Mobilität auf dem LandCarsharing: „Jetzt ist die Luft raus“

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Klaus Breindl ist Pionier der Autoteiler im Landkreis Ebersberg. Er hat viel erreicht – aber nicht alles, was er sich vorgenommen hatte.
Klaus Breindl ist Pionier der Autoteiler im Landkreis Ebersberg. Er hat viel erreicht – aber nicht alles, was er sich vorgenommen hatte. (Foto: Christian Endt)

Autoteilen auf dem Land funktioniert nicht? Seit Jahrzehnten zeigt der Landkreis Ebersberg als Modellregion, dass das nicht stimmt. Doch der Ausbau des Angebots ist ins Stocken geraten – ausgerechnet wegen Carsharing-Firmen.

Von Barbara Mooser, Ebersberg

Carsharing auf dem Land: Noch immer sind viele der Ansicht, dass das ein Widerspruch in sich ist. Einkaufen, Arztbesuche, Urlaub – undenkbar ohne eigenes Auto. Oder? Nicht für Franziska Dehne. Die Ebersbergerin steigt durchschnittlich zweimal die Woche in einen Renault Zoe der Ebersberger Autoteiler ein. Überall, wo sie nicht mit der S-Bahn oder mit dem Fahrrad hinkommt, bringt sie das kleine Elektroauto hin.

„Es macht Spaß, sich ein Auto zu teilen“, sagt sie, doch es habe auch einen finanziellen Hintergrund: Ein zweites Auto wäre für die vierköpfige Familie viel zu teuer, „ein eigenes Auto ist ein Sparschwein ohne Boden“, sagt Dehne. Keine hohen Fixkosten, aber die Option, mobil zu bleiben, das ist für sie der große Vorteil von Carsharing.

Wie Franziska Dehne machen es viele im Landkreis Ebersberg – viel mehr sogar als in anderen ländlichen Regionen in der Bundesrepublik. Denn der Landkreis ist eine Modellregion für Carsharing. Elf Vereine gibt es, theoretisch könnten mehr 80 Prozent der Landkreisbevölkerung auf ein Carsharing-Fahrzeug zugreifen. Zum Vergleich: Bundesweit gab es laut Auskunft des Bundesverbands Carsharing im Januar 297 Carsharing-Anbieter in Deutschland – also in 106 kreisfreien Städten und 294 Landkreisen. Das zeigt schon, dass es nicht viele Landkreise geben dürfte, die in einer Liga mit Ebersberg spielen können.

Ob das so wäre, wenn es Klaus Breindl nicht gäbe? Wohl eher nicht, denn der Vaterstettener ist seit Jahrzehnten die treibende Kraft der Autoteiler im Landkreis, was ihm auch schon den Ehrentitel „Mr. Carsharing“ eingebracht hat. Breindl hat 1992 mit einigen Gleichgesinnten einen der ersten Carsharing-Vereine überhaupt gegründet, nur vereinzelt gab es damals in einigen Städten ähnliche Initiativen.

Von der „Keimzelle“ Vaterstetten breitete sich das Carsharing auch auf die anderen größeren Landkreisgemeinden aus. Durch Kooperationen untereinander, aber auch beispielsweise mit der Genossenschaft Stattauto, haben die Mitglieder auch außerhalb ihrer Wohnorte Zugriff auf Autos.

Ohne Ehrenamtliche geht es nicht

Im Gegensatz zu professionellen Carsharing-Anbietern leben die Vereine vom ehrenamtlichen Engagement der Mitglieder. Die kümmern sich um Buchungen und Mitgliederverwaltung, darum, dass die Autos in Schuss sind und regelmäßig zur Werkstatt kommen. „Es funktioniert nur, wenn es genügend Leute gibt, die sich einbringen“, sagt Breindl. Wenn es sich aber so entwickelt, dass die einen nur arbeiten, die anderen hingegen profitieren, klappt es nicht. Das hat sich gezeigt, als die Vaterstettener eines der Autos nach Neukeferloh gestellt haben.

