Marie Hacker hat sich schon wieder auf den Truck geschlichen. Weil dort noch ein Platz frei war, ist die Elfjährige auch auf der zweiten Tour dabei. Und natürlich top ausgerüstet, mit Käppi und Kamera. Marie ist die kleinste und jüngste hier. Dafür hat sie umso höhere Ansprüche an die kommenden zwei Stunden. Weil sie am frühen Nachmittag schon Gnus, Affen und Zebras gesehen hat. Und eine tote Giraffe. Das gilt es erst einmal zu toppen.
Das Grafinger Jugendorchester ist mitten im Busch angekommen. Seit Mittwoch wohnen die 60 Musiker in einer Hüttensiedlung in Kwalata hundert Kilometer weiter nördlich, kein Vergleich zu Johannesburg, wo sich die Gruppe zur Sicherheit nur im Rudel bewegen durfte. Hier, zwischen Dschungelpflanzen und Reetdächern, sind die Rudel draußen in der Wildnis. Löwen, Gnus und Zebras, die auch in Gruppen unterwegs sind. Um sie geht es an diesem frühen Mittwochabend.
Vier Fuhren sind unterwegs, zwei kleine und zwei große. Eine hier ist besonders groß, vor allem, wenn es darum geht, die Safaritour mit Kalauern zu würzen. Dafür sind beim Grafinger Jugendorchester Tubist Markus Sedlmaier, Moderator Philipp Gassert und Trompeter Klaus Sigl zuständig - sie sitzen ganz hinten, in Reihe sechs. Weiter vorne im Truck haben sich die Fotografen und Tierspezialisten eingefunden, Hornbläser Johannes Schönwälder mit seiner Spiegelreflexkamera, oder Peter Schäfer, er lebt seit gut 30 Jahren in Südafrika und hat einige Safaris erlebt.
Die Sonne senkt sich am Horizont, orange und schön. Romantisch, könnte man sagen. Da grätscht Markus Sedlmaier dazwischen. "Die Big Five: Augustiner, Tegernseer, Hacker, Löwenbräu - und Maxlrainer." Die anderen feixen, deswegen oder trotzdem, das ist nicht ganz klar auszumachen.
Der Tourguide erklärt, dass sich die Tiere gerade in der "Mating Time" befinden, Paarungszeit also. Vielleicht ein Grund, warum die Grafinger gerade keinen der echten afrikanischen Big Five zu sehen bekommen - Elefant, Löwe, Leopard, Nashorn und Büffel. Obwohl es einige von ihnen hier gibt. Mating Time? Ein Stichwort für Philipp Gassert, er bittet den Tourguide um eine Definition. Er, der die Konzerte des Orchesters auf Englisch moderiert. Klar, auch ein Scherz. Wieder Grinsen auf dem Truck. Sie können es halt nicht lassen.
Solche Momente helfen, die Dynamik dieser Truppe zu verstehen. Die Sprüche sind nicht respektlos gemeint. Eher als Verknüpfung des Bekannten mit dem Neuen. Die hinterste Bank verstummt, als ein Mann zu erzählen beginnt. Peter Schäfer hat sich zur elfjährigen Marie umgedreht und erzählt von der giftigen Baumschlange. Dass es im ganzen Land nur eine Ampulle Gegengift gibt, weil selten jemand gebissen wird. Marie hört mit großen Augen zu. In Reihe sechs stehen Münder offen.
Der Truck holpert weiter über den unruhigen Weg. Dann plötzlich: fünf Zebras, direkt am Wegrand. Mit einem Ruckeln bleibt der Wagen stehen. Einsatz für die Kameras. Ehrfürchtige Stille in Reihe sechs.
Leichter Wind im Gestrüpp, die Baumwipfel ragen jetzt in die Sonne. Ein glühendes Rot, keine Farbe, die man vom bayerischen Firmament kennt. Wieder klicken Apparate. Doch diesen Anblick kann kein Foto der Welt festhalten, man muss es mit eigenen Augen sehen. Marie senkt die Kamera. Dann ruft einer: "Eine Giraffe!"
Tatsächlich. Etwa hundert Meter weit entfernt, aber eindeutig erkennbar. Und lebendig. Nicht so wie der ausgestopfte Giraffenkopf in der Hotelbar. Das majestätische Tier hebt den Kopf. Blick in Marie Hackers Gesicht: Als wäre die Sonne gerade erst aufgegangen.