Bildung im Landkreis:Wo aus Lesemuffeln echte Bücherwürmer werden

Bildung im Landkreis: Junge Experten: Helena und Johann schreiben beide fleißig Rezensionen für den Leseclub des Bücherladens.

Junge Experten: Helena und Johann schreiben beide fleißig Rezensionen für den Leseclub des Bücherladens.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Buchladen Vaterstetten/Haar erhält das Gütesiegel "Partner der Schulen für die Leseförderung" - ein wohlverdienter Ritterschlag, denn schon seit langem bringt man dort Kindern und Jugendlichen das geschriebene Wort nahe.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Es muss das Lächeln sein. Dieses überwältigende, warme, von Herzen kommende Begrüßungslächeln, das Inhaberin Manuela Harm jedem zuteil werden lässt, der ihre Buchhandlung in der Schwalbenstraße betritt. Jedenfalls sorgt es für ein sofortiges Wohlfühlerlebnis. Kein Wunder also, dass Siebtklässler Johann sein Empfinden beim Besuch des Buchladens Vaterstetten so beschreibt: "Das ist wie heimkommen." Das falle ihm ganz besonders im Unterschied zu den großen Buchhandelsketten auf, so der 12-Jährige. Gleichzeitig kann man an seiner Formulierung aber auch die Verbundenheit ablesen, die der Schüler aufgrund seiner Mitgliedschaft im hauseigenen Kinder- und Jugend-Leseclub verspürt.

Gleich die erste Bewerbung wird mit dem Gütesiegel belohnt

Diese "Bücher-Eulen" sind organisiert in drei Gruppen, je nach Alter, die Mitglieder treffen sich jeweils einmal im Monat und reden über ihre Leseerlebnisse. Und dieser Club ist einer der Gründe, warum das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dem Buchladen Vaterstetten/Haar nun das "Gütesiegel Partner der Schulen für Leseförderung" verliehen haben. Und das gleich bei der allerersten Bewerbung. Das Siegel ist eine Auszeichnung, die das überdurchschnittliche Engagement würdigt, mit dem sich einzelne Buchhandlungen dafür einsetzen, jungen Menschen das Lesen nahezubringen.

Bildung im Landkreis: Das Gütesiegel 'Partner der Schulen' für vorbildliche Leseförderung wird vom Kultusministerium und dem Börsenverein des Buchhandels vergeben. Manuela Harm, Chefin der Buchläden in Vaterstetten und Haar, freut sich über die Auszeichnung.

Das Gütesiegel 'Partner der Schulen' für vorbildliche Leseförderung wird vom Kultusministerium und dem Börsenverein des Buchhandels vergeben. Manuela Harm, Chefin der Buchläden in Vaterstetten und Haar, freut sich über die Auszeichnung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Johann, der ein Faible für Fantasy und Krimis hat, ist jetzt seit einem Jahr aktiv bei den Bücher-Eulen dabei, kennt den Laden als Vaterstettener aber "schon immer". Was er damit meint, wird schnell klar, als Harm den Deckel einer Kiste öffnet, die im hinteren Bereich auf dem Fußboden steht. Sie ist voller Beschäftigungsmöglichkeiten für die kleine und kleinste Kundschaft. "Man merkt es den Kindern gleich an, wenn sie regelmäßig kommen. Denn steuern sie nämlich zielstrebig die Ecke an, um zu spielen, während sich Papa oder Mama in Ruhe im Laden umschauen kann." Und während der restliche Inhalt der Kiste immer mal wieder ausgetauscht wird, gibt es einen Gegenstand, der auf keinen Fall fehlen darf: "Unsere "Buchladen-Ente" ist mehr als 40 Jahre alt. Es gibt sie so lange wie den Laden. Gemacht hat sie mein Onkel, ein Schreiner, nachdem er mit der Innenausstattung fertig war", erklärt Harm.

Bildung im Landkreis: Manuela Harm mit der mehr als 40 Jahre alten Tigerente, die ihr Onkel einst für die damalige Inhaberin des Buchladens anfertigte.

