Brahms, Strauss, Britten:Erhellende Leckerbissen

Gelungener Kammermusikabend im Grafinger Rathaus

Von Peter Kees, Grafing

Unter Freunden der Kammermusik gelten die beiden Brahms-Sextette als besondere Leckerbissen. Neben seinem "Deutschen Requiem" und den "Ungarischen Tänzen" verhalfen ihm diese beiden Kompositionen - die ersten Werke reiner Streicher-Kammermusik, die Johannes Brahms veröffentlichte - zum Durchbruch. Das zweite, das Streichsextett op. 36 in G-Dur, wurde am Sonntag beim ersten Rathauskonzert der neuen Saison in Grafing von Mitgliedern des Münchener Kammerorchesters aufgeführt. Brahms schrieb es 1864/65, im Alter von 31 Jahren. Zart beginnt der erste Satz Allegro non troppo. Ein liebliches Thema wird im Piano von Instrument zu Instrument getragen, ehe ein erstes Tutti ins Forte führt. Dem zweiten Thema soll Brahms die Tonbuchstaben aus dem Namen seiner Göttinger Geliebten Agathe von Siebold unterlegt haben - ein musikalischer Scheidegruß an die einstige Verlobte, von der sich der Komponist getrennt hatte.

Äußerst durchsichtig musizierten in Grafing den von Wehmut und Liebeslyrik geprägten Kopfsatz Viktor Stenhjem (Violine), Tae Koseki (Violine), Max Peter Meis (Viola), David Schreiber (Viola), Bridget MacRae (Violoncello) und Matthias Gredler (Violoncello). Auch das Intermezzo, der melancholische Variationssatz Poco Adagio und schließlich der Finalsatz mit seinen flirrenden Sechzehntel begeisterten das Publikum, so sehr, dass man im Anschluss die Zugabe regelrecht erklatschte. Bagatellen von Antonin Dvořák gab es da zu hören - im Jahr 1878 für einen Hausmusikzirkel in Prag komponiert - im Original für zwei Violinen, ein Violoncello und ein Harmonium, hier vom Bratscher David Schreiber für Sextett bearbeitet. Ein hübsches Adieu der Musiker.

Eröffnet worden war der Abend mit dem Streichsextett aus Richard Strauss' Kammeroper "Capriccio", dem letzten Bühnenwerk des bayerischen Tonsetzers, in dem zu Beginn eben jenes Sextett erklingt. Eklatant ist, dass diese Oper - ein "Konversationsstück für Musik" - völlig im Widerspruch zu den historischen Ereignissen rund um ihre Entstehung steht. Fast zeitgleich zur umjubelten Münchner Uraufführung am 28. Oktober 1942 kommt der erste Transport von 2000 Juden aus Theresienstadt in Auschwitz an, die Massenvernichtung hat begonnen. Die Handlung, die heile Welt des 18. Jahrhunderts, aber auch die Musik wirken ihrer Zeit völlig entrückt: Mozart im Brahms-Tonfall des späten Strauss. Im Streichsextett, mit dem die Handlung anhebt, ist dieser Tonfall wie in einer Momentaufnahme eingefangen.

Der Strauss'schen Hochromantik folgten vier Duos für Violine und Violoncello von Reinhold Morizewitsch Glière, vorgetragen von Tae Koseki und Matthias Gredler sowie drei Divertimenti von Benjamin Britten für Streichquartett. Bemerkenswert: Die Divertimenti von Britten sind 1936 komponiert, klingen aber in ihrer Formsprache deutlich moderner als die Musik von Strauss. Hier kommen kompositorische Mittel zum Einsatz, die weit in die Zukunft weisen. Während Strauss mehr oder weniger weltfremd schreibt, ironisiert Britten bereits sechs Jahre vorher - hier im ersten Divertimenti "March" den zur Militärmusik gehörenden Marsch. Dessen Rhythmus löst sich in Glissandi auf, dazwischen erklingen bizarre Walzerklänge - fast als ob der Komponist fragen will: Kann man nach einem Marsch tanzen? Auffallend schön musiziert wurden auch die in den 1930er Jahren entstandenen Duos von Glière, einem russischen Komponisten, dessen Stil sehr der nationalrussischen Bewegung verpflichtet ist. Die vier Sätze beinhalteten denn auch einiges an folkloristischen Elementen.

Der Abend im Grafinger Rathaus bot also beides: höchste Musizierfreude sowie musikgeschichtliche Einblicke. Und so wirkte denn das Brahms-Sextett nach der Pause wie ein Rückblick aus dem tragischen frühen 20. Jahrhundert in die Zeit der Romantik und ihrer "Nationalen Schulen", mit denen man sich damals von der international vorherrschenden Musiktradition abgrenzen wollte. Die Katastrophe stand bevor.

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