Inklusion im Job:"Behindert wird oft mit leistungsgemindert gleichgesetzt"

Rollstuhlfahrer am Schreibtisch

Menschen mit Behinderung haben es in der Arbeitswelt offenbar immer noch schwerer als Arbeitssuchende ohne Handicap.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Weil nur wenig über Förderprogramme bekannt ist, haben es Menschen mit Handicap bei der Jobsuche im Landkreis Ebersberg besonders schwer. Dabei bietet die Agentur für Arbeit individuelle Hilfe an.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

121 Menschen mit einer Schwerbehinderung waren im Landkreis Ebersberg im November ohne Job. Bei insgesamt 1299 Arbeitslosen, die bei der Arbeitsagentur gemeldet sind, entspricht das einem Anteil von 9,3 Prozent. Bayernweit lag die November-Quote bei zehn Prozent. Auf der einen Seite ist das eine positive Entwicklung, denn fünf Jahre zuvor, im November 2013, waren noch mehr Menschen mit einer Schwerbehinderung arbeitslos, nämlich 134. Damals aber war die Arbeitslosenquote insgesamt höher, so dass der Anteil der Arbeitslosen mit Schwerbehinderung an der Gesamtzahl der Arbeitssuchenden mit 7,9 Prozent niedriger war als heute.

Ein Problem bei der Arbeitsplatzsuche für Menschen mit einer Behinderung liegt oft daran, dass potenzielle Arbeitgeber nicht ausreichend aufgeklärt sind: "Kaum jemand weiß etwas von den Unmengen an Unterstützungsmöglichkeiten, die es gibt!" Das sagt der Zornedinger Behindertenbeauftragte Gregor Schlicksbier. Ist zum Beispiel eine zusätzliche Ausstattung des Arbeitsplatzes notwendig, kann die Firma dafür finanzielle Unterstützung vom Arbeitsamt bekommen. Auch können Zuschüsse zur Vergütung beantragt werden. Die Art, Dauer und Höhe der Förderung ist sehr unterschiedlich und individuell abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen, erklärt Kathrin Stemberger vom Bereich Presse und Marketing der Arbeitsagentur. Grundsätzlich lasse sich sagen, dass kein Arbeitgeber alleingelassen werde, wenn er einen schwerbehinderten Menschen einstellen möchte.

Für Rita Ruppert von der Stelle "Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung" (EUTB) in Markt Schwaben ist das eine Haltungsfrage: "Wenn jemand nicht ganz fit ist, dann hat er in den Augen vieler Chefs im Betrieb nichts verloren." Die EUTB ist eine kostenlose und unabhängige Informationsstelle für Menschen mit jeglicher Form von Behinderung. Ruppert erzählt von einem Mann, der erst kürzlich ihren Rat gesucht hat. Er leide an schweren Depressionen, einer seelischen Behinderung also. Durch verschiedene strukturelle Änderungen in seinem Betrieb fürchte er nun um seine Anstellung - die Kraft, sich an die neuen Umstände anzupassen, verlasse ihn. Ruppert spricht von einem "toxischen Druck": In der modernen Arbeitswelt müsse jeder perfekt funktionieren.

Genau hier sieht Kathrin Stemberger ein verbreitetes Missverständnis. "Behindert wird oft mit leistungsgemindert gleichgesetzt", sagt sie. "Das ist aber überhaupt nicht der Fall!" Vielmehr komme es darauf an, die richtige Person am richtigen Arbeitsplatz einzusetzen. Konkret bedeutet das: Vielleicht lässt die Leistung in der bisherigen Jobposition tatsächlich nach. Aber in einem anderen Bereich eröffnet die Behinderung möglicherweise sogar ein zusätzliches Potenzial. Häufig würden Arbeitgeber berichten, dass sich mit der Einstellung eines behinderten Menschen das Betriebsklima zum Positiven entwickelt habe, erzählt Stemberger.

