nachfrage noch einmal steigen wird. Denn ab sofort können sich alle gegen Corona doppelt Geimpften ab 18 Jahren ihre Auffrischimpfung bereits holen, wenn der letzte Piks fünf Monate zurückliegt - eine Erklärung der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Donnerstag sowie eine Mitteilung der Bayerischen Staatsregierung von dieser Woche machen es möglich. Die SZ hat nachgefragt, wie es Ärzten und Mitarbeitern der Praxen mit dieser riesigen Nachfrage ergeht.

Bislang galt die offizielle Stiko-Empfehlung, dass nur über 70-Jährige nach sechs Monaten geboostert werden sollen. Die meisten Praxen und auch die Ärzte vom Ebersberger Impfzentrum hielten sich akribisch daran, oft wurden Menschen, die diese Kriterien nicht ganz erfüllten, wieder nach Hause geschickt. Ohne Impfung. Der Grund dafür: Sollte es zu dem sehr seltenen Fall eines Impfschadens kommen, hätte der Arzt persönlich haften müssen. Eine Tatsache, die vielen Menschen nicht bewusst war - klar, denn von der Politik gebe es immer wieder Aussagen, die die geltenden medizinischen Vorgaben konterkarieren, sagt Marc Block. "Das führt zur in letzter Konsequenz zur Erschöpfung bei uns."

Das hört man auch von anderen Stellen. Die Impfungen zu koordinieren, sei mittlerweile kein großes Problem mehr, auch wenn es an sich bereits viel Arbeit bereite, sagt Irene Lex, leitende medizinische Fachangestellte in der Gemeinschaftspraxis Nimmrichter und Müller am Forstinninger Standort. 30 bis 36 Menschen täglich impfen sie in Forstinning neben dem regulären Praxisbetrieb. "Wir müssen dabei unfassbar viel Aufklärungsarbeit leisten, weil die Politik jeden Tag etwas anderes mitteilt", erklärt Lex. Ein hoher Aufwand, der in den Praxen aktuell zu bewältigen ist. Die Leute seien verständlicherweise verwirrt und verunsichert - und hätten dementsprechend viele Fragen. "Aber für uns wird das dann einfach schwierig - wir müssen es jetzt wieder ausbaden und arbeiten wirklich am Limit."

Solch lange Schlangen wie im vergangenen November sieht man zwar heute nicht mehr vor dem Ebersberger Impfzentrum - aber um die 100 Impfwillige kommen auch heute noch jeden Tag.
Solch lange Schlangen wie im vergangenen November sieht man zwar heute nicht mehr vor dem Ebersberger Impfzentrum - aber um die 100 Impfwillige kommen auch heute noch jeden Tag. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nun hat die Stiko ihre Empfehlung ausgeweitet und die Erklärung der Bayerischen Staatsregierung ist mit einer Haftungsfreistellung für Ärzte verbunden, wie Corona-Krisenstabsmanagerin vom Landratsamt Brigitte Keller erklärt. Das Booster-Angebot gilt damit für alle ab 18 Jahren und bayernweit ab fünf Monaten nach der Zweitimpfung, und zwar sowohl bei den öffentlichen Angeboten des Landkreises, also im Impfzentrum in Ebersberg, in der Außenstelle in Poing und beim mobilen Impfbus, als auch bei den niedergelassenen hausärztlichen Praxen. Ein positives Signal für alle Impfwilligen. Für Praxen und Impfzentrum bedeutet es wohl: Noch mehr Arbeit rollt auf sie zu.

