Lesen im Landkreis:Besser als jeder Algorithmus

Lesen im Landkreis: In der Bücherstube Grafing stehen Geschäftsführerin Regina Sotta-Rothmoser und ihr Team den Leserinnen und Lesern mit Rat und Tat zur Seite.

In der Bücherstube Grafing stehen Geschäftsführerin Regina Sotta-Rothmoser und ihr Team den Leserinnen und Lesern mit Rat und Tat zur Seite.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die lokalen Buchhändler bedauern die erneute Absage der Leipziger Buchmesse - die Sichtbarkeit hätte ihrer Branche gutgetan. Warum die große Krise trotzdem bislang ausbleibt.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Abgesagt. Schon wieder. Zum dritten Mal. Auch 2022 wird es keine Buchmesse in Leipzig geben. Dabei gilt dieser erste große Branchentreff des Jahres als entscheidender Impulsgeber für den Büchermarkt. Hier werden die Neuerscheinungen des Frühjahres präsentiert, der Schwerpunkt liegt auf der Begegnung zwischen Autoren und Lesern. Außerdem zieht die Messe dank einer höchst aktiven Cosplayer-Szene genau jene junge Zielgruppe an, die sich die Buch-, Literatur- und Medienszene so sehr wünscht. Was aber bedeutet die erneute Absage für den Buchhandel im Ebersberger Landkreis? Sind die Schockwellen bis hierher spürbar?

Vor allem die Berichterstattung über Events locke Menschen in die Buchhandlungen

Zwar herrscht im Landkreis in erster Linie Verständnis für die Maßnahme des Veranstalters - ergriffen, weil mehrere große Verlage sehr kurzfristig ihre Nichtteilnahme erklärt hatten. Dennoch weist zum Beispiel Diana Mihaljevic darauf hin, dass die Relevanz dieses dritten Messeverzichts in Folge weit über die Stadt Leipzig hinausgehe. "Ich finde es schade, weil die Branche an Sichtbarkeit verliert. Davon aber leben wir", sagt die Buchhändlerin, die derzeit im Kirchseeoner Buchladen dessen Inhaberin Hedwig Wobken vertritt. Aufgrund der Kurzfristigkeit war nicht einmal mehr Zeit, wie 2021 ein digitales Programm auf die Beine zu stellen. Auch dies bedauert Mihaljevic. Denn es seien gerade die mit den Buchmessen verbundenen Events wie Begegnungen mit Autorinnen und Autoren, Präsentationen von Titeln aus dem jeweiligen Gastland oder Preisverleihungen, die durch die mediale Berichterstattung dafür sorgten, dass auch im Landkreis Ebersberg vermehrt Menschen den Weg in die Buchhandlungen fänden. Und das könnte wohl nicht schaden, ist das Geschäft mit Lesestoff doch nach wie vor pandemiebedingt eine eher durchwachsene Sache.

Lesen im Landkreis: Laut Diana Mihaljevic vom Buchladen im Kirchseeon schadet die Messeabsage der Branche vor allem wegen der fehlenden Sichtbarkeit.

Laut Diana Mihaljevic vom Buchladen im Kirchseeon schadet die Messeabsage der Branche vor allem wegen der fehlenden Sichtbarkeit.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Lesefreude an sich sei zwar nicht erloschen, jedoch habe die Kundenfrequenz nachgelassen, sagt etwa Klaus Bondzio von der Markt Schwabener Buchhandlung. Margot Bartl von AP Buch in Baldham berichtet Ähnliches: Aufgrund der Maskenpflicht sei die Verweildauer deutlich kürzer, die Leute schauten sich nicht mehr so lange um, was zu Lasten der Spontankäufe ginge. "Sie kommen, holen die bestellten Bücher ab und sind wieder weg." Was aber zum Glück nicht zu Einbußen bei den Einnahmen geführt habe; ihre Umsätze seien stabil und auf Vor-Corona-Niveau, so Bartl.

