Beratung:Zeit zum Austausch

Menschen mit einer Behinderung können in Markt Schwaben Berater mit ähnlichen Erfahrungen kostenlos aufsuchen

Interview von Johanna Feckl, Markt Schwaben

Seit vergangenen Sommer gibt es in Markt Schwaben eine neue Anlaufstelle für Menschen mit einer Behinderung: Die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB). Die Beratung ist Teil des Bundesteilhabegesetzes und kostenlos. Aktuell versuchen vier Beraterinnen und Berater Betroffenen aus den Landkreisen Ebersberg, Erding und Freising bei ihren Problemen zu helfen. Eine davon ist Rita Ruppert. Im Gespräch mit der SZ erzählt die 66-Jährige von dem Angebot.

SZ: Frau Ruppert, Anlaufstellen bei Anliegen rund um Behinderungen gibt es viele, etwa von der Caritas, der Diakonie, dem Bayerischen Roten Kreuz oder Landes- und Bundesbehindertenverbände. Inwiefern unterscheidet sich die EUTB davon?

Rita Ruppert: Das größte Unterscheidungsmerkmal ist, dass wir alle Peers sind - das ist eine Voraussetzung, um in der EUTB überhaupt als Berater zu arbeiten. Das bedeutet: Wir sind selbst krankheitserfahren. Bei uns im Team arbeiten sowohl körperbehinderte Berater als auch solche mit vergangenen psychischen Einschränkungen. Wir als Berater bilden also mehrere Behindertenarten tatsächlich auch ab.

Das heißt, es ist ganz egal, welche Einschränkung man hat - man kann in jedem Fall zu Ihnen kommen?

Ob es eine körperliche, geistige oder psychische Behinderung ist, das ist völlig egal. Wenn etwa ein gehörloser Mensch zu uns kommt, dann müssten wir das im Vorhinein wissen. Für die Beratung bräuchten wir dann einen Gebärdendolmetscher, den haben wir normalerweise nicht hier. Aber das lässt sich alles organisieren. Wir sind innerhalb der EUTB-Stellen sehr gut vernetzt.

Beratung: Die 66-jährige Rita Ruppert ist eine von derzeit vier EUTB-Beratern in Markt Schwaben.

Die 66-jährige Rita Ruppert ist eine von derzeit vier EUTB-Beratern in Markt Schwaben.

(Foto: Christian Endt)

Mit welchen Problemen kommen denn die Menschen zu ihnen?

Eben kam zum Beispiel ein Mann mit Burnout zu uns. Solche und ähnliche Fälle häufen sich. Meistens kommen die Leute, wenn sie schon krank sind oder eine Therapie machen. Es ist ganz wichtig, dass diese Menschen einfach mit uns reden können. Die Fragen sind vielfältig: Kann ich jetzt schon in Rente gehen? Reicht dann das Geld? Es kommen dann aber auch schnell Fragen, die das soziale Umfeld betreffen: Wie gehe ich vor Kollegen mit der Krankheit um? Was sage ich dem Ehepartner?

... und das ist wahrscheinlich der Punkt, an dem den Beratern die eigene Krankheitsgeschichte zugute kommt, oder?

Ja, ganz genau. Jeder, der zu uns kommt, kann uns offene Fragen stellen: Was haben Sie in der Situation gemacht? Da müssen wir auch ehrlich sein und klar sagen: "Ihre Situation ist großer Mist! Unter Umständen kann es Jahre dauern, bis Sie da wieder raus sind - zunächst ist es oft ein Gang in die Wüste." Aber genau das hilft vielen: Es geht um die Bestätigung, dass es anderen auch so geht oder ging. Und wir haben die Zeit, um genau darüber zu sprechen.

Ist es nicht von Vorteil, wenn der Berater kein Betroffener ist? Oft ist es die Distanz, die eine klare Sicht auf Dinge ermöglicht.

Das hat man ja bei anderen Beratungsstellen. Wie unser Name schon sagt sind wir ergänzend und unabhängig - wir wollen das bestehende System also nicht ersetzen, sondern es erweitern. Außerdem beraten wir, ohne einem Geldgeber Rechenschaft schuldig zu sein. Dadurch können wir nur auf den Betroffenen schauen und gemeinsam mit ihm herausfinden, was er braucht.

Teilhabegesetz

Das Bundesteilhabegesetz (BTGH) ist ein Gesetzespaket, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet wurde. Im Dezember 2016 hat es der Bundesrat verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist, die Möglichkeiten für Menschen mit Behinderungen auf gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung zu stärken. In vier Reformstufen von 2017 bis 2023 soll das Gesetz in Kraft treten. Bislang sind zwei Stufen rechtsverbindlich, die nächste ist für das Jahr 2020 geplant.

Mit der zweiten Reformstufe zum 1. Januar 2018 wurden bundesweit unter anderem unabhängige Beratungsstellen eingeführt, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten sollen, sogenannte Stellen zur ergänzenden unabhängigen Teilberatung (EUTB). Geregelt ist das in Artikel 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) IX, Teil 1, Kapitel 6, Abschnitt 2, § 32. Die EUTB wird hier als "niederschwelliges Angebot" bezeichnet, "das bereits im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen zur Verfügung steht". FEJO

Was bedeutet "unabhängig" hier genau? Andere Anlaufstellen für Menschen mit Behinderungen versuchen schließlich auch, den Betroffenen zu helfen.

Das heißt, dass die EUTB-Stellen unterschiedliche Träger haben. Damit sind wir nicht abhängig von nur einem Leitbild eines einzigem Anbieters, beispielsweise einer bestimmten Krankenkasse. In Markt Schwaben ist der Träger der Verein "Oberbayerische Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener", kurz: OSPE. Daran kann man auch gut sehen, dass die EUTB eine Erweiterung des bestehenden Angebots ist: Die OSPE hat bisher keine reine Beratung geleistet, sondern Beschwerdestellen unterhalten.

Im Bundesteilhabegesetz steht: "Die Förderung erfolgt aus Bundesmitteln und ist bis zum 31. Dezember 2022 befristet." Ab dem Jahr 2023 gibt es die EUTB in Markt Schwaben also gar nicht mehr?

Das können wir heute noch nicht wissen. Es gibt wohl Aussagen, dass das Projekt vom Gesetzgeber sehr gewollt ist und es dementsprechend damit auch weitergehen wird. Ich persönlich mache mir da aktuell keine Sorgen. Wir tun alles, um uns zu etablieren, so dass wir unverzichtbar werden. Die Lücke, die es bislang im Beratungsangebot gab, möchten wir schließen.

Wenn jemand die Beratung in Anspruch nehmen möchte, was muss er tun?

Am besten ist es, uns vorher anzurufen oder eine E-Mail zu schreiben, um einen Termin zu vereinbaren. Wir beraten natürlich auch telefonisch, je nach Behinderungsart geht es ja vielleicht gar nicht anders. Oder wir kommen zu dem Betroffenen nach Hause. Wir sind recht flexibel - man muss einfach mit uns sprechen.

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