Brauchtum:Eine Rheinländerin beim Jodelkurs im Ebersberger Forst

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Ganz im Sinne der kulturellen Einbayerung macht Viktoria Spinrad einen Jodelkurs im Ebersberger Forst. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Das Singen auf Lautsilben hat nichts mit Tracht zu tun, erfordert eine Menge Energie und wer es leise probiert, hat schon verloren. Ein Selbstversuch.

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Die akustische Urgewalt will partout nicht durch das enge Dirndl. Hul-djo-i-ei ho-id-was-noch-mal? Verzweifelt sucht mein Finger die richtige Zeile, ohne Erfolg: Ich schiele in das Jodelheft. So wie meine sechs Kommilitonen, drei Frauen und drei Männer, allesamt über 50, deutlich älter und deutlich souveräner als ich. Sie bejodeln den Ebersberger Forst, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Sie alle tragen atmungsfreundliche T-Shirts. Ich hingegen bin hier die einzige bedirndelte Presswurst, die unter der knallenden Sonne schwitzt.

Ein Samstag auf der 600 Meter hohen Ludwigshöhe am Stadtrand von Ebersberg. Auf einem kniehohen Stein sitzend, glotzt mich ein etwa achtjähriger Blondschopf mit Lolli im Mund verständnislos an. Du dödeldi? Was mache ich hier eigentlich? Als zugezogene Rheinländerin aus Düsseldorf in einem Jodelkurs der Volkshochschule bestehen? Wahrscheinlich war der Plan von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Gedacht war meine Teilnahme als konsequente Maßnahme zur kulturellen Einbayerung.

Eine fragwürdige Idee, wie sich schnell herausstellt. Immer wieder ernte ich einen mitleidigen Blick von unserer 51-jährigen Jodellehrerin Barbara Lexa alias Jodelexa. Die zarte Frau mit der frechen Fransenfrisur und den Zehenschuhen, die ihre Gitarre fest in den sehnigen Händen hält, entlarvt meine modische Bemühung sogleich als Fauxpas: "Jodeln hat nichts mit Tracht zu tun", wird sie mir in der Mittagspause zwischen den beiden zweieinhalbstündigen Einheiten diskret erklären. Trachtenvereine und Jodeln wurden bloß zur selben Zeit populär. Mehr nicht. Ich schaue betreten zu Boden. Du dödeldu?

Petra und Michael Schöbel sind an diesem Samstag extra aus dem 300 Kilometer entfernten Selb angereist. "Ist doch mal was ganz Anderes!", so die Schöbels. Mit der Meinung sind sie nicht alleine: denn Jodeln boomt. In den vergangenen Jahren sind Jodel-Kurse wie Pilze aus dem Boden geschossen.

Alleine die Stadt München veranstaltet vier Kurse mit insgesamt 200 Teilnehmern im Jahr, "und jedes Mal muss ich Leute auf den nächsten Termin vertrösten", sagt Elke Richly vom Kulturreferat, "wir könnten nichts anderes machen als Jodelkurse anbieten". Ihre Theorie: Das Jodeln ist Nahrung für die Seele der Menschen. Im kommenden Jahr wird die Stadt zum zweiten Mal ein Jodel-Festival veranstalten.

Die zierliche Jodelexa klatscht in die Hände, dass der Wald bebt. "Jodeln geht nicht leise. Habt den Mut, eure Stimmen erklingen zu lassen!", ruft sie. Woher nimmt sie diese Energie? Egal. Sie will uns den Jodelschlag beibringen, also den lauten Wechsel von der Brust- zur Kopfstimme, der das Jodeln ausmacht.

Beim klassischen Singen gehen diese beiden Stimmen ineinander über; beim Jodeln sollen sie aber bewusst hörbar sein. Also tun wir so, als wären wir Diebe, auf frischer Tat ertappt: " Hääääää! Iiiii?" Bruststimme, Kopfstimme.

