Probealarm in Bayern:Das Geschäft mit den Sirenen

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Hörmann-Kameras werden von der Polizei zur Überwachung am Hauptbahnhof und am Stachus eingesetzt, wie auf dieser älteren Aufnahme zu sehen ist. (Foto: Unternehmen/oh)

Nach den Pannen um den bundesweiten Warntag 2020 will Bayern wieder in analoge Sirenentechnik investieren. Auch ein Unternehmen aus Kirchseeon ist wieder gefragt. Über das Alarmschlagen in digitalen Zeiten.

Von Alexandra Leuthner, Kirchseeon

Wäre die Firma Hörmann allein auf ihre Sirenen angewiesen, wäre sie in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten nach dem Mauerfall vermutlich weniger erfolgreich gewesen als sie es war. Hatte doch das Ende des Kalten Kriegs und die Annäherung zwischen Ost und West in der wiedervereinigten Bundesrepublik auch ein Gefühl zunehmender geopolitischer Sicherheit das politische Handeln bestimmt. In der Folge verschwanden immer mehr Warnsirenen von den Dächern in den alten und auch den neuen Bundesländern. Etwa 40 000 von 80 000 Alarmanlagen wurden abgebaut und nicht mehr ersetzt. Für die in Kirchseeon ansässige Firma hätte damit zumindest auf das innerdeutsche Geschäft bezogen eine ihrer Geschäftssäulen ins Wanken geraten können. Man setzte in Kirchseeon dann aber stärker auf Wartungsverträge für bestehende Anlagen als auf Neuinstallationen. International sah und sieht die Sache aber ganz anders aus.

Während in Deutschland Warnanlagen von den Dächern geholt wurden und zum Alteisen wanderten - in der bayerischen Landeshauptstadt beispielsweise steht keine einzige Warnsirene mehr - wurde in anderen Ländern aufgerüstet. 1993 etwa installierte die Firma Hörmann in Singapur ein landesweites Warnsystem, das bis heute in Betrieb ist. Auch in Israel hat die Firma mit ihren Sirenen zum Alarmschutz beigetragen, in Schweden ein mehrjähriges Projekt zur Sicherung von Küsten und Häfen verantwortet, das noch nicht ganz abgeschlossen ist.

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Hörmann machte im ersten Coronajahr eine halbe Milliarde Umsatz

Und nun sieht es so aus, als würde die Firmengruppe mit ihren 27 Tochtergesellschaften und zuletzt 2934 Mitarbeitern, die im ersten Coronajahr eine halbe Milliarde Umsatz machten und sich längst zusätzlich mit ganz anderen Geschäftszweigen befassen, auch in ihrem Kerngeschäft hierzulande wieder einen Aufschwung erfahren. Rund 90 Millionen Euro fließen über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in ein Förderprogramm zur Re- und Neuinstallation von Sirenenanlagen, und seit der Bundestagswahl sei deutlich Bewegung in die Auftragseingänge gekommen, erklärt Johann Schmid-Davis, CFO der Hörmann-Gruppe. Die Fluten, die das rheinland-pfälzische Ahrtal im vergangenen Juli verheerten, haben das Bewusstsein für die neu entstandene Notwendigkeit von weitreichenden Alarmsystemen geschärft. Auch der bundesweite Sirenenwarntag im September 2020 hatte gezeigt, dass es Handlungsbedarf gibt - in manchen Gegenden und Gemeindeteilen auch im Landkreis Ebersberg war einfach mal gar nichts zu hören, als der Warnton anschwellen sollte.

Auch die Sirenen im Landkreis, wie hier beim Sitz der Firma Hörmann in Kirchseeon, werden am Donnerstag heulen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bayern und Baden-Württemberg gehören zu den sieben Bundesländern, die eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung zur Anschaffung neuer Sirenen oder zur Modernisierung bestehender Sirenentechnik unterzeichnet haben - und so sind die Kirchseeoner jetzt gefragt, wenn es darum geht, in Gemeinden irgendwo in Deutschland aufs Dach zu steigen. Wie etwa in Rechberghausen im Kreis Göppingen, wo drei Anlagen installiert werden sollen. Wann die ersten Sirenen tatsächlich auf die Dächer kommen, ist allerdings fraglich. Ausschreibungen liefen inzwischen in etlichen großen Städten, so Schmid-Davis. Von den kommunalen Grundsatzentscheidungen über Ausschreibung, Angebotsabgabe und Vergabe sei es allerdings ein langer Weg, "vielleicht schaffen wir es 2022".

Mit einem roten VW-Bus fing alles an, Hans Hörmann machte sich mit einem Mitarbeiter auf, um Blitzschutzanlagen aufzubauen. (Foto: Unternehmen/oh)

Viel mehr als ein roter VW-Bus gehörte nicht zu dem Zweimannbetrieb, den Hans Hörmann 1955 in München gründete. Der Diplomingenieur konzentrierte sich mit einem Mitarbeiter auf die Projektierung und den Bau von Blitzschutzanlagen, ein Jahr später war die Zahl seiner Monteure schon auf zehn gestiegen, 1962 wurde aus dem Ingenieurbüro die Hörmann KG, damals mit Sitz im niedersächsischen Stade. Zu Beginn der 80er Jahre zog das Unternehmen nach Kirchseeon, wo heute noch sein Stammsitz ist. Zu der Zeit war Hörmann durch den Aufstieg in den engen Kreis der Lieferanten für das Bundesamt für Zivilschutz in Bonn schon zum Marktführer für Warnsysteme geworden, hatte Ende der 60er Jahre Elektroinstallationen für das damals neue VW-Werk in Salzgitter gebaut, unterirdische Schwimmhallen unter anderem für Schulen errichtet, Einbruchmelde- und Überwachungsanlagen entwickelt und gefertigt.

