Bundestagswahl in Ebersberg und Erding:„In der Politik muss es immer den Willen zum Kompromiss geben“

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Zum vierten Mal hat CSU-Mann Andreas Lenz das Direktmandat im Wahlkreis Erding-Ebersberg geholt. Am Tag nach der Wahl sind Wahlhelfer schon unterwegs, um Danke-Aufkleber auf die Plakate zu kleben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nach der Bundestagswahl ist eine schwarz-rote Koalition sehr wahrscheinlich. Wie blickt CSU-Direktmandat-Gewinner Andreas Lenz auf ein solches Szenario – und was sagen seine Mitstreiter dazu?

Von Anja Blum, Thomas Daller, Johanna Feckl und Alexandra Leuthner, Ebersberg/Erding

Aus den Reihen der Union ist am Wahlabend sehr oft das Wort „Politikwechsel“ zu hören, auch der CSU-Direktmandat-Gewinner im Wahlkreis Erding-Ebersberg, Andreas Lenz, verwendet es ein paar Mal. „Wichtig ist, dass jetzt die Probleme im Land angegangen werden, so wie sich der Wähler den Politikwechsel vorstellt“, sagt Lenz bereits recht früh am Abend, als er bei der Wahlparty im Sitzungssaal des Erdinger Landratsamtes ist. „Wir brauchen nun einen glaubwürdigen Neustart.“

Kann das gut gehen? Denn allem Anschein nach wird es auf eine Koalition zwischen Union und SPD hinauslaufen – also dem Wahlsieger gemessen an dem erreichten Zweitstimmenergebnis einerseits und dem Wahlverlierer gemessen an den eingefahrenen Verlusten. Eine Koalition also ausgerechnet mit der Partei aus der bisherigen Regierung, die den vorläufigen Wahlergebnissen zufolge am meisten Unzufriedenheit bei den Wählerinnen und Wähler gebracht hat: Ein Minus von 9,3 Prozent bundesweit, im Landkreis Ebersberg waren es immerhin nur 4,8 Prozent, trotzdem ist das immer noch ein Verlust, der nur von der FDP getoppt wird (minus 7,2 Prozent).

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„Die Erkenntnis ist auch bei der SPD da, dass es einen Politikwechsel braucht“, sagt Lenz wenig später am Abend zur SZ, als sich die Feierlichkeiten seiner Partei zum Hirschbachwirt nach Forstern verlagert haben. Er sieht einen Grund für die herben Verluste bei den Sozialdemokraten in der Konstellation der gescheiterten Ampel-Regierung aus gleich drei verschiedenen Parteien – das sei immer eine extreme Herausforderung.

Für SPD-Direktkandidat Marco Mohr ist Schwarz-Rot derweil alles andere als gesetzt, wie am Wahlabend klar wird. Der 40-Jährige hält es, wie er sagt, für zwingend notwendig, dass die Mitglieder seiner Partei darüber abstimmen, ob man überhaupt einen Koalitionsvertrag mit der Union eingehen möchte – unter anderem auch deshalb, um einen möglichen Ansehensverlust bei der eigenen Wählerschaft abzufedern. Klar sei für ihn jedoch auch, dass man sich in möglichen Koalitionsverhandlungen nicht von der CDU/CSU treiben lassen werde. Da spiele es keine Rolle, dass Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz angekündigt hat, mit der Abrissbirne durch die Gesetzgebung der Ampel-Regierung zu gehen, keine Kompromisse in der Wirtschafts- und Migrationspolitik zu machen – oder wie er es am vergangenen Samstag beim Wahlkampfabschluss in München formulierte: Er wolle Politik für die Mehrheit machen, die „gerade denken“ kann, „und nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt, die da draußen rumlaufen“.

Keinen Grund zur Freude hat Direktkandidat der Sozialdemokraten Marco Mohr aus Ebersberg (links), hier am Wahlabend im Erdinger Landratsamt mit dem Vorsitzenden der Erdinger Kreis-SPD Benedikt Klingbeil. (Foto: Renate Schmidt)

Marco Mohr zumindest lässt diese Rhetorik ziemlich kalt. Es sei Verhandlungstaktik, am Anfang Maximalforderungen zu stellen, sagt er. Im Wahlkreis Erding-Ebersberg habe es einen besonders fairen und sauberen Wahlkampf gegeben, diesen Stil sollte man nach Berlin exportieren. Zwar teile er manche Ansichten seiner politischen Mitbewerber nicht, aber als Menschen sollte man miteinander sprechen können.

