Süddeutsche Zeitung

Bildschirm statt Papier:Das neue Lesen

Immer mehr Büchereien im Landkreis nehmen E-Books ins Angebot auf. Wer einen Kindle-Reader besitzt, profitiert von der Sortimentserweiterung allerdings nicht.

Nadia Pantel

Tschüss Seite, hallo Bildschirm: das E-Book kommt. Und zwar nicht nur als Verkaufsschlager, sondern auch als selbstverständliches Angebot in immer mehr Gemeindebüchereien im Landkreis. Seit bald einem Jahr kann man in Vaterstetten elektronisch lesen. Vom ersten März an auch in Kirchseeon und Zorneding, vom Sommer an schließlich auch in Grafing. "Wir reagieren damit auf die verstärkte Nachfrage durch die Leser", sagt Monika Schanzenbach, stellvertretende Leiterin der Gemeindebücherei Zorneding.

Dass das Lesen ohne Papier und Seiten sehr populär ist, kann Christina Walser, Leiterin der Gemeindebücherei Vaterstetten bestätigen. "Nachdem wir das E-Book ins Angebot aufgenommen haben, haben sich sogar Leute aus anderen Landkreisen bei uns angemeldet", sagt Walser. Von den 2500 Entleihern der Bücherei Vaterstetten, nutzen 340 Leser das E-Book, aus 6000 elektronischen Titeln können sie auswählen. Lesegeräte für die digitalen Bücher, sogenannte E-Reader, werden jedoch nicht verliehen. "Wir haben das lange überlegt, aber die Menschen hier in der Gemeinde scheinen technisch sehr gut ausgerüstet zu sein", so Walser.

Einig sind sich Walser und Schanzenbach, dass das E-Book lediglich als ein zusätzlicher Service zu sehen ist, der das klassische Buch jedoch nicht ersetzen wird. "Die Video-Kassette, die CD-Rom, das haben wir alles kommen und gehen sehen" - das E-Book ist für Walser kein revolutionärer Umbruch, sondern ein Medium, das "wie jedes Medium seine Berechtigung hat". Und Brigitte Binder, Leiterin der Bücherei Grafing, kommentiert nüchtern: "Hauptsache, die Leute lesen."

Doch das neue Medium hat nicht nur seine Berechtigung, sondern auch seinen Preis. 10 000 Euro hat die Bücherei Vaterstetten für die Anschaffung von E-Book-Lizenzen im vergangenen Jahr ausgegeben. Die Büchereien in Zorneding, Kirchseeon und Grafing müssen jeweils etwa 5000 Euro zahlen, um die nötigen Programme, Schulungen und erste Lizenzen zu finanzieren. Um die Kosten des E-Books dennoch möglichst gering zu halten, haben sich die Büchereien zu Verbünden zusammengeschlossen. Vaterstetten hat sich mit Bad Aibling, Burghausen, Mühldorf und Traunreut zu "Bibiload" zusammengeschlossen, Kirchseeon, Zorneding und Grafing sind im Verbund LEO-Süd organisiert. Dass die Landkreis-Büchereien nicht in einem einheitlichen Verbund organisiert sind, liegt laut Walser daran, dass ein zu großer Verbund einen zu hohen Koordinationsaufwand bedeuten würde, doch auch an den unterschiedlichen Trägern der Büchereien. In beinahe jeder Gemeinde des Landkreises gibt es eine Bücherei. Einige sind, wie in Vaterstetten, allein durch die Gemeinde finanziert. Andere, wie in Kirchseeon und Zorneding, werden von Gemeinden und der katholischen Kirche gemeinsam finanziert. So ist LEO-Süd ein Projekt des katholischen Michaelsbunds. Die Verbünde ermöglichen es den Büchereien, die Lizenzen für elektronische Titel gemeinsam zu erwerben. So kann auf ein Buch von mehreren Büchereien aus zugegriffen werden.

Die Kosten, die für das E-Book aufgewendet werden, gehen dabei jedoch nicht vom Bücheretat ab. "Die Kosten des E-Books werden von der Gemeinde Zorneding zusätzlich finanziert", erklärt Schanzenbach. Und Walser hat für 2012 für die Neuanschaffung von Büchern viermal so viel ausgegeben wie für die Anschaffung der E-Book-Lizenzen. "Wir kaufen auch nicht jeden neuen Titel doppelt, als Buch und als E-Book", sagt Walser. Tatsächlich wäre das auch nicht möglich. Denn so praktisch die handlichen E-Books sind, die Rechte an den elektronischen Texten stellen die Büchereien vor Herausforderungen. Zwar werden sehr viele Neuerscheinungen automatisch auch als E-Book herausgegeben, doch nicht alle Verlage sind bereit, die Lizenzen an die Büchereien zu verkaufen. Dies gilt zum Beispiel für den Diogenes Verlag. Und selbst wenn ein Buch in der Bücherei als E-Book vorliegt, ist noch nicht gesagt, dass der Entleiher die Datei auf seinem Lesegerät entschlüsseln kann. Ein Problem, das auftritt, wenn der Entleiher einen Kindle-Reader besitzt. Denn der Kindle ist zwar das mit Abstand populärste Lesegerät, die Bücherei-E-Books können darauf jedoch nicht gelesen werden, da Kindle einen Exklusiv-Vertrag mit Amazon hat. Und Amazon verkauft nicht an Büchereien. So hat der Kirchseeoner Bürgermeister Udo Ockel vor Weihnachten die Bücherei-Freunde extra aufgefordert, nur Nicht-Kindle-Reader unter den Baum zu legen.

Doch nicht nur das Amazon-Monopol macht Sorgen. Es stellt sich auch die Frage, wie sich die Büchereien in ihrer sozialen Funktion verändern, wenn die Menschen zum Entleihen, Lesen und Zurückgeben nicht mehr das Haus verlassen müssen und die Bücherei zu einem rein virtuellen Ort wird. Ausgestorbene Lesesäle: für Christina Walser ist das keine realistische Zukunftsvision. "Büchereien werden immer mehr zu Orten, an denen sich Menschen gerne aufhalten", sagt sie. So besteht ihre Arbeit nicht nur darin, Bücher zur Verfügung zu stellen. Sie organisiert auch Lesungen und Konzerte und kümmert sich um die Leseförderung der Kinder. Jetzt habe sie dafür nur wenig Platz, doch wenn Vaterstetten mit der neuen Ortsmitte, wie von Bürgermeister Robert Niedergesäß versprochen, auch eine neue Bücherei erhält, werde es um eine "Verbesserung der Aufenthaltsqualität" gehen. Und darum, vor allen Dingen die Kinder für das Lesen zu begeistern. Ob auf Papier oder Bildschirmen, wird sich dann zeigen.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2013
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