Manuela Harm mit der mehr als 40 Jahre alten Tigerente, die ihr Onkel einst für die damalige Inhaberin des Buchladens anfertigte.

(Foto: Michaela Pelz/oh)

Angesichts dieser familiären "Verbindung" wundert es nicht, dass Harm - nach BWL-Studium und einer langjährigen Tätigkeit als Personalentwicklerin in der IT-Branche - erst eine Ausbildung als Buchhändlerin machte und sich dann mit 40 Jahren durch die Ladenübernahme den Traum vom eigenen Buchladen erfüllte.

Manches hat sie seitdem neu eingeführt - eines allerdings gab es bereits damals: die "Bücherschublade", an der sich Nachwuchs-Kritikerinnen und -Kritiker selbständig bedienen dürfen, um Titel auszuleihen, die sie besprechen wollen. Damals wurden noch Bewertungsbögen auf Papier ausgefüllt, heute kommen die ausformulierten Rezensionen per Mail im Laden an, landen dann aber, wie schon früher, auf der Homepage, wo sie anderen jungen Lesern Orientierung bieten.

Von dieser Schublade macht auch Helena rege Gebrauch. 91 Bücher hat die 17-Jährige in diesem Jahr schon gelesen. "Das waren aber nicht alles Leihexemplare aus der Buchhandlung, manche habe ich mir auch selbst gekauft oder von Freundinnen geliehen bekommen," erklärt die lebhafte Zwölftklässlerin, die ein Faible für Romance und Geschichten hat, die vom "echten Leben" inspiriert sind, also etwa Coming-of-Age- oder Roadmovie-Romane. Besonders beeindruckt ist sie vom Buchwissen der Erwachsenen, die in dem Laden arbeiten: "Wenn du keinen Plan hast, was du suchst, kriegst du hier mindestens fünf Empfehlungen."

Bildung im Landkreis: Sehr beliebt ist die Schublade mit neuer Literatur für die Nachwuchskritiker des Leseclubs.

Sehr beliebt ist die Schublade mit neuer Literatur für die Nachwuchskritiker des Leseclubs.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch Helena ist eine "Bücher-Eule" - eine der sieben oder acht Jugendlichen aus der Gruppe der Ältesten, die nun zum zweiten Mal sogar eine Vertreterin ins "Literarische Jugendquartett" auf der Münchner Bücherschau schicken durfte. Für Helena ist das Lesen ein wichtiges Hobby, die monatliche Zusammenkunft nach Ladenschluss aber weit mehr als nur Book-Talk: "Meist geht es eine gute Dreiviertelstunde um Bücher, danach reden wir über das restliche Leben. Dann sitzen wir insgesamt auch schon mal zwei Stunden zusammen", erzählt die junge Frau und lacht.

Bildung im Landkreis: Das gemütliche Sofa darf von allen zum Schmökern genutzt werden - was Helena und Johann gerne und oft tun.

Das gemütliche Sofa darf von allen zum Schmökern genutzt werden - was Helena und Johann gerne und oft tun.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Begleitet werden die Gruppentreffen von Mitarbeiterin Eva Richter, die die Leseclubs für verschiedene Altersgruppen 2019 ins Leben gerufen hat. Geschichte hat sie studiert, bei den Bavaria-Studios als Cutter-Assistentin und später in der Gemeindebücherei Grasbrunn gearbeitet. Womit sie ihre Motivation für diesen ehrenamtlichen Einsatz für den Nachwuchs am Samstagnachmittag begründet? "Sowas hätte ich als Kind selbst gern gehabt!"

Selbst Corona konnte den "Bücher-Eulen" nichts anhaben - ganz im Gegenteil

Abgesehen davon sei die Arbeit mit den rund 20 Kindern ab zehn Jahren ausgesprochen bereichernd, beteuert Richter. Darum ist sie auch so froh, dass es gelungen ist, die Leseclubs über die Corona-Zeit hinwegzuretten. Ein paarmal habe man sich online getroffen, im Sommer dann auf dem Parkplatz - die Stühle mit jeweils zwei Meter Abstand platziert. "Niemand ist weggeblieben, im Gegenteil, die Gruppen sind untereinander extrem gut zusammengewachsen."

