Süddeutsche Zeitung

Caritaszentrum:Betreutes Einzelwohnen unterstützt Suchtkranke

Mit Hilfe der ambulanten Maßnahme "Betreutes Einzelwohnen" der Caritas haben schon viele suchtkranke Menschen zurück in einen geregelten und abstinenten Alltag gefunden.

Von Johanna Feckl, Grafing

Das Gespräch der beiden Frauen auf dem weitläufigen Flur der Grafinger Caritas wirkt vertraut, es geht um die etwa gleichaltrigen Kinder und darum, wie man sie nach dem Auszug vermissen würde. Obgleich die beiden die höfliche Distanz wahren, die ein Siezen mit sich bringt, könnte man meinen, sie sind Kolleginnen. Sind sie aber nicht.

Eine von ihnen ist Gabi Bauer, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Seit etwa neun Jahren ist sie Klientin der ambulanten Maßnahme "Betreutes Einzelwohnen" (BEW), das die Caritas in Grafing seit 2007 anbietet. Das BEW begleitet und unterstützt suchtkranke Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags in der eigener Wohnung. Meist sind die Teilnehmer sozial isoliert und sogar vereinsamt, sodass Unterstützung aus dem eigenen Umfeld fehlt. So wie bei Gabi Bauer.

Alleine die Sucht zu bewältigen, ist meist zu schwierig

Mit gerade einmal zwölf Jahren sammelte sie ihre ersten Drogenerfahrungen. Es folgten mehr als 20 Jahre Abhängigkeit, in der sie hauptsächlich Cannabis konsumierte. "Ich wollte da immer ausbrechen, hab es aber einfach nicht geschafft", erinnert sich Bauer zwölf Jahre nach ihrem letzten Drogenkonsum.

Als Kind erfuhr sie massive Gewalt; der Vater war Alkoholiker, die Mutter psychisch stark erkrankt. Bauer bekam Depressionen. Ihre Gewalterfahrungen und Einsamkeit hätten ein Loch aufgerissen, beschreibt sie ihre damalige Gefühlslage und zeigt dabei auf ihren Unterleib. "Das fühlte sich schrecklich an." Mit Hilfe der Drogen konnte sie diese Leere zeitweilig gut füllen. Doch ihre Depressionen wurden immer schlimmer. Oft dachte sie morgens noch vor dem Aufstehen daran, einfach aus dem Fenster zu springen. In solchen Fällen griff sie sofort auf ihren Cannabisvorrat zurück. Das beruhigte sie, sodass sie ihren suizidalen Gedanken nie Taten folgen ließ. "Drogen verkleben das Gehirn, man nimmt alles nur noch gedämpft war", erklärt Bauer ihr damaliges Verhalten.

Entgiftung führt zu Suchtverlagerung, beispielsweise Essstörungen

Über Umwege kam sie schließlich mit einer Mitarbeiterin vom Jugendamt in Kontakt. Da war Bauer Mitte 30. Diese Frau war es, die sie zu einer stationären Entgiftung und einer anschließenden Suchttherapie motivieren konnte. Bei den Erinnerungen an sie verändert sich Bauers Gesichtsausdruck. Er zeigt pure Dankbarkeit.

Schon während der Entgiftung stellte sich bei Bauer ein Phänomen ein, das man als Suchtverlagerung bezeichnet: Die ursprüngliche Abhängigkeit wird durch eine andere ersetzt. Bauer nahm an Gewicht zu. Sehr viel, wie sie es selbst beurteilt. Bis heute bereiten ihr ein regelmäßiges und ausgewogenes Essverhalten große Schwierigkeiten. Essstörungen seien besonders schwer zu überwinden, erklärt Margit Schwarz von der Suchtberatung der Grafinger Caritas. "Der Alltag lässt sich immer so einrichten, dass man keine Berührungen mehr mit Drogen, Alkohol, Wettspielen oder sonstigem hat. Aber mit dem Essen kann man nun einmal nicht einfach aufhören."

Die Angst vor der Einsamkeit ist eine Gefahr

Nach der Therapie verließ Bauer ihr damaliges Umfeld, in dem alle Freunde drogenabhängig waren. "Ich hatte Angst, dass ich alleine nicht klarkomme und wieder an falsche Leute gerate", erinnert sie sich. So kam sie 2007 zur Caritas und zum BEW.