Auf den ersten Blick passt dies zur Pressemitteilung des Börsenvereins von Anfang Januar: "Buchmarkt 2021 mit Umsatzplus". Doch die in der Überschrift beschriebene Tendenz bezieht sich auf die gesamte Branche mit all ihren Absatzwegen - einschließlich des Onlinehandels. Das "stationäre Geschäft" hingegen, zu dem sowohl inhabergeführte Läden als auch Filialisten jeglicher Größe gehören, konnte "den Rückstand aus den monatelangen Ladenschließungen im Frühjahr nicht aufholen und schloss mit einem Umsatzminus von 3,1 Prozent gegenüber 2020 sowie von 11,5 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 ab".

Die Kunden sind froh über das Angebot vor Ort - "man kann ja nicht nur fernsehen"

Woran liegt es also, dass sich der Buchhandel im Landkreis offenbar trotz allem behaupten kann? Mag sein, dass die örtliche Klientel seit der Krise das lokale Angebot sogar noch mehr als früher schätzt. So sieht es auf jeden Fall Björn Hartung, Inhaber von Buch Otter in Ebersberg: "Bei uns wird sehr auf regional geschaut. Es gibt immer wieder neue Kunden." Das kann die Geschäftsführerin der Grafinger Bücherstube, Regina Sotta-Rothmoser, bestätigen: Sie freut sich über eine treue Stammkundschaft plus "neue, junge Muttis mit Kinderwagen". Und ergänzt lachend: "Wäre nicht schlecht, wenn noch ein paar Männer kämen. Wir haben bestimmt drei Viertel weibliches Publikum." Auch der Bücherladen Assling ist laut Inhaberin Karen Schiöberg-Fey vielleicht sogar noch häufiger als früher eine kulturelle Anlaufstelle. Immer wieder hört die Buchhändlerin: "Ich bin froh, dass ich mal rauskomme - man kann ja nicht nur fernsehen." Wobei sich gerade Titel, die angesagten Verfilmungen zugrunde liegen, wie etwa "Bridgerton", durchaus gut verkauften. Genauso wie Gesellschaftsspiele - die seien zu neuen Höhen aufgelaufen.

Lesen im Landkreis: Auswirkung der Pandemie? Elke Knitter verkauft in ihrem Poinger Buchladen auch viel "Wohlfühlliteratur".

Auswirkung der Pandemie? Elke Knitter verkauft in ihrem Poinger Buchladen auch viel "Wohlfühlliteratur".

(Foto: privat)

Elke Knitter wiederum, deren Buchladen sich im Poinger Einkaufszentrum befindet, erzählt von zwei unterschiedlichen Trends. Einmal sei da jene an den Feuilletons orientierte Leserschaft: "Die greifen dann zu Michel Houellebecq oder Colm Tóibín." Die meisten anderen Verkäufe gingen in Richtung "Wohlfühlliteratur", um den Frust zu kompensieren, dass man zwei Jahre nichts habe erleben können, so Knitter. Neben Belletristik stünde daher Reiseliteratur hoch im Kurs. Etwa die "Eskapaden"-Aktivguides mit ihren Anregungen für Ausflüge und Miniurlaube, sowie Bücher über Spaziergänge in München oder Tipps für Radltouren und Wanderungen im direkten Umkreis.