Man merkt, dass sich in dieser Buchhandlung praktisch alle sieben Beschäftigten mit jungen Menschen auskennen - haben sie doch insgesamt 13 Söhne und Töchter zwischen fünf und 28 Jahren. Und da die Chefin selbst schon als 14-Jährige genau in diesem Geschäft gejobbt hatte, ist es fast folgerichtig, dass sie hier und in dem im November 2021 eröffneten Buchladen in Haar immer wieder Praktika anbietet. Auch für Schüler.

Bildung im Landkreis: Der AK Diversity des Gymnasiums Vaterstetten (siehe Logo) hat seit einer gemeinsamen Aktion im Juni 2022 ein festes Regal im Vaterstettener Buchladen von Manuela Harm.

Der AK Diversity des Gymnasiums Vaterstetten (siehe Logo) hat seit einer gemeinsamen Aktion im Juni 2022 ein festes Regal im Vaterstettener Buchladen von Manuela Harm.

(Foto: Michaela Pelz/oh)

Doch damit nicht genug: Nach der Gestaltung eines Schaukastens durch den "AK Diversity" des örtlichen Gymnasiums im "Pride"-Monat Juni 2022, entschloss sich Harm, diesen engagierten Jugendlichen dauerhaft ein Regal im Laden zu überlassen, erkennbar an Regenbogenfahne und Logo. Die dazugehörigen Fächer dürfen sie mit Titeln bestücken, die ihnen wichtig sind.

Abgesehen davon werden regelmäßig Kindergarten- und Grundschulkinder zum Vorlesen eingeladen, während am Welttag des Buches immer Viert- und Fünftklässler zu Vortrag, Vorlesestunde und Rallye willkommen sind. 22 Klassen waren es beim letzten Mal. Ein solcher Besuch helfe, die Schwellenangst zu überwinden, und manche Kinder fänden auf diesem Weg sogar Zugang zu den Bücher-Eulen, sagt Harm.

"Greg hat da einen guten Job gemacht"

Doch was macht man mit den Lesemuffeln? Harm packt ihr berühmtes Lächeln aus, als sie entgegnet: "Manche Eltern stehen so unter Druck, aber den kann ich ihnen nehmen, indem ich sage: Vorlesen, vorlesen, vorlesen - und auf einmal macht es klick!" Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie schwer es sein kann, die Kinder zum Lesen hinzuführen. Genau so ging es ihr nämlich mit dem eigenen Sohn. Bis er dann eines Tages im Auto auf der Rückbank saß und sich laut totlachte. Das Geheimnis? Der richtige Stoff - in diesem Fall war es "Fünf auf Crashkurs" von Hans-Jürgen Feldhaus. Ein, wie Harm findet, gelungenes und ohne aufgesetzte Jugendsprache witziges Buch. Gut seien auch Reihen, die sich an Themen aus dem Netz orientierten (Paluten, Minecraft). Oder Comicromane mit viel Bild und wenig Text, um den Nachwuchs wieder ans Haptische heranzuführen - "Greg hat da einen guten Job gemacht". Auch Action käme gut an.

Doch woran erkennt man generell ein qualitativ hochwertiges Kinder- oder Jugendbuch? "Es muss sprachlich gut sein, einen tollen Plot haben und den Horizont erweitern, indem man, fast unbemerkt, etwas Neues erfährt", so die Einschätzung Harms. "Aber es darf auch schon mal richtig, richtig Spaß machen!"

Den scheinen die Bücher-Eulen definitiv zu haben - und andere junge Leser dürfen sich diesen gerne noch anschließen. Manuela Harm wird sich auf jeden Fall nicht auf ihrem neuen "Gütesiegel" ausruhen. "Wir investieren viel, in jeder Hinsicht, aber es kommt auch viel Wertschätzung zurück." Darum werde man sich weiter für diesen "Bildungsauftrag" engagieren. "Es ist einfach so wichtig, die Kinder frühzeitig zum Lesen hinzuführen. Wenn sie erst am Handy sind, ist es viel schwerer", sagt sie. Zwinkert. Und lächelt.

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