Süddeutsche Zeitung

Kabarett in Ebersberg:Christine Eixenberger betritt Neuland

Die Kabarettistin entfernt sich nochmal mehr von ihrem Thema Schule. Im neuen Programm sucht die Miesbacherin eine Wohnung in der Großstadt.

Von Anja Blum

Fest steht: Eingebildet ist Christine Eixenberger kein bisschen. Trotz ihres Erfolges, trotz voller Säle und bayerischem Kabarettpreis. Sie ist und bleibt der Typ "lustige Nachbarin", die gerne aus ihrem bewegten Leben plaudert, allseits beliebt. Auf dem aktuellen Pressefoto ist die Kabarettistin aus Miesbach stark geschminkt und im Rokokostil gewandet, inklusive weißer Perücke, Korsett und Reifrock. Auf der Bühne aber trägt Eixenberger erst einen grauen Samtstrampler, dann eine beige Kombi aus Jogginghose und Schlabberpulli - beides wenig vorteilhaft. Doch das scheint der hübschen 34-Jährigen herzlich egal zu sein, "die Corona-Pfunde, Sie wissen schon". Dafür steht Eixenberger der Titel ihres vierten Programms umso besser: "Einbildungsfreiheit".

Erst kürzlich hat das neue Solo in München Premiere gefeiert, der Auftritt am Samstag in Ebersberg ist also einer der ersten. "Deswegen war ich schon sehr aufgeregt", gesteht Eixenberger am Ende, den ein oder anderen Zungenknoten lacht sie weg: "Ich wünschte, es wäre ein Rausch!" Das an der Seite bereitstehende Manuskript aber braucht sie kein einziges Mal - das Programm sitzt schon besser als der Strampler. Der Alte Speicher ist übrigens gut gefüllt, erstaunlich gut sogar angesichts von 2G, ein Umstand, der die Kabarettistin sichtlich erfreut. Im Gegenzug bietet die 34-Jährige dem Ebersberger Publikum beste Unterhaltung, indem sie Einblick gewährt in ihr Dasein als junge Frau auf der Suche nach dem für sie passenden Lebensmodell. Das Thema Grundschule, mit dem Eixenberger als Ex-Lehrerin die Herzen im Nu erobert hatte, scheint relativ abgegrast zu sein, so dass die Kabarettistin sich in ihrem vierten Programm weiter anschickt, neue Gebiete zu erobern. In diesem Fall: den Immobilienmarkt in und rund um München. Ein Landei zieht in die Stadt - oder auch nicht? Darum geht es. Bislang habe sie das bayerische Oberland nie verlassen, sagt die Kabarettistin, die in Schliersee aufgewachsen ist. Nach dem Motto: "Alle wollen her - i bin scho do!" Doch nun überlege sie doch einen Umzug in die "Big Citiy, nach München", um das pralle Leben dort zu genießen. Die Vorstellung nämlich, die bei einem Mädelsabend zur Entscheidungsfindung auf dem Tisch landet, selbst ein Haus auf dem Land zu bauen, Nest und Altersvorsorge zugleich, erzeugt bei der 34-Jährigen einen ausgeprägten Würgereiz. Die Welt von Bauernschränken und Luftbefeuchtern aus Keramik möchte sie endlich hinter sich lassen. Andererseits: Droht, so fern der Heimat, nicht die totale Einsamkeit? Wo und was ist dahoam? Grund für den Umzug ist übrigens ein großer Schimmelfleck an der Wand, der sich ausbreitet "wie norddeutsche Immobilienspekulanten am Tegernsee". Doch in München eine Wohnung zu finden, ist - wenig überraschend - kein leichtes Unterfangen, auch für eine Eixenberger (angeblich) nicht.

So weit zum roten Faden des Abends, den Eixenberger allerdings, gerade im ersten Teil, mit allerlei gedanklichen Exkursionen verknüpft. Da ist zuallererst die Schule, in die die Kabarettistin immer wieder zurückkehrt, in den Mief der Turnhalle, auf den Pausenhof oder in den Onlineunterricht. Genüsslich schlüpft die 34-Jährige in die Rolle eines jugendlichen Zockers, brutal, stumpf, verblödet. "Nein, Mama, ich kann dir jetzt nicht bei meinen Hausaufgaben helfen!" Überhaupt, sagt Eixenberger, gewähre so eine Grundschulklasse immer auch einen Blick in die Zukunft, der Fachkräftemangel - insbesondere bei Handwerkern wie jenen, die Schimmel beseitigen könnten - hätte sich an den Kindern wunderbar ablesen lassen. Was wollt ihr mal werden? "Lauter Tierärztinnen, Fußballprofis und ein PC-Spiel-Fachmagazin-Chefredakteur." Nun ja, und weil angesichts der Zinskrise alle auf "Betongold" setzten, sei die Branche eben noch mehr unter Druck - und der Weltspartag am 31. Oktober nur mehr eine gruselige Fußnote von Halloween. Ob all diese Ablenkungen dem Abend gut tun - darüber lässt sich streiten. Jedenfalls gäbe das Thema Wohnungssuche in München wohl genug her, um sich ihm exklusiver zu widmen.

Besonders gut ist Christine Eixenberger in jenen Momenten, in denen sie sich selbst große Freiheit zur Einbildung gestattet. In denen sie die Realität komplett überspitzt und überraschende Szenen voller Absurdität kreiert. Zum Beispiel bei ihrer detaillierten Beschreibung des Schimmelflecks, der aussehe wie ein spätimpressionistisches Kunstwerk - und obendrein wie ein Fragment des Turiner Grabtuchs. "Was macht der Heiland in meinem Wohnzimmer? Ich bin doch schon lange ausgetreten." Aber das Beste kommt zum Schluss: Weil die Wohnungssuchende eine Gegend ausspioniert, eine "Kleinhäuslervorstadt mit prämortalen Einheitssärgen", wird sie von der Polizei festgenommen. Von der Wache geht es weiter zu einem "Tatort mit guter Bausubstanz, Südbalkon und bester Ausstattung", ein Smart Home, wie es all die Hochglanzbroschüren à la Schöner Wohnen versprechen. Das wiederum führt Eixenberger zu einer ganz neuen Verschwörungstheorie. Wie schön. "Denn Fakten sind fad, nur die Einbildung macht frei!" Der zentrale Satz des Abends.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2021
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