Die 59-jährige Birgit zwitschert süß zwischen den Buchen, als stünde sie auf der Bühne der Semperoper. Später verrät sie, dass sie im Kirchenchor ist. Herausforderung angenommen. Auch ich hebe meinen nach Luft ringenden Brustkorb in ungeahnte Höhen, presse ein quietschendes "Iiiii" aus mir raus. Anerkennendes Grinsen von Jodelexa.

Barbara Lexa führt ihre Schüler mit sicherer Hand in diese Welt ein. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Dann ertönt die Klampfe zur ersten richtigen Jodelsequenz. Im von Jodelexa eigens zusammenkomponierten Jodelheftchen erstreckt sich ein Silbensalat: Ho la rä-i ho la ro-u ho la rä-i ho la ro-u-ä-id di. Während die andern loszwitschern, bewege ich nach vier gekrächzten Silben nur noch die Lippen. Dul jä-i-ei ho-da-ro?

Zum Glück hadert nicht nur die rheinische Frohnatur, auch die von ihren Frauen mitgeschleppten Männer kämpfen mit dem Auf und Ab. Dem 58-jährigen Christoph, Karohemd, Sonnenbrille über Lesebrille, hat Jodelexa in ihrer liebevollen Art sowieso schon bescheinigt, dass das mit dem Jodelschlag schwierig werden könnte - für Männer soll der Übergangsbereich zwischen Brust- und Kopfstimme besonders schwierig sein. Jetzt haut es meinen Kommilitonen vor lauter Jodelschlag fast über den Wurzelboden.

"In einem Atemzug!", ruft Jodelexa jetzt aufmunternd, wippt synchron mit dem Kopf und dem rechten Zehen-Schuh-Fuß und lässt die Klampfe erklingen. Ich atme tief ein. Der Rekord beim Dauerjodeln liegt bei 15 Stunden, da sollten ein paar Ho-la-rä-is ja zu schaffen sein.

Doch ich fühle mich wie ein Fisch an Land, mein Mund öffnet und schließt sich, endlose, scheinbar willkürliche Silbenketten sprudeln unkoordiniert heraus. Irgendwo in Ebersberg jaulen Sirenen los, in meinem Kopf auch - vor lauter Sauerstoffmangel. Ho la rä-i ho la ro-u ho la rä-i ho la ro-u-ä-id di? In einem Atemzug? Am Ende des Silbensalats ist mein Bauch so leergeatmet, dass sein Nabel fast den Rücken küsst. Eine Gruppe Wanderer mit Sonnenschutz-Käppis und Wanderstöcken ist stehen geblieben und guckt uns an, als wären wir Eber, die im Kreis tanzen und an einem neuen Brunftschrei feilen.

In den vergangenen Jahren sind Jodel-Kurse wie Pilze aus dem Boden geschossen. Alleine die Stadt München veranstaltet vier Kurse mit insgesamt 200 Teilnehmern im Jahr. (Foto: Christian Endt)

Das Jodeln wird zwar gerne als Hirtentradition aus dem Alpenland gesehen. Tatsächlich aber jodeln nicht nur Bayern, Österreicher, Schweizer und verirrte Rheinländer, sondern auch zum Beispiel Eskimos, Chinesen, Spanier und Pygmäen - ursprünglich dann, wenn sie sich in abgelegenen Regionen über weite Distanzen verständigen mussten.

In den Köpfen der Deutschen angekommen ist die Singart spätestens im Jahr 1978. Da erschien Loriots Sketch über eine streng nach Regeln geführte Jodelschule, in der Frau Hoppenstedt über die endlos langen Silbenreihen stolpert ("Falsch, das ist das zweite Futur bei Sonnenaufgang!"). Dass man ab dem kommenden Wintersemester an der Hochschule Luzern sogar Jodeln im Hauptfach studieren kann, klingt wie eine Hymne auf das Jodeldiplom, das Loriots Figur Frau Hoppenstedt am fiktiven Institut für modernes Jodeln anstrebt.

