Süddeutsche Zeitung

Chorkonzert in Grasbrunn:Stimmen der Hoffnung

Vertraute Botschaft in gewandelter Form: Der "Kammerchor Con Voce" aus Zorneding begeisteret mit "Stabat Mater" und "Salve Regina" in Sankt Ottilie

Von Ulrich Pfaffenberger

Rückkehr, Heimkehr, Wiederkehr sind klassische Motive der christlichen Heilsgeschichte. Mag das zuvor Geschehene auch noch so arg, mögen die Begleitumstände noch so widrig sein, die siegreiche Kraft der Liebe überwindet alles. Am Sonntagnachmittag konnte man in der Wallfahrtskirche Sankt Ottilie in Möschenfeld Zeuge eines vergleichbaren Erlebnisses werden, als dank der Zornedinger Reihe "Bach & More" die Musik ins Gotteshaus zurückkehrte. Dazu standen zwei Werke auf dem Programmzettel, in denen das Lob Mariens gesungen wird: Pergolesis "Stabat Mater" und Scarlattis "Salve Regina". Den Kammerchor Con Voce in kleiner Besetzung, die Sopranistin Monika Lichtenegger, die Altistin Melanie Arnhold und das Barockensemble Vaterstetten hatte Dirigent Matthias Gerstner im Altarraum für dieses Konzert versammelt, dessen Kraft stark genug war, um über die Musik hinaus dem Publikum ein Zeichen der Hoffnung in schwieriger Zeit zu geben.

Einmal mehr erwiesen sich die Bedingungen, die den Konzertbetrieb eigentlich einschränken, als Türöffner zu Effekten, die positiv überraschen. Zwölf Sängerinnen, ein Frauenchor, da wusste man vor ein paar Monaten noch ungefähr, wie sich das anhören wird. Die neuen Regeln haben das verändert. Denn selbstverständlich bleibt der Abstand bei der Aufstellung nicht ohne Folgen für das, was im Ohr des Zuhörers ankommt - aber auch in den Ohren der Mitsängerinnen, der Instrumentalisten und des Dirigenten. Vielleicht waren "Stellproben", in der nach der bestmöglichen Positionierung der einzelnen Stimmen gesucht wird, noch nie so bedeutsam für das Ergebnis wie jetzt. Gerade in Laienchören ist nun eine neue Solidarität gefragt: die ungeteilte Aufmerksamkeit, die durchgängige Disziplin, der zusätzliche Anspruch ans eigene Können. All dies kann man dem Con-Voce-Ensemble "cum laude" attestieren, wobei es, verständlich, noch nicht ganz zur früheren Leichtigkeit zurückgekehrt ist.

Gerstner hatte das Programm geschickt aufgebaut, ein "Kyrie" von Sigismund Neukomm vorangestellt, um alle auf das ungewohnte Klangbild einzustimmen. Danach hatte sich die anfängliche, leichte Zaghaftigkeit gelegt, kein Wunder, forderte doch Scarlattis "Salve Regina" das ganze Können. Der technischen Raffinesse des Komponisten ist nur mit maximaler Konzentration und stimmlich höchster Disziplin gerecht zu werden. Zwei Qualitäten, die Con Voce schon in der Vergangenheit zum Markenzeichen gemacht hatte und an die das Ensemble am Sonntag nahtlos anknüpfen konnte. Obwohl durchwirkt mit barocken Elementen, erhielt die von Gerstner einstudierte Interpretation dieses Klassikers erstaunlich moderne Züge. Ein gutes Stück entfernt vom verschnörkelt-prächtigen Lobgesang geriet dieser Mariengruß zu einem sehr ernsthaften Dialog, bei dem der Wunsch nach Beistand eine aufrichtige Stimme fand. "O mächtige Fürsprecherin, - bei Gott sei unsre Helferin", heißt übersetzt die fünfte Bitte des Lieds, wie es im Gotteslob notiert ist. Sie selbstbewusst auszusprechen, gleichzeitig aber den Abstand zur himmlischen Kraft einzuhalten, das ist in diesem Konzert sehr gut gelungen.

Auch die Dramatik, die dem "Stabat Mater" innewohnt, dem Klagelied über Maria unterm Kreuz, erhielt ein glaubwürdiges Gewand. Wobei es hier auf die beiden Solistinnen ankam, bei der Ausgestaltung ihres jeweiligen Parts das rechte Maß zu finden und parallel auf die Balance zwischen der eigenen Stimme und dem Chor zu achten. Beiden wurde zu Recht reicher Applaus zuteil für die gedanklich sorgfältige und blitzsaubere Umsetzung. Besonders eindringlich gelang das in den kunstvoll verflochtenen Stimmen des "Quis es homo", bei dem Sopran, Alt und Chor die Innigkeit des Gedankens von innen nach außen wandten: Wer müsste sich seiner Tränen schämen angesichts des Leids einer Mutter? Frei von aller Gefühlsduselei, dafür erfüllt von Zuneigung verliehen beide Solistinnen ihrem Part eine nahbare Prägung, mehr "primae inter pares" denn herausragende Solitäre. Obwohl sich beide genau dieses Prädikat verdient hätten, so sorgsam ihre Intonation, so fein abgestimmt ihre Kraft, so präzise ihre Entscheidung, wie sie mit ihrem Stimmumfang umgehen. . Das Liedhafte im Hymnus bekam durch die beiden Stimmen mehr Gewicht, indem sie elegant die mitunter strengen Formen aufnahmen und behutsam modellierten.

Im Barockensemble Vaterstetten stand den Sängerinnen und dem Dirigenten ein vertrauter und verlässlicher Begleiter zur Seite, der manche klangliche Lücke schloss, die sich aus der erzwungenen Nicht-Geschlossenheit der Aufstellung ergab. Obwohl schon von der kompositorischen Idee her weitgehend in einer Nebenrolle verhaftet, darf man nicht unterschätzen, wie wertvoll ein solch beschlagenes Quartett unter solch außergewöhnlichen Umständen ist. Sein Anteil am anhaltenden, intensiven Beifall im maximal gefüllten Grasbrunner Gotteshaus war mehr als verdient.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2020
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