Viele Unternehmen zahlen dafür, dass sie zu wenig Arbeitsplätze für Schwerbehinderte bieten

Viele Unternehmen zahlen trotzdem eine Ausgleichsabgabe, weil sie gemessen an ihrer Betriebsgröße zu wenige Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt haben. Im Jahr 2016 hatten laut Arbeitsagentur 226 Firmen ihren Hauptsitz im Landkreis. Insgesamt besetzten diese Betriebe 992 Arbeitsplätze mit Menschen mit einem Handicap, 474 Pflichtarbeitsplätze blieben allerdings unbesetzt. Zwar werden diese Zahlen immer am Ort des Hauptfirmensitzes gemeldet, der Beschäftigungsort könnte also in einem anderen Landkreis sein. Dennoch sind das alles Arbeitsplätze, die eigentlich mit schwerbehinderten Menschen besetzt sein müssten.

Schwerbehinderung und Arbeit

Nach dem Sozialgesetzbuch IX gelten Menschen als schwerbehindert, wenn sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr besitzen. Menschen mit einem GdB von mindestens 30, aber weniger als 50, können Menschen mit Schwerbehinderung gleichgestellt werden. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings unter anderem, dass sie ohne Gleichstellung mit Schwierigkeiten beim Erhalt oder der Suche nach einem Arbeitsplatz rechnen müssten. Ob die Behinderung körperlicher (zum Beispiel eine Gehbeeinträchtigung, die einen Rollstuhl erforderlich macht), geistiger (zum Beispiel das Down-Syndrom) oder seelischer Natur (zum Beispiel eine chronische Depression) ist, ist dabei nicht ausschlaggebend.

Private und öffentliche Arbeitgeber, die im Jahresdurchschnitt mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigen, sind verpflichtet, wenigstens fünf Prozent dieser Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzten. Also: Beschäftigt ein Unternehmen 20 Mitarbeiter, muss mindestens einer davon schwerbehindert sein. Ob diese gesetzliche Vorgabe eingehalten wird, überprüft die Agentur für Arbeit. Dazu müssen alle betroffenen Arbeitgeber die relevanten Daten einmal im Jahr, und zwar spätestens zum 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr, einreichen.

Stellt sich bei der Überprüfung heraus, dass ein Arbeitgeber die Quote nicht erfüllt, muss er eine sogenannte Ausgleichsabgabe pro unbesetztem Pflichtplatz zahlen. Die Höhe der Abgabe ist abhängig von der Größe des Betriebs und vom Anteil der Schwerbehinderten gemessen an den gesamten Mitarbeitern. Die zu zahlenden Ausgleichsabgaben erhält das Inklusionsamt. FEJO

Für Schlicksbier liegt das Problem darin, dass statt auf Aufklärung der Arbeitgeber immer stärker auf ein "Parallel-System namens Werkstätten" gesetzt werde. Menschen mit Behinderung werden nicht in den ersten Arbeitsmarkt integriert, sondern in Behindertenwerkstätten eingesetzt - und verschwinden so aus den Arbeitslosenstatistiken. Und die Werkstätten sind nicht an den gesetzlichen Mindestlohn gebunden, so Schlicksbier, sie zahlten darum für die geleistete Arbeit lediglich "ein Taschengeld".

Gertrud Hanslmeier-Prockl vom Einrichtungsverbund Steinhöring sieht das anders: "Bei uns sind Leute, die auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance haben. Die Menschen, die vermittelbar sind, werden auch vermittelt." Dass in den Werkstätten kein Mindestlohn gilt, bezeichnet sie durchaus als schwierig, aber: "Viele Menschen können nur mit ständiger Begleitung tätig werden, da ist der Mindestlohn einfach nicht mehr zu erwirtschaften." Für sie überwiegt, dass viele Menschen mit einer Behinderung durch ihre Tätigkeit in einer Werkstätte trotzdem an einer Form des Arbeitslebens teilhaben können.

Bundesweit ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung übrigens höher als im Landkreis: Nach Untersuchungen, welche die "Aktion Mensch" und das "Handelsblatt Research Institute" im aktuellen Inklusionslagebarometer veröffentlich haben, sind es bundesweit 11,7 Prozent im Vergleich zu 5,7 Prozent bei Menschen ohne Behinderung. Die absoluten Zahlen sinken aber auch hier: 162 373 Menschen mit Behinderung sind danach als arbeitslos verzeichnet, 2016 waren es 170 508.

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