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Nach dem Umzug in den Landkreis Ebersberg begann Hans Hörmann, immer mehr Unternehmensbereiche in eigenständige Gesellschaften auszugliedern, etwa den Fassadenbau. 1987 gründete er die Hörmann Logistik als Entwickler für Intralogistiksysteme. Ein vollautomatisches Kleinteilelager für den Fachgroßhandel Richter + Frenzel mit Fördertechnik und Kartonauffaltern sind in diesem Bereich zu nennen. In Würzburg fahren neuerdings Straßenbahnen, deren mechanische Konstruktion von der Hörmann Vehicle Engineering in Chemnitz stammt. Auch für die Logistik der Lagerung in Hochregalen, der automatisierten Palettenbefüllung und die Zusammenstellung der Tageschargenerstellung bei den Molkereien Berchtesgaden und Weihenstephan zeichnet ein Unternehmen der Hörmanngruppe verantwortlich. "Das ist ein hochsensibler Bereich", betont Schmid-Davis, "die Milch muss dahinkommen, wo sie hin soll, und die Kühlkette darf nie unterbrochen werden".

In Tunneln der Turiner U-Bahn hängen digitale HD-Kameras der Firma

Ähnlich hohe Anforderungen gelten für die Systemsteuerung im Nahverkehr. In Tunneln und Luftschächten der U-Bahn in Turin hängen 100 digitale HD-Kameras von Hörmann, eine Bildschirmfläche von gut sieben Quadratmetern zeigt die ein- und ausfahrenden Züge der Metropolitana di Torino. Auch für Nürnberg, wo es derzeit um den Einsatz von selbst fahrenden Zügen gehe, habe Hörmann eine Lösung, erklärte Schmid-Davis, genauso wie für intelligente Steuersysteme für Stromladesäulen. Die Hörmann Automotive in Wackersdorf kauft und montiert die Komponenten für E-Ladesäulen und prüft ihre Eichrechtskonformität. 250 bis 300 Ladestationen verlassen inzwischen pro Monat das Werk, eine solche Säule steht auch am Rand des Parkplatzes vor dem Firmengelände in Kirchseeon - gleich neben einer der Hörmann-Antennen. Die sich, wie Schmid-Davis erklärt, unter anderem längst durch ihre Unabhängigkeit von der Stromversorgung auszeichnen. Ausgestattet mit Batterien "kann die Sirene auch noch heulen, wenn der Strom ausfällt". Angeschlossen ans Tetrasystem S.R.L, dem Behörden- oder Blaulichtfunk, sei man überdies vom Mobilfunk unabhängig - wenn also ein Funkmast im Hochwasser bricht, funktionieren die digitalen Sirenen weiter.

CFO Johann Schmid-Davis neben einem Porträtbild des Firmengründers Hans Hörmann. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für Landmaschinen - und Nutzfahrzeughersteller baut die Hörmann Industries verwindungsgeschützte Karosserierahmen und Fahrerhäuser - Stahl ist damit einer ihrer wichtigsten Rohstoffe. "Wir brauchen 250 000 Tonnen, also einmal in der Woche den kompletten Eiffelturm", erklärt der CFO - ein Umstand, der die Firma gerade in den ersten Monaten der Pandemie getroffen habe, als es weltweit zu Lieferengpässen kam. Inzwischen sei man bei Hörmann aber, was den Stahl angehe, gut aufgestellt. "Unsere Lager sind voll", so Schmid-Davis, Problem seien nun eher die Kunden, vor allem Auto- und Nutzfahrzeughersteller, die wegen fehlender Bauteile ihre Aufträge nicht abarbeiten könnten.

Trotz der Pandemie sei 2020/2021 ein sehr gutes Geschäftsjahr gewesen, was nicht zuletzt der früh ausgegebenen Devise des Firmengründers geschuldet ist: "Krisen werden immer kommen", hatte er gesagt, "darum musst du dich so aufstellen, dass du immer mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehst."

Ein Schweißer arbeitet in einer der zur Firmengruppe gehörenden Unternehmen an einem Blech. (Foto: Unternehmen/Dominik Obertreis/oh)

Der Senior ist heute 93, Anfang der 2000er hatte er das Bundesverdienstkreuz für sein Engagement in Ostdeutschland erhalten, wo er viele Firmen übernommen und weitergeführt hat. In den 90ern hat er sich aus der aktiven Geschäftsleitung zurückgezogen, war aber bis 2021 Beiratsvorsitzender. Einmal im Jahr lade Hans Hörmann immer noch alle Manager ein, erzählt der Geschäftsführer, und lasse sich über alle Entwicklungen informieren. Im großen Besprechungssaal am Kirchseeoner Stammsitz, dessen Wandvertäfelung und Einrichtung Hörmann einem Wirt aus dem Salzburger Land abgekauft hat und für den Firmensitz umarbeiten ließ, blickt er immer noch von einem großen Porträt an der Wand aus auf das Geschehