Multitalent aus Baiern:Traumverwirklicherin
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Bina Schröer ist Schauspielerin, Regisseurin, Dozentin und Coach. Am Freitag kann man sie in Vaterstetten auf der Bühne erleben
Von Anja Blum, Baiern
Besonders heikel seien Sexszenen. "Macht nicht den Fehler, euch darüber zu freuen, nur weil ihr dafür keinen Text lernen müsst." Das bläut Bina Schröer ihren Zöglingen ein. Denn sie weiß, wovon sie spricht, schließlich arbeitet sie schon seit 30 Jahren professionell an Theatern und Filmsets. Viele Beispiele fallen ihr ein - selbst am Küchentisch im idyllischen Weiler Kleinrohrsdorf - von Szenen, die für die jeweilige Darstellerin eine große Herausforderung waren. Mindestens.
"Wenn im Drehbuch nur steht: 'Sie fallen im Aufzug leidenschaftlich übereinander her' - das kann durchaus problematisch werden." Denn gerade bei noch unbekannten Schauspielern und unter großem Zeitdruck werde solchen Momenten oft wenig Aufmerksamkeit geschenkt. "Dabei ist es extrem wichtig, sich vorher abzusprechen, die Szene ganz professionell durchzugehen, mit dem Gegenüber, aber auch mit dem Regisseur", sagt Schröer. Sonst könne daraus gerade für Frauen schnell ein sehr verstörendes, erniedrigendes Erlebnis werden. Eine "echte Grenzerfahrung". Deswegen rate sie jungen Schauspielerinnen immer, solch eine Vorgehensweise vorab vertraglich festzuhalten. Für alle Fälle. Selbst auf die Gefahr hin, als "zickig und unprofessionell" zu gelten.
Bina Schröer, Jahrgang 64, hat schon viel erlebt und viel zu erzählen. Nicht nur über "Me too". Die Debatte findet sie aber sehr wichtig, schließlich seien Film und Theater nach wie vor männerdominierte Branchen - "und die Linie, um die es hier geht, ist sehr dünn". Ihr selbst sei zwar "nie etwas Schlimmes" passiert, doch die Branche sei auch ihrer Erfahrung nach anfällig für Übergriffe aller Art: Die "Ochsentour" für Schauspieler, an Ausbildungsplätze oder Rollen zu kommen, gehe stets einher mit einem großen Machtgefälle.
Schröer selbst jedoch ist es offenbar gelungen, sich diesen Mechanismen größtenteils zu entziehen, und zwar, indem sie sich künstlerisch "sehr breit aufgestellt" hat. Von der TV-Soap bis zum Staatstheater, alles habe seine Berechtigung, sagt sie. Heute ist Schröer, die seit elf Jahren in Kleinrohrsdorf in der Gemeinde Baiern lebt, nicht nur Schauspielerin, sondern auch Regisseurin, Dozentin, Coach. "Selfmade" nennt sie ihren Lebenslauf, der sie über viele Stationen, auch Umwege vielleicht, zu einem erfüllten und funktionierenden freiberuflichen Dasein geführt hat.
Schröer stammt aus Berchtesgaden, den Wunsch, auf der Bühne zu stehen, hegte sie schon früh. "Egal, ob als Balletttänzerin, Rockstar oder Schauspielerin", erzählt sie und lacht. Also ging sie nach dem Abitur nach München, wo sie neben allerhand freien Bühnenprojekten, privatem Gesangs-, Tanz- und Schauspielunterricht zunächst Theaterwissenschaften und Germanistik studierte - "eine Basis, die mir heute noch oft zugute kommt".
Mitte der 80-er dann eröffnete an der Isar die erste Schule für Method Acting, und Bina Schröer wurde aufgenommen. Dort begegnete sie unter anderem Schauspielerin Ute Cremer-Barzel, die ihr zur Mentorin wurde. "Sie erkannte, dass ich auch einen Blick für Regie und Coaching habe", sagt Schröer. Deshalb verantwortet sie heute diverse Inszenierungen, zum Beispiel vom Theater Zwischenton aus Ebersberg, und hat schon viele Darsteller gecoacht, sprich: sie bei der Rollenfindung unterstützt. Schauspielerei nämlich sei echtes Handwerk, sagt sie, es gehe nicht darum, nur den Text auswendig zu lernen, sondern an einem Charakter wirklich zu arbeiten. Schröer hat dafür viele Techniken parat, blieb dem Method Acting aber immer eng verbunden: Dieses fordere, möglichst dicht an eigenen Erfahrungen zu bleiben, um eine Rolle möglichst authentisch verkörpern zu können, erklärt sie. Doch auch "im echten Leben" weiß sie Rat: Körpersprache, Rhetorik, Selbstpräsentation, all das kann man bei ihr trainieren.
Bina Schröer liebt es, mit anderen zusammenzuarbeiten. Sei es mit Profis, engagierten Laien oder jungen Talenten, etwa an der "Issa" in München oder an der "Dansation" in Haar. "Ich sehe mich gerne als Traumverwirklicherin." Sie selbst aber profitiere auch von diesen Begegnungen rund um die Bühne: Unterrichten zu dürfen sei ein Privileg. Eine Haltung, die auch Schröers Stil als Regisseurin prägt. Anstatt autoritär "über die Köpfe der Darsteller hinweg zu inszenieren", setzt sie auf Dialog. "Jeder soll sich einbringen dürfen."
Allerdings gibt es auch Projekte, die Bina Schröer erst einmal für sich alleine angeht: So hat sie schon diverse literarische Programme zu bestimmten Themen entwickelt, sei es über russische Autoren oder von der NS-Bücherverbrennung betroffene Werke. Auf der Bühne mit von der Partie ist dabei aber ihr Lebensgefährte, der Gitarrist Emanuel Dürr, zusammen kreieren die beiden musikalische Lesungen. Die neueste widmet sich einem Jubiläum: "Von Weimar nach Berlin - 100 Jahre Demokratie". Viel hat Schröer dafür recherchiert, ein ganzer Stapel Bücher fand letztlich Eingang in den Abend, von Cicero über Voltaire oder Oskar Maria Graf bis hin zu Willy Brandt und Joachim Gauck - so dass sich ein Bogen spanne "von der Demokratie zur Revolution bis zur Toleranz". Ein gutes menschliches Miteinander nämlich liegt Bina Schröer sehr am Herzen, nicht nur, wenn es um Bettszenen geht.
"100 Jahre Demokratie": musikalische Lesung mit Bina Schröer und Emanuel Dürr, am Freitag, 7. Februar, um 19 Uhr bei der VHS in Vaterstetten. Anmeldung unter (08106) 35 90 35.