Andreas Lenz spricht am Sonntag im Erdinger Landratsamt in einem ähnlichen Duktus: Ja, bei Koalitionsverhandlungen gebe es Differenzen, insbesondere bei Themen der inneren Sicherheit und Migration. Aber: „In der Politik muss es immer den Willen zum Kompromiss geben.“ Dennoch sei für ihn klar, dass sich das fast doppelt so starke Ergebnis der Union im Vergleich zur SPD in Verhandlungsergebnissen widerspiegeln müsse.

Dass die CSU in Bayern stärker ist als die CDU im Rest von Deutschland, sollte man in Berlin merken, sagt Lenz

Ein Punkt scheint Lenz hier besonders wichtig zu sein: Jetzt gehe es vorrangig darum, über Positionen zu sprechen, nicht über Personen. Und in diesem Zuge sei es auch relevant, dass die CSU in Bayern stärker abgeschnitten hat als die CDU im restlichen Deutschland – bayernweit fährt die CSU 37,2 Prozent aller Zweitstimmen ein, die große Schwester kommt in den übrigen Bundesländern insgesamt auf 22,6 Prozent. „Das muss man merken in Berlin“, sagt der 43-Jährige. Als Beispiel nennt er die Erbschaftssteuer, bei der die CSU seit Längerem eine Reform anstrebt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt plädierte zuletzt dafür, dass Eigenheime steuerfrei vererbt werden können, sofern sie mindestens zehn Jahre selbst genutzt oder vermietet werden.

Zu Beginn des Sonntagabends, als die Hochrechnungen der Wahlergebnisse einen Wiedereinzug der FDP noch nicht ganz ausgeschlossen hatten, wäre für Lenz auch eine Koalition aus Union, SPD und den Liberalen infrage gekommen. „Die FDP hat diese Wahl nicht in den acht Wochen des engagiert geführten Wahlkampfes verloren, sondern in den drei Jahren zuvor“, schreibt Bayerns FDP-Chef und Direktkandidat für den Wahlkreis Erding-Ebersberg am Montag auf X, nachdem seine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Dass dieses Szenario nun also definitiv nicht zustande kommen wird, dürfte Lenz entgegenkommen. Schließlich hat er zuvor darüber gesprochen, dass eine Regierung aus drei Fraktionen immer einer großen Herausforderung gleichkomme. Eines will er wie CDU-Chef Friedrich Merz vehement ausgeschlossen wissen: „Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD.“

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Ob eine Zusammenarbeit zwischen Union und Sozialdemokraten erfolgreich wird, darüber zeigte man sich zumindest in den Reihen der übrigen Direktkandidaten nicht so sicher. Christoph Lochmüller von den Grünen hegte durchaus Zweifel an dem Mann, der voraussichtlich Olaf Scholz in seiner Rolle als Regierungschef beerben wird: Es bleibe nur zu hoffen, dass Friedrich Merz endlich den Staatsmann in sich entdecke und beginne, das Land zu einen, sagt Lochmüller am Wahlabend, während die Hochrechnungen eine schwarz-grüne Koalition in immer weitere Ferne rücken. „Wäre schon schön gewesen“, kommentiert der Grüne diesen geplatzten Traum.

Merz nun, der „muss ein Kanzler für alle werden“, sagt Lochmüller weiter. Und einen kleinen Wunsch, was das Personal der neuen Bundesregierung angeht, hat der Grüne ebenfalls: „Bitte nicht wieder einen Verkehrsminister von der CSU.“

Weit pessimistischer zeigt sich Linke-Direktkandidat Tobias Boegelein – seine Partei schafft es mit 8,8 Prozent bundesweit locker in den Bundestag, wenngleich sie im Landkreis Ebersberg nur ein Zweitstimmenergebnis von 5,3 Prozent erringt, drei Prozent mehr als 2021. Boegelein, der nicht als Listenkandidat angetreten war, gibt einer schwarz-roten Koalition keine große Zukunft. Zu stark seien der Einfluss und die Zugkräfte der AfD auf die Union und damit auch auf eine Koalition von CDU/CSU und SPD. „Die große Koalition wird zerbrechen“, prophezeit er.

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