Buchkritik:Wenn Worte Walzer tanzen

Helga Sedlak - Autorin, Schriftstellerin

Die Ebersberger Autorin Helga Sedlak mit einem Zinnkrug ihres Ur-Ur-Großvaters.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Helga Sedlak aus Ebersberg erforscht in ihrem Roman "Die Donau war nicht an allem schuld" literarisch ihre bewegte Familiengeschichte

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Nicht jeder ist ein guter Schwimmer, nicht jeder kann sich mit ein paar kräftigen Stößen aus einem Strudel befreien, befindet die Autorin Helga Sedlak. So auch nicht Anni, die Tochter der Zugehfrau der Familie, mit der sie einige Sommer ihrer Kindheit verbringt. Anni wird in eine psychiatrische Anstalt geschickt, nachdem sie in ihrem Elternhaus alles kaputt geschlagen hat - ihr Lebensweg wird sie nicht mehr aus der Psychiatrie herausführen. "Ich erwähne sie heute stellvertretend für die Abgründe, die sich in den Jahren nach dem Krieg immer wieder auftaten", schreibt Sedlak in ihrem biografischen Roman "Die Donau war nicht an allem schuld", das kürzlich im Twentysix-Verlag erschienen ist. So herrscht damals, in den 60ern, auf dem niederbayerischen Land ein engstirniges und wenig verständnisvolles Klima für Fälle wie Anni; und auch die Mutter der Ich-Erzählerin hat schwer an der vorherrschenden Atmosphäre zu tragen. "Ich möchte fort von hier, darin liegt alles", schreibt sie an eine Wiener Freundin. Letztlich, so seufzt sie des Öfteren, sei die Donau an allem Schuld.

Die Donau nämlich ist es, welche die Familie von Helga Sedlak schicksalhaft durch die Jahrzehnte zu tragen scheint. Sie lässt den Vater, verantwortlich für die Schiffe seiner deutschen Reederei, frisch verliebt dem Lauf des Flusses folgen und mit seiner Frau in Belgrad ein neues Leben beginnen; die nächste Station ist Bukarest. Später wird die kleine Familie, komplettiert durch die einzige Tochter Helga, ins niederbayerische Deggendorf an der Donau ziehen.

In ihrem Buch beschäftigt sich die in Ebersberg lebende Autorin, Jahrgang 1943, mit ihrer Familiengeschichte, verknüpft sie nicht nur mit der Donau, welche die zehn Kapitel zu durchfluten scheint, sondern auch mit Gegenständen aus ihrem persönlichen Fundus. So beginnt das fast 200 Seiten fassende Werk mit einem vergilbten Zeitungsblatt, das die Ich-Erzählerin in einem Album mit Schwarz-Weiß-Fotos findet. In der Reportage aus dem Jahr 1964 erzählt der Vater von einer Reise über die Donau, die er mit seiner Tochter Helga unternommen hat. Um die politischen Barrieren des Kalten Krieges zu umschiffen, gab sich der Vater auf den Visa-Anträgen als Oberkapitän aus, seine Tochter wurde kurzerhand zur Küchenhilfe erklärt. 2010, fast 50 Jahre später, begibt sich Helga Sedlak auf Spurensuche und unternimmt dieselbe Reise nochmals. Beim Vergleich zwischen den Orten von damals und heute wird die Autorin zur Dokumentarin, was sich stellenweise wie ein deskriptiver Reisebericht liest.

Sedlaks Reisen führen, in voneinander abgetrennten Erzählungen, beispielsweise auch ins Wien Anfang des 20. Jahrhunderts, wo die Eltern mütterlicherseits eine zeitlebens unglückliche Ehe eingehen. Ihre Großmutter beschreibt die Autorin dabei als resolute, mit allen Wassern gewaschene Frau, die es sich in ihrer Kulturversessenheit nicht nehmen lässt, der Enkelin via Schiff - über die Donau, natürlich - einen Flügel zukommen zu lassen. Geblieben sind aus dieser Zeit nebst den Erinnerungen, die Sedlak mit Liebe zum Detail zusammen getragen hat, auch Schmuckstücke wie eine goldene Armbanduhr, ein Geschenk des Großvaters, oder der Verlobungsschmuck der Großeltern, den Jahre später die Enkelin tragen darf.

Helga Sedlak, eine studierte Germanistin, arbeitete einige Jahre als Gymnasiallehrerin, später als freiberufliche Klavierpädagogin. Heute ist sie viel auf Reisen und in der freien Natur. Sie beschäftigt sich schon längere Zeit mit ihrer Familiengeschichte und fasste nun ihre Ergebnisse in einem dicken Buch zusammen - allerdings nur für die engere Familie. Eines Tages, erzählt Sedlak, sei eine Kollegin ihres Mannes, die im Literaturbetrieb tätig ist, auf das Buch gestoßen und habe gesagt: "Das müsste man veröffentlichen!" Sedlak war anfangs dagegen; viel zu persönlich schienen ihr die zusammen getragenen Erzählungen. Schließlich freundete sie sich jedoch mit dem Gedanken an, die Geschichte umzuschreiben und in jeweils abgerundeten Kapiteln einzelne Menschen aus ihrer Verwandtschaft wieder aufleben zu lassen. "Wichtig war mir auch, heutzutage zu betonen, wie die Donau so viele Nationalitäten verbindet", sagt die Autorin.

Sentimental, liebevoll und manchmal etwas pathetisch - Helga Sedlaks Buch zu lesen fühlt sich teilweise so an, als würde man einem Walzer aus der Zeit der K.-und- K.-Monarchie lauschen. Die Autorin schafft es, als einfühlsame und zurückgezogene Beobachterin, die Protagonisten ihrer Familiengeschichte durch die Jahre zu begleiten und von ihnen ein freundliches, menschliches Bild zu zeichnen. Die Erinnerungen sind dabei getragen von der Sehnsucht nach einem Ort, den es nie gab, der sich dem Leser jedoch in klaren Bildern offenbart. Oder, um es mit den mantrahaft wiederholten Worten der Autorin zu halten: "'Vorbei ist vorbei', sagt die Donau. 'Nicht ganz', entgegne ich."

"Die Donau war nicht an allem schuld". Erzählungen von Helga Sedlak ist im Twentysix-Verlag erschienen. Das Buch hat in der gebundenen Ausgabe 188 Seiten und kostet 15,90 Euro.

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