Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl im Landkreis:Milch und Macht

Bundestagskandidaten stellen sich Kritik von Bauern

Von Philipp Schmitt, Bockhorn

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl standen in der Gemeinde Bockhorn die Bundestagsdirektkandidaten im Wahlkreis Erding/Ebersberg, Andreas Lenz (CSU), Christoph Lochmüller (Grüne) und die CSU-Listenkandidatin Caroline Brielmair einem Dutzend Milchbauern Rede und Antwort, die sich politisch im Stich gelassen und der Marktmacht von Molkereien, Lebensmittel-Konzernen und Supermarktketten ausgeliefert sehen. Es herrscht Unmut.

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft schreitet voran: Die Zahl Milch erzeugender Betriebe geht zurück, im Landkreis Erding etwa hat sie sich in zehn Jahren auf 500 halbiert. Auf diese alarmierende Entwicklung und auf die existenzgefährdenden Rahmenbedingungen hat Mathias Lohmeier, Erdinger Kreisvorsitzender des vor mehr als zwei Jahrzehnten gegründeten Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), beim Milchbauern-Stammtisch im Gasthaus Obermaier in Hörgersberg hingewiesen. Er appellierte an die Politik, endlich entschieden zu handeln, Rahmenbedingungen zu verbessern und politisch gegen den Negativtrend anzukämpfen. Andernfalls drohe die Fortsetzung des dramatischen "Höfesterbens und Ausblutens".

"In einigen Gemeinden in den Landkreisen wird es bald gar keine Milcherzeuger mehr geben", sagte Lohmeier, der seinen Betrieb vor einigen Jahren von konventioneller in Bio-Milcherzeugung umgewandelt und die Ställe umgebaut hat. Es gibt viele Herausforderungen: Seit Jahrzehnten stagnieren die Milchpreise; für ein verbessertes Tierwohl sollen Milchbauern bei unsicheren Märkten in neue Ställe investieren und "wachsen oder weichen".

Viele Bauern hören auf, der Nachwuchs ist oft skeptisch. Deshalb fordert Lohmeier "neue Spielregeln und Rahmenbedingungen, faire Marktpreise, regionale Strukturen, damit auch kleinere Betriebe überleben können". Die Marktmacht der Molkereien und Einzelhandelskonzerne gegenüber Milcherzeugern müsse gebrochen werden. Ein höherer Milchpreis sei nötig, damit sich in ihrer Existenz gefährdete Milchbauern die Modernisierung der Ställe für eine gute Zukunft leisten können. Sonst könnten - wie in den vergangenen Jahren - in Erding und Ebersberg weitere Betriebe aufgeben. Lohmeier zufolge "muss was passieren", um die mit der Region verwurzelte Milchbranche "nicht ausbluten zu lassen" und den dramatischen Abbau zu stoppen.

Die drei Bundestagskandidaten waren sich darin einig, dass regionale Strukturen durch politische Rahmenbedingungen gestärkt werden müssten, damit Lebensmittel wie Milch in Bayern rentabel produziert werden können. Es sei in den vergangenen Jahren in der Agrarpolitik nicht alles rund gelaufen. "Mir hat da einiges nicht gefallen", gab Lenz zu. Die Erzeugerpreise seien zu niedrig und die Stimmung sei schlecht. Zudem sei die Marktmacht von Einzelhandelskonzernen gegenüber Lebensmittelerzeugern zu groß.

Das Bundeskartellamt müsse gegen Preisabsprachen zum Nachteil der Nahrungsmittelproduzenten vorgehen. Politik müsse Möglichkeiten nutzen, um eine einseitige Marktmacht zu beschränken, damit faire Preise möglich werden: "Es passt nicht mehr zusammen, wenn ein Glas Wasser mehr als ein Glas Milch kostet." Er räumte ein, dass es Konflikte von Landwirtschafts- und Klimaschutzzielen gibt, die erörtert und abgewogen werden müssten. Den Strukturwandel in der Landwirtschaft könne die Politik aber nicht aufhalten. Die Corona-Pandemie habe jedoch gezeigt, dass eine Produktion im Inland wichtig ist, dies gelte besonders für Lebensmittel.

Grünen-Direktkandidat Lochmüller ist seit 2000 nebenberuflicher Öko-Landwirt in Hohenlinden. Eine klimagerecht wirtschaftende Landwirtschaft und die Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen sind dem geschäftsführenden Gesellschafter einer Aufzugsbau-Firma mit 130 Mitarbeitern wichtig, wie er sagte. Der 54-Jährige Maschinenbauer sagte, dass er die Milchbauern unterstützen werde und bäuerliche Landwirtschaft und regionale Strukturen fördern wolle. Als ein Zuhörer die Agrarpolitik der Europäischen Union kritisierte und einen EU-Ausstieg Deutschlands nach Brexit-Vorbild forderte, stellte Lochmüller klar, dass er diese Meinung nicht teilt: "Wir dürfen froh sein, dass wir in der EU sind." Die Skepsis eines Milchbauern an von den Grünen geplanten Klimaschutz-Maßnahmen versuchte Lochmüller zu entkräften. Klimaschutz sei sein Hauptantrieb, weswegen er sich politisch engagiere. Wichtig sei zudem ein aufgeklärter Konsument, der als Verbraucher im Supermarkt nicht nur nach dem Preis als Kriterium frage.

Caroline Brielmair ist Landwirtin und hat den Hof 2016 übernommen: Sie kündigte an, sich für die Belange der Landwirtschaft und Milchbauern politisch einzusetzen. Einige Zuhörer forderten, dass wieder kleinere Strukturen etwa bei den Molkereien politisch gefördert werden müssten. Derzeit könnten sich große Molkereien ihre Zulieferer aussuchen, die Verhandlungsposition der Milchbauern sei dadurch ungünstig.

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SZ vom 31.08.2021
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