In Grafing, wo historische Romanbiografien ein Thema sind, freut sich Regina Sotta-Rothmoser darüber, schon im Herbst den richtigen Riecher gehabt und sich mit dem ersten Band der "Dallmayr"-Saga von Lisa Graf bevorratet zu haben. Auch bei Kinderbüchern wolle man einen guten Überblick bieten - schließlich seien das ja die Kunden von morgen. Mit "Die Barfußbande und die geklaute Oma" von Jörg Steinleitner liefert sie gleich einen Tipp für ein sympathisches Abenteuerbuch über "eine Gruppe von Kindern, die auf ausgesprochen nette Art und Weise ermitteln". Für die etwas Älteren habe man Mangas, Young-Adult-Literatur und Fantasy parat. Dass diesem Genre auch das Herz von Björn Hartung gehört, ist leicht erkennbar, als er anfängt, vom "mysteriösen und verflochtenen" Roman "Die Stadt ohne Wind" von Éléonore Devillepoix zu schwärmen, auf dessen zweiten Band im Mai er sich schon sehr freue. Seine nach der Übernahme des Buch Otter skizzierten Pläne im Bereich Kinder- und Jugendliteratur konnte Hartung zwar pandemiebedingt noch nicht realisieren, vergessen seien sie deswegen aber noch lange nicht. Und schon gar nicht sein diesbezügliches Fachwissen.

Expertise bildet den Grundstock für Vertrauen

Überhaupt: Expertise bildet den Grundstock für das Vertrauen der Kundinnen und Kunden, zusammen mit einer persönlichen Bindung, die jeden Algorithmus schlägt: "Sie wissen ja, was ich mag." Wie gut also, dass für eine kompetente und fachkundige Beratung die beiden großen Branchentreffen in Leipzig und Frankfurt keine Voraussetzung sind. Denn die Buchhändler im Landkreis haben längst andere Mittel und Wege gefunden, immer up to date zu sein.

Zunächst einmal hat sich ohnehin die Frequenz gewandelt, mit der neue Titel erscheinen: Man findet sie nicht nur im Frühjahr und Herbst in den Regalen, sondern immer häufiger auch unterjährig. Entsprechende Ankündigungen erreichen die Buchhandlungen mittels gedruckter oder digitaler Vorschauen, oft im Paket mit Leseexemplaren. Nicht zu vergessen: die Besuche oder telefonischen Beratungen durch Verlagsvertreter, die "ihre" Ladengeschäfte und deren individuelle Bedürfnisse vielfach bereits lange kennen. Daneben besucht etwa Margot Bartl "schon seit Jahrzehnten" immer Ende Januar eine Vertreterbörse in München. 13 Termine habe sie diesmal absolviert, es seien aber gewiss doppelt so viele Verlage vertreten gewesen. Björn Hartung wiederum erwähnt die digitale Messe "Frühlingserwachen", bei der sich der unabhängige Buchhandel vier Tagen lang zu Lesungen und Vorträgen von um die 100 Verlagen zuschalten kann.

Lesen im Landkreis: Auch ohne Messe kann man up to date sein: Margot Bartl von AP-Buch in Baldham zum Beispiel besucht seit vielen Jahren eine Verlagsbörse in München.

Auch ohne Messe kann man up to date sein: Margot Bartl von AP-Buch in Baldham zum Beispiel besucht seit vielen Jahren eine Verlagsbörse in München.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Branche sei alles andere als verstaubt

Verstärkt gibt es dank der neuen Technologien auch Online-Autorenlesungen oder Themenabende einzelner Verlage. "Starke Frauen" stehen da beispielsweise im Mittelpunkt, oder Produkte für Kinder oder Jugendliche. So lerne man nicht nur Novitäten kennen, sondern werde auch inspiriert - "zu einem besonderen Schaufenster, einem Thementisch oder einem Posting bei Instagram", sagt Diana Mihaljevic. Die Beiläufigkeit, mit der die Buchhändlerin über die Einbindung der sozialen Netzwerke spricht, passt zu einem wesentlichen Grund, warum sie die Buchmessen für bedeutsam hält: "Sie zeigen, dass wir alles andere als verstaubt sind, sondern eine rasante Branche, die sich immer weiterentwickelt."

Wie gut also, dass die örtlichen Buchhändler die Lesehungrigen ganzjährig an die Hand nehmen und ihren Horizont erweitern können. Oder wie Karen Schiöberg-Fey es formuliert: "Für manche literarischen Nischenperlen braucht es eben solche Trüffelschweinchen wie uns."

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