Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Ein Hörmusiker im Himmel

Die Kulturszene im Landkreis Ebersberg trauert um den Kritiker Claus Regnault aus Grafing.

Von Anja Blum, Grafing

Bescheidenheit war nicht unbedingt seine Stärke, und doch verstand er es, sich selbst stets mit so viel Humor und Scharfsinn zu inszenieren, dass wohl niemand ihm gram sein konnte. Claus Regnault war einer der letzten Grandseigneurs. Nun muss der Landkreis um ihn trauern: In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist der Grafinger in seinem 92. Lebensjahr verstorben. Bis ins hohe Alter war Regnault agil, geistig sowieso, aber auch körperlich. Der Weg von seinem Wohnort Dichau hinunter in die Stadtmitte war ihm nie zu beschwerlich. Nur für die Rückkehr bergauf bat er oftmals jemanden um einen "Lift". Doch dann brach er sich bei einem Sturz das Bein - worauf eins zum anderen kam.

Bekannt war und ist Regnault vor allem als Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung in Ebersberg. Sein Lebenstraum wäre es gewesen, erzählte er einmal, als Dirigent am Pult zu stehen. Doch das traute sich der junge Claus offenbar nicht zu. "Ich war eben kein Wunderkind - und nach dem Abitur dachte ich dann, es sei zu spät für eine Karriere im Konzertsaal", sagte er rückblickend. Also wurde er Anwalt für Familien-, Erb- und Verkehrsrecht, übernahm die Münchner Kanzlei des Vaters und führte diese rund 50 Jahre lang. Bereits in den 70ern zog Regnault nach Grafing, wegen verwandtschaftlicher Beziehungen zu Antonie Lidl-Schlederer. Zu seiner Familie zählen drei Kinder und drei Enkel.

Geboren wurde Claus Regnault am 30. Dezember 1928 in München - im Herbst 1943 erlebte der damals 15-Jährige die Zerstörungen seiner Heimatstadt hautnah, im Luftschutzbunker sitzend. Seine zwei Talente bekam er offenbar vererbt: Die Mutter Maria Regnault, geborene Cremer, war Konzertgeigerin, hängte ihre Violine laut ihrem Sohn allerdings am Tag der Hochzeit an den Nagel, der Vater Werner Regnault war ein angesehener Anwalt und Aufsichtsrat, der "leidlich Bratsche" spielte.

Claus Regnault hat seinen Beruf als Anwalt nur zum Broterwerb ausgeübt, seine Leidenschaft galt von Jugend an der Musik, dem Jazz und der Klassik, aber auch der Kunst und Literatur. Zu seinen Lieblingsgeschichten zählte "Der Postsekretär im Himmel" von Ludwig Thoma. Schon als Schüler sammelte Regnault Jazzaufnahmen - in der NS-Zeit freilich unerwünscht - und erfreute damit später amerikanische Soldaten. Auch Gustav Mahler, als Jude im Nazi-Deutschland ebenfalls verboten, hörte der junge Claus gern. Er war eben ein Freigeist - und sollte das auch immer bleiben.

Letztlich erfand Regnault sogar seine eigene berufliche Gattung: "Ich wurde Hörmusiker." Am Ende brachte er es auf rund 700 Schellackplatten. Noch mit 90 Jahren besuchte er Musica-Viva-Konzerte, denn er war auch in moderner Musik sehr bewandert und mit einigen zeitgenössischen Komponisten sogar persönlich bekannt, etwa mit Rodion Schtschedrin, Wolfgang Rihm oder Jörg Widmann. Eng befreundet war Regnault auch mit dem Glonner Komponisten Günter Bialas (1907 bis 1995), dessen Nachlass der Grafinger verwaltete. Bialas hatte Regnault auch eingeladen, an der Akademie der Schönen Künste einen Vortrag über die Geschichte des Jazz zu halten - den ersten seiner Art in der Geschichte der Vereinigung. Überdies hat Regnault so manchen jungen Jazzmusiker gefördert, etwa durch Auftritte in seinem ersten Grafinger Wohnsitz in Seeschneid. Zu seinen engen Freunden zählten auch der Pianist Claus Raible und der Saxofonist Günther Klatt.

Doch allein beim Genuss von Musik blieb es dann doch nicht: In den 80er Jahren beschwerte sich Regnault höchstwahrscheinlich wortreich bei der Süddeutschen Zeitung in Ebersberg wegen einer fehlerhaften Konzertkritik - "es war von Dixie die Rede, dabei handelte es sich um Bebop!" - woraufhin die Redaktion ihn einlud, selbst einmal eine Rezension zu verfassen. Das war der Auftakt zu einer langen, fruchtbaren Zusammenarbeit: Regnaults kompetenten und meist schwelgerischen Kritiken von Klassik- sowie Jazzkonzerten im Landkreis erfreuten jahrzehntelang eine nicht unerhebliche Fangemeinde. Vor allem auch in Dichau war er populär: Hier galt er als "Dorfdichter", weil er bei Geburtstagen oder Festen witzig Gereimtes zum Besten gab.

So richtig glücklich wurde Claus Regnault also wohl erst, als zur "spitzen Feder" der Paragrafen die "feinere" der Konzertkritik hinzustieß: Seine Rezensionen waren ausgefeilt wie ein Plädoyer und kenntnisreich wie ein Lexikon. Im Reich der Musik war Regnault ein genialer Autodidakt - und zu Recht stolz darauf. "Er wird uns fehlen und stets in Erinnerung bleiben", schreibt die Musikerinitiative "Jazz Grafing". Wie wahr.

Der Termin der Beisetzung in Grafing wird noch bekannt gegeben.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2021
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