Jodeldiplome winken auch an diesem Samstag in Ebersberg. Noch sind sie in Jodelexas Köfferchen verstaut. Die wippt schon wieder mit den Zehenschuhen und stimmt das erste Jodelmantra an. Also nach den ersten Jodel-Einzelübungen ein ganzes Lied, von ihr selbst gedichtet. "Des muss Schmiss haben!", ruft Jodelexa.

Ist das nun Malaiisch oder Loriots zweites Futur bei Sonnenaufgang?

Schmiss hat es tatsächlich: Satt und blau ist der Himme / h ul-djo-i-rid-dul-jo-ä. Äh? Ist das nun Malaiisch? Oder doch Loriots zweites Futur bei Sonnenaufgang? Zuviel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn der Jodler kommt plötzlich. Zu plötzlich, meine Reaktionszeit in der Mittagshitze ist im Keller, ich verpasse den Einsatz.

"Schaltet einfach euren Kopf aus. Hier ist kein Platz für Schüchternheit!", sagt Jodelexa aufmunternd und lacht. Sie hat ja gut reden, diese Gute-Laune-Frau mit Halsmuskeln, auf die jeder Gewichtheber stolz wäre. Die das Jodeln mit der Muttermilch aufgesogen hat: Ihre Mama war in den Fünfzigern und Sechzigern ein bekannte Musikantin, Jodlerin und Volksschauspielerin.

Zusammen mit ihr sang und jodelte schon die kleine Jodelexa auf Bühnen, mit neun Jahren komponierte sie ihre ersten eigenen Lieder. Später hatte sie Auslandsauftritte im Hofbräuhaus Tokio, beim Oktoberfest im brasilianischen Blumenau und beim Oktoberfest in Dubai. Mit dem von ihr selbst komponierten und getexteten Lied "Mei Wolfratshausen" errang die Künstlerin 1993 den ersten Platz der Hitparade auf Radio Alpenwelle.

Tatsächlich ist sie genau die Richtige, um Isar-Preißn wie mir die Kunst des Jodelschlags näherzubringen. Ihre Schritt-für-Schritt Didaktik vom ertappten Dieb ( Hä! I?) über kurze Sequenzen (" he-i, ho-u, ritiri") bis zum eigenen komponierten Jodler ist fast idiotensicher.

Nach reichlich Atemnot freut sich unsere Autorin Viktoria Spinrad über ihr Jodeldiplom. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Und so groovt sich das Silbensalat-Gegurgel, die Heile-Welt-Huldigung auf Wälder, Wiesen und Täler langsam ein in meinen rheinischen Sprachkanal. Der Trick: Tief Luft holen, grad hinstellen, Bauch anspannen - und die Kopfstimme schamlos in die Welt hinausposaunen: Satt und grea is da Woid / Hul-Djo-I-Rid-Dul-jo-Ä! Nicht nur Jodelexa, sondern auch wir Jodel-Schüler wippen mittlerweile mit den Füßen. Satt und voller Leben san aa miaaaaaa!

Langsam weicht die Beklemmung im eingeschnürten Brustkorb, ein Gefühl von Leichtigkeit, von Befreitheit stellt sich ein. Wer die Verständigung von früher beleben will, hat keine Wahl: Kopf aus, Bauch an. Nach vier Stunden Kehlkopf-quälender Lobhudelei auf das Leben und viel Juchhe geht es im Gänsemarsch hinauf auf die größte Sehenswürdigkeit von Ebersberg: den 36 Meter hohen Aussichtsturm über dem Forst.

Es ist Zeit zum Juchzen, Zeit für den Ur-Schrei dieser ganzen Ur-Veranstaltung. "Schreit's euch von der Seele", ruft Jodelexa. Ju hu hu hu huiiiiii, wir juhuhen unsere Urgewalt aus dem tiefsten Inneren Richtung Bergsilhouette. Die anderen Turm-Besucher kichern in sich hinein und deuten auf uns. Uns ist das egal. "Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert!", sagt Christoph augenzwinkernd. Das Jodeldiplom ist geschafft. Es ist klar: Wir haben uns eine ganz neue Welt erjodelt. Du dödeldu?

© SZ vom 28.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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