Die Neukeferloher nutzten anfangs gern den Wagen, doch schon nach ein paar Jahren lief es nicht mehr richtig.  Erst als 2017 die Auto-Teiler Grasbrunn gegründet wurden, die seitdem auch den Standort Neukeferloh betreuen, bekam das Carsharing wieder neuen Schwung. Man müsse schon etwas tun, dahinter sein, damit das System funktioniere, sagt Klaus Breindl.

Dies sieht er auch als Grund dafür, dass die professionellen Carsharing-Anbieter auf dem Land eben nicht funktionieren. „Die stellen das Auto irgendwo hin, und dann steht es halt da“, sagt er. Ansprechpartner vor Ort gebe es nicht, oft sei das Angebot auch weitgehend unbekannt. Deshalb hätten sich nun so gut wie alle Carsharing-Anbieter aus der Region wieder zurückgezogen. „Die Organisationsstruktur über Vereine ist auf dem Land alternativlos. Die Vereine gibt es alle noch, die Kommerziellen alle nicht mehr“, so Breindl. Das ist keine Entwicklung, die nur Ebersberg betrifft, auch aus anderen Landkreisen, beispielsweise München, ziehen sich die kommerziellen Anbieter zurück.

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Dies ist auch etwas, was man im Bundesverband Carsharing beobachtet: „Die Vereine spielen eine große Rolle für die Verfügbarkeit von Carsharing in kleinen Städten und im ländlichen Raum. Sie arbeiten häufig – ganz oder teilweise – ehrenamtlich und können Carsharing dadurch auch in Gegenden organisieren, in denen die Nachfrage zu gering ist, um ein wirtschaftlich tragfähiges Angebot zu betreiben“, unterstreicht Sprecher Babak Khoshroo.

Die Nähe der Vereine zu den Nutzern verschaffe ihnen gegenüber von Außen kommenden Unternehmen Vorteile beim Marketing und bei der Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse vor Ort. „Carsharing-Vereine werden dadurch – insbesondere im ländlichen Raum – auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen“, so Khoshroo.

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Dass es die professionellen Anbieter freilich im Landkreis Ebersberg eine Weile auch gab, hat durchaus bleibende Folgen. Denn die Gründung neuer Carsharing-Vereine geriet durch die vermeintlich praktischere Konkurrenz ins Stocken; Versuche, Carsharing in weiteren Gemeinden zu etablieren, verliefen im Sande. Seither habe es keine Anläufe mehr gegeben, mit einem Ausbau des Autoteilens im Landkreis im großen Stil rechnet Breindl nun nicht mehr. „Jetzt ist die Luft raus.“

Dabei hatte sich der Landkreis bis 2030 große Ziele gesetzt, was das Carsharing betrifft: Flächendeckend, attraktiv und gut akzeptiert sollte es bis dahin sein. Jeder Gemeindeteil mit mehr als 1000 Einwohnern hätte ein Carsharing-Angebot haben sollen. Jeder Einwohner sollte auf mindestens zwei Carsharing-Fahrzeuge in einer Entfernung von weniger als 1000 Metern um die eigene Wohnung zugreifen können. 95 Prozent der Landkreisbewohner mit Führerschein wollte man ein Carsharing-Angebot zugänglich machen. Und schließlich sollten es zehn Prozent der Bevölkerung tatsächlich auch nutzen.

„Diese Ziele werden wir nicht erreichen, so realistisch muss man sein“, sagt Breindl. Er räumt ein, dass er sich aber auch ein grundsätzliches Umdenken zur gemeinsamen Autonutzung im Laufe der Jahre erwartet hätte. „Ich habe gehofft, dass es irgendwann einen Schnackler tut und es zum Selbstläufer wird“, sagt er – ähnlich wie vielleicht beim Verzicht auf das Rauchen in der Kneipe, das sich zuerst viele nicht hätten vorstellen können, und an das sich heute längst alle gewöhnt hätten. Doch so sei es eben nicht gekommen: „Das Verhältnis der Deutschen zum Auto ist eben schon ein besonderes“, sagt Breindl.

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