Seitdem trifft sie sich regelmäßig mit Margit Schwarz, die als eine von vier Caritas-Mitarbeitern das BEW betreut. Aktuell nehmen 17 Klienten die Maßnahme in Anspruch. Die Zahl von Frauen und Männern halten sich dabei relativ die Waage; überwiegend sind sie zwischen 46 und 55 Jahre alt. So lange wie Gabi Bauer sind nur die wenigsten dabei. Die meisten bleiben bis zu neun Monaten beim BEW, viele aber auch bis zu drei Jahre. Die einzige Voraussetzung, um an dem Programm teilzunehmen, sei die eigene Bereitschaft, so Margit Schwarz. Denn das BEW kennt kein Abstinenzgebot. "Das heißt aber keinesfalls, dass wir eine Stabilisierung des schädlichen Verhaltens unterstützen", betont sie. Bei der Mehrzahl der Klienten komme aber der Abstinenzwunsch spätestens im Verlauf des BEW von alleine - wenn nicht schon davor eine Suchttherapie stattfand.

Die Vergangenheit aufzuarbeiten hilft

Mit der Hilfe von Margit Schwarz gelang es Gabi Bauer, seit ihrem Entzug stabil zu bleiben. Durch das BEW kann sie nicht nur ihre Gedanken und Ängste bei jemandem abladen, sondern konstruktiv an Lösungen arbeiten. So sprechen die beiden Frauen viel über Bauers Essverhalten und waren schon oft gemeinsam einkaufen. Wenn sie sich heute treffen, bereiten sie die Sitzungen von Bauers Traumatherapie nach, bei der sie derzeit ihre schwierige Kindheit aufarbeitet. "Das hilft mir alles sehr."

Ähnliche Erfahrungen hat auch Franz Huber gemacht, der ebenfalls in Wahrheit anders heißt. Von 2012 an beanspruchte er für drei Jahre die Unterstützung des BEW. Seit seiner Jugend trank er Alkohol. Sein Konsum wuchs schleichend, aber stetig. Wie lange er abhängig war, kann er deshalb nicht einschätzen. Es war 2004, als ihm seine Hausärztin ins Gewissen redete - mit Erfolg. "Irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man entscheiden muss, wie man weitermachen möchte", ist sich Huber sicher. Seine Wahl fiel auf einen Entzug.

Das BEW als Hilfe, um aus dem Dunkel zu finden

Das ist nun zwölf Jahre her. Seitdem hat Huber keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Viele Jahre kam er alleine mit seinem Alltag zurecht. Erst als es 2012 zu Unstimmigkeiten mit seinem Umfeld kam, suchte er die Caritas auf. "Das war eine große nervliche Belastung für mich. Ich hatte Sorge, dass ich deshalb wieder zum Alkohol greife", erinnert er sich. Deshalb entschloss er sich für das BEW als präventive Maßnahme.

Auch er traf sich in der Regel einmal wöchentlich mit Margit Schwarz. "Wenn man so unter Strom steht, dann ist das Blickfeld eingeschränkt. Das BEW und Frau Schwarz waren mir eine große Stütze, um aus diesem Tunnel wieder herauszukommen", sagt Huber. Zusammen fanden die beiden Methoden, die ihm helfen, sich zu entspannen. Er geht oft spazieren, um den Kopf frei zu bekommen, oder hält auch einfach nur kurz inne und fragt sich, ob das wirklich alles so schlimm ist. Mit Schwarz' Hilfe hat er auch einen geregelten Nebenjob gefunden. Er hält es für wichtig, seine Sorgen mit jemandem zu teilen, um das eigene Verhalten zu reflektieren.

Nach drei Jahren BEW wollte es Huber wieder alleine versuchen. Er wirkt sehr zufrieden, als er das erzählt; es scheint gut zu funktionieren. Und falls doch etwas mal nicht so klappen sollte, da ist er sich sicher, so könnte er sich jederzeit wieder an Margit Schwarz und ihre Kollegen vom BEW wenden. "Die sind mir alle sehr ans Herz gewachsen."

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Quelle:
SZ vom 26.04.2016/moje
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