An diesem Donnerstag:Dem Fallbeil knapp entkommen

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Historiker Bernhard Schäfer porträtiert einen fast vergessenen Grafinger Widerständler: Hans Haberl verteilt 1941 als Jugendlicher regimekritische Flugblätter und versucht, einen ebensolchen Radiosender aufzubauen

Von Thorsten Rienth, Grafing

Anfang August 1943 erhält der Grafinger Hans Haberl, 18 Jahre alt, einen Brief. "Lieber Jonny", schreibt sein ein Jahr älterer Freund Walter Klingenbeck. "Vorhin habe ich von Deiner Begnadigung erfahren. Gratuliere! Mein Gesuch ist allerdings abgelehnt. Ergo geht's dahin. Nimm's net tragisch. Du bist ja durch. Das ist schon viel wert. Ich habe soeben die Sakramente empfangen und bin jetzt ganz gefasst. Wenn Du etwas für mich tun willst, bete ein paar Vaterunser. Leb wohl. Walter". Als Haberl die Zeilen liest, ist sein Freund Klingenbeck schon Tage tot. Geköpft in München-Stadelheim, am späten Nachmittag des 5. Augusts, auf den der Brief datiert ist.

Gemeinsam mit Erwin Eidel und Daniel von Recklinghausen hatten sich der Schalttechniklehrling Klingenbeck und der Hochfrequenztechniker Haberl im Frühjahr 1941 zu einer Vierergruppe zusammengeschlossen. Verbunden durch eine ähnliche politische und fast schon tiefreligiöse Einstellung hören die 16- und 17-Jährigen erst verbotene Radiostationen ab. Im Sommer 1941, also etwa ein Jahr bevor die "Weiße Rose" aktiv wird, beginnen sie, regimekritische Flugblätter mit Kurztexten und Bildern zu verbreiten. Dann, so hat es der Grafinger Stadtarchivar Bernhard Schäfer recherchiert, professionalisiert das Quartett seinen Widerstand. Erst macht Haberl den Vorschlag, ein kleines fernlenkbares Flugzeug zu bauen, um Flugblätter zu verteilen. Doch der Plan ist zu komplex. Stattdessen wollen die Jugendlichen nun einen eigenen Schwarzsender aufbauen - mit Technik kennen sie sich schließlich aus. Über ein paar Probeübertragungen von Haus zu Haus kommt das Quartett aber nicht hinaus. Auch, weil Klingenbeck als Zeichen des Protests ein Victoryzeichen an die SS-Kaserne in Freimann malt - und davon offenbar stolz im Bekanntenkreis erzählt. Wie hoch die Denunziationsbereitschaft ist, scheint er nicht zu wissen. Ende Januar 1942 verhaftet die "Gestapo" zuerst Klingenbeck, dann von Recklinghausen, Haberl und schließlich dessen Mitbewohner Eidel.

Fünfmal wird Haberl verhört, hat Schäfer den Gerichtsakten entnommen. Zuerst bestreitet Haberl seine "staatsfeindliche Betätigung". Als der Druck steigt, gibt er zu, sich nicht allein aus Interesse mit der Funktechnik zu beschäftigen, sondern "innerlich gegen den nationalsozialistischen Staat eingestellt" zu sein. Elternhaus, Schule und seine Umgebung hätten zu einem "konfessionell äußerst gebundenen Menschen" gemacht. Im Herbst 1942 verhandelt der Zweite Senat des Volksgerichtshofs im Münchner Justizpalast den Fall "Klingenbeck und andere". Die Angeklagten werden als "Lausbuben", "Rotzjungen" und "Verräter" beschimpft. "Wer in der Notzeit des Krieges in dieser verbrecherischen Weise seinem Volk in den Rücken fällt", habe "keinen Platz mehr in der deutschen Volksgemeinschaft". In seinem Schlussplädoyer bittet Verteidiger Lorenz Roder um Milde. "Das Reich ist groß und mächtig, es kann auch Gerechtigkeit üben und sollte die kleinen Leute nur gering bestrafen." Doch die Richter zeigen sich davon unbeeindruckt. Gegen Klingenbeck, von Recklinghausen und Haberl verhängen sie "wegen landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Schwarzsendens" die Todesstrafe. Eidel erhält "wegen Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens, Abhörens ausländischer Rundfunksender und Beihilfe zur Schwarzsendung" acht Jahre Zuchthaus. Dass die Vier zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, wischt das Gericht beiseite. Wegen "ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung" seien sie "einer über 18 Jahre alten Person gleich zu achten".

Anfang August werden Haberl und von Recklinghausen im Stadelheimer Vollstreckungsgefängnis über ihre Begnadigung informiert und darüber, dass ihre Todesstrafe in acht Jahre Zuchthaus umgewandelt worden sei. Klingenbeck teilt man mit, ihn als Anführer der Widerstandsgruppe noch am selben Tag mit dem Fallbeil hinrichten zu wollen. Die Stunden nutzt Klingenbeck, um Haberl jenen Brief zu schreiben. Als am 1. Mai 1945 die Amerikaner in München einmarschieren, befreien sie Haberl, Eidel und von Recklinghausen aus dem Gefängnis. Hans Haberl zieht zu seinen Eltern nach Grafing zurück, wo er bis kurz vor seinem Tod leben wird. In der Bahnhofstraße eröffnet er im Jahr 1953 einen Radio-Reparaturbetrieb, aus dem sich später ein Einzelhandelsgeschäft entwickelt. Der einstige Widerständler stirbt erst am 19. Dezember 2016.

Grafinger Archivstammtisch am Donnerstag, 30. Januar, im Heckerbräu: "Hans Haberl - ein (fast) vergessener Widerständler". Beginn um 19.30 Uhr.

© SZ vom 29.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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