Nichtsdestotrotz: Geimpft wird so viel wie möglich, sowohl im Impfzentrum als auch in den Praxen. In der Gemeinschaftspraxis Nimmrichter und Müller hat man sich zum Ziel gesetzt, bis Ende des Jahres noch 1000 weitere Impfungen vorzunehmen, wie Irene Lex erklärt. Davon, schätzt sie, würden etwa 900 Booster-Pikse sein - die Anfragen nach Erst- und demgemäß auch nach Zweitimpfungen halten sich in Grenzen. Hauptsächlich seien das Jugendliche, Erwachsene könne sie an einer Hand abzählen. "Diese Woche waren es fünf, und das war schon richtig viel." Am Mittwoch gab es laut den offiziellen Zahlen des Landratsamtes 122 Erstimpfungen. Wie viele hiervon auf Erwachsene und auf unter 18-Jährige fallen, ist nicht ersichtlich.

Froh über die Verkürzung des zeitlichen Abstands bis zur Drittimpfung zeigt sich eine Ebersberger Hausärztin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Was ich an Impfdurchbrüchen sehe - da sind sechs Monate einfach zu lang", sagt sie. Es gebe keinen medizinischen Grund, der gegen ein Boostern nach fünf Monaten spricht. Das sagen auch führende Wissenschaftler. "Ehrlich gesagt, habe ich meine Patienten auch bis jetzt nicht nach dem genauen Datum der Zweitimpfung gefragt", so die Ärztin weiter. Ihr Patientenstamm setze sich ohnehin überwiegend aus Menschen über 60 und 70 Jahren zusammen. "Ich finde es wichtig, dass so viele wie möglich und so schnell wie möglich ihre Drittimpfung erhalten." Deshalb machen die Booster mittlerweile den Großteil der Arbeit in ihrer Praxis aus. Geimpft wird nur noch mit Biontech. Dadurch würden Diskussionen vermieden, da viele Menschen andere Impfstoffe ablehnen, und die Mitarbeiterinnen müssten nicht den hohen Aufwand in Kauf nehmen, dass unterschiedliche Vakzine auch unterschiedlich angemischt werden müssen. "Das möchte ich meinen Mitarbeiterinnen nicht zumuten."

Genügend Impfstoff-Nachschub gibt es laut Brigitte Keller vom Krisenstab.
Genügend Impfstoff-Nachschub gibt es laut Brigitte Keller vom Krisenstab. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Denn auch so treiben noch einige andere Faktoren den Stresspegel in die Höhe, wie Marc Block erklärt: Neben dem Boostern und der damit einhergehenden hohen Aufklärungsarbeit kommen noch die vermehrten Grippe-Impfungen hinzu. Dann bringt die Jahreszeit die üblichen Erkältungskrankheiten mit sich, viele Betroffene möchten auf Nummer sicher gehen und sich testen lassen. Da das Diagnostikzentrum nur Asymptomatische testet, landen die Symptomatischen bei den Praxen. Und aufgrund der extrem hohen Inzidenz übernehmen die Praxen nun auch noch Teile der Arbeit des Gesundheitsamts. "Die kommen verständlicherweise mit der Kontaktverfolgung nicht mehr hinterher, also wenden sich Kontaktpersonen oft an uns und fragen: Was soll ich jetzt tun?"

Die ärztliche Routine und Notfallversorgung im Landkreis sei trotzdem weiterhin gegeben, das betont Block. Falls manche Routineuntersuchungen derzeit aber doch mit einer längeren Wartezeit verbunden sind, bittet er um das Verständnis der Patientinnen und Patienten. "Aber die meisten sind ohnehin sehr geduldig."

Und wie ist es um die Impfstoffe bestellt - könnten die bei weiter steigender Nachfrage knapp werden? "Dafür gibt es keine Anzeichen", sagt Brigitte Keller vom Landratsamt. Gleiches hört man von den Praxen. Im Impfzentrum sei man dabei, den Vorrat aufzustocken, so Keller. "Egal was kommt, die Order der Staatsregierung lautet: Impfen, impfen, impfen - und genau das tun wir!"

© SZ vom 19.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Im Landkreis Ebersberg
:Verantwortung übernehmen!

Die Pandemie ist außer Kontrolle - mal wieder. Ob und wann die Lage wieder normal wird, liegt nun an jedem Einzelnen.

Kommentar von Johanna Feckl

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: