Urkunde entdeckt:Sensation: Grafinger Wildbräu ist drittälteste Brauerei Bayerns

Urkunde entdeckt: Erst im Herbst konnten Grafings Bürgermeister Christian Bauer, Kreisheimatpfleger Thomas Warg, Bräu Gregor Max Schlederer, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds Walter König und Stadtarchivar Bernhard Schäfer (von links) auf die jetzt noch längere Geschichte der Grafinger Brauereien anstoßen.

Erst im Herbst konnten Grafings Bürgermeister Christian Bauer, Kreisheimatpfleger Thomas Warg, Bräu Gregor Max Schlederer, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds Walter König und Stadtarchivar Bernhard Schäfer (von links) auf die jetzt noch längere Geschichte der Grafinger Brauereien anstoßen.

(Foto: Christian Endt)

Statt wie bisher gedacht seit 1616, wird in Grafing bereits mindestens seit 1060 Bier gebraut. Nur an zwei anderen Orten in Bayern war man noch früher dran.

Von Wieland Bögel, Grafing

Die Frage, ob die eigene Rente sicher ist, beschäftigt die Menschen offenbar schon sehr lange. So wie einen Kirchenmann namens Conrad, der vor beinahe einem Jahrtausend seine Rente sicherte, indem er einen Vertrag mit dem Ebersberger Kloster schloss. Darin setzt er die Mönche als Erben für sein Landgut in Sulding, Landkreis Erding, ein, wenn er dafür eine Altersversorgung bekommt. Wie in diesen Zeiten üblich natürlich in Naturalien: "Presbiter Chounradus", wie er in dem Vertrag von 1060 genannt wird, lässt sich seine Rente unter anderem in Bier auszahlen. Dieses wiederum soll aus einem Örtchen namens "Gisling" stammen - was der alte Name der heutigen Stadt Grafing ist und dieser den Titel der drittältesten Braustätte Bayerns einbringt.

So zumindest schilderte es Bernhard Schäfer, Grafinger Stadtarchivar und Museumsleiter, nun bei einer kleinen Feierstunde. Die fand, in mehrfacher Hinsicht passend, im "Ristorante" am Grafinger Marktplatz statt, schließlich steht das Gebäude an der Stelle und möglicherweise sogar auf den Fundamenten des ersten Gebäudes, das hier errichtet wurde. Und dass der Beginn der Grafinger Brautradition nun in die Zeit der Romanik rückdatiert werden kann, passt ja auch ganz gut zu einem italienischen Lokal. Dass eben dort 973 die Geschichte Grafings begann, wusste Bürgermeister Christian Bauer den Gästen zu berichten: "Das habe ich heute auf unserer Website gelesen."

Ganz ohne Internetrecherche konnte Historiker Schäfer über die Gründungsgeschichte des heutigen Grafing berichten. Dessen ursprünglicher Name sich von Gisela, der Gattin Herzog Heinrich II, genannt der Zänker, ableitet. Gegenüber seiner Frau war er wohl netter, ließ er ihr doch das Landgut Gisling errichten. Welches indes schon drei Jahre darauf dem Grafen Ulrich von Ebersberg zufiel, wodurch sich auch der Name in Grafing änderte.

Grafing, Wildbräu, Urkunde von 1060, Testament des Chounradus

Um das Jahr 1060 ist diese Urkunde entstanden, in welcher ein Priester namens Conrad dem Kloster Ebersberg sein Landgut im heutigen Sulding vermacht.

(Foto: Business Graphics Datentechnik G)

Der ursprüngliche Ortsname blieb aber offenbar weiter gebräuchlich. Denn ein weiteres gutes Jahrhundert später - Giselas ehemaliges Landgut hatten die Ebersberger Grafen da bereits an die Benediktiner vererbt - findet sich im Testament des Priesters Conrad eben jene Ortsbezeichnung "Gisling". Denn von dort sollte der Kirchenmann seine jährliche Apanage erhalten. Diese bestand aus einer nicht näher bezeichneten Menge an gepökeltem Schwein, außerdem je fünf "modi" - eine alte römische Maßeinheit, die in etwa neun Litern entspricht - an Roggen sowie einen an Weizen. Und eben "cervesiam plenam", ebenfalls aus Gisling.

Zwar lässt sich laut Schäfer nicht mit Sicherheit sagen, wie der Zusatz "plenam" zu übersetzen ist. Möglich wäre "eine (Wagen-) Ladung" Bier oder auch eine "hinreichende Menge" - was offen lässt, wie viel Conrad als hinreichend ansah. Ebenfalls möglich sei aber, dass "plenam" eine gewisse Qualität des gelieferten Bieres bezeichnet, ähnlich des noch heute gebräuchlichen Begriffes "Vollbier". Denn, so Schäfer, als Alltagsgetränk wurde damals eine Art von Dünnbier ausgeschenkt - vielleicht hatte Conrad sicherstellen wollen, dass man ihm stattdessen Bier von höherer Qualität zukommen ließ.

Viel interessanter jedoch als die Frage, ob hier Qualität oder Quantität des Bieres gemeint ist, sind zwei andere Dinge: Dessen Herkunft aus "predio Gislingin" sowie das Datum. Gemäß dem Cartular, also der Aktensammlung, des Ebersberger Klosters, schlossen dieses und Priester Conrad den Vertrag um das Jahr 1060. Woraus sich ergibt, dass die Benediktiner zu jener Zeit in Grafing eine Brauerei betrieben haben. In dem Zusammenhang wird das Adjektiv "plenam" wieder interessant. Denn offenbar war diese Brauerei in der Lage, entweder reichlich Bier oder auch solches in gewisser Qualität oder vielleicht auch beides herzustellen. Was nach Schäfer auf eine gewisse Professionalität schließen lässt und die Braustätte so von anderen abhebt, die vielleicht zum Eigenbedarf einzelner Hofstellen überschüssiges Getreide in Form von Bier haltbar machten.

Damit rückt Grafing - und die Brauerei Wildbräu als einzige in der Stadt verbliebene - in der bayerischen Biergeschichte ziemlich weit nach oben. Laut Schäfer gibt es im Freistaat nämlich nur zwei andere Brauereien, für die eine längere Geschichte dokumentiert ist: die beiden Klosterbrauereien Weihenstephan und Weltenburg, die sich auf das Jahr 1040 und 1050 datieren lassen. Die Münchner im Übrigen, darauf wies Walter König, Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds, hin, seien erst knapp drei Jahrhunderte später in die Bierproduktion eingestiegen: Auf 1328 datiert der erste Beleg für die Brauerei der Augustiner.

Weshalb den Grafingern auch eine ganz besondere Bedeutung zukommt, so König bei der Feier der Bärenstädter Brautradition. Zunächst sei man beim Brauerbund zwar etwas skeptisch gewesen, als die Grafinger ihre Brauerei von 1616 - so steht es im übrigen noch auf den derzeit im Handel erhältlichen Wildbräu-Bierflaschen - gute fünfeinhalb Jahrhunderte rückdatieren lassen wollten. Die von Schäfer im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufgetriebene Urkunde über das Erbe und die Rente Conrads habe eventuelle Zweifel indes schnell ausgeräumt. "Das sind die Belege, die wir brauchen", so König - und dabei geht es nicht um interessante Einblicke in die Historie, sondern um harte Bandagen im Kampf um Urheberrechte an der Marke "Bayerisches Bier". Die wollten sich nämlich einige sichern, so König weiter, weshalb solche Belege über bayerische Brautradition seit dem Hochmittelalter durchaus nicht ganz unwichtig seien - "auch um Nachahmern vor Gericht zu begegnen".

Ganz andere Begegnungen soll die neu entdeckte Grafinger Brautradition ermöglichen, geht es nach Thomas Warg, zuständig für Stadtführungen in den Städten Ebersberg und Grafing, deren gemeinsame Geschichte durch das neu entdeckte Dokument nun wieder etwas deutlicher wurde, "auch wenn sie nicht immer die besten Freunde waren". Künftig wird es ein neues Angebot geben: Auf den Spuren der ersten Brauer der Stadt Grafing. Und wer könnte dies besser vermitteln, als derjenige, der die immerhin 961-jährige Brautradition bis heute lebendig hält: Wildbräu-Chef Gregor Schlederer.

Auf dessen Betreiben ist die ganze Geschichte mit der Geschichte überhaupt erst ins Rollen gekommen, wie Schäfer berichtete. Denn eigentlich sei es zunächst nur um eine Darstellung der Historie von Wildbräu gegangen - der letzten der einstmals vier Brauereien in der Stadt. Hintergrund war die Renovierung des Bräustüberls, dazu passend sollte auch die Tradition des Bierbrauens in Grafing dargestellt werden. Das hatte Schäfer auch im Rahmen einer Ausstellung im Stadtmuseum vor gut fünf Jahren schon einmal getan. Doch der Bräu von Grafing "wollte noch mehr wissen", so der Historiker. Was dann letztlich eine gute Entscheidung gewesen sei, denn so kam Schäfer auf die Urkunde aus dem klösterlichen Cartular - und die Brauerei war plötzlich um mehr als ein halbes Jahrtausend älter als gedacht.

Für deren Chef passt diese lange Tradition sehr gut in seine Vorstellungen, was Wildbräu sein und auch bleiben soll: "Wir sind eine kleine Brauerei" - immerhin habe man fast genausoviele Mitarbeiter (18) wie Biersorten (16) - "und genau das ist unser Wettbewerbsvorteil". Diesen herauszustellen, die regionale Marke zu stärken, hat sich Schlederer vorgenommen, seit er die Geschäftsführung der Brauerei 2018 übernahm. Erst heuer startete etwa eine Werbekampagne: Wer sich das Wildbräu-Logo aufs Auto pappte, konnte sich kostenlos vier Kästen Bier in den Kofferraum packen.

Nur auf die wohl größte Werbeveranstaltung für die wohl älteste Brauerei der Region musste man heuer nun schon das zweite Mal in Folge verzichten: das Grandauer Volksfest. Ob es im kommenden Frühjahr stattfinden kann, wird sich zeigen - ein bisschen dafür geübt wurde indes bereits: Der Bräu servierte seinen Gästen das Bier stilecht in Maßkrügen - nicht ohne noch einmal auf die lange Tradition hinzuweisen: "Das war jetzt ein paar Jahrhunderte bei uns im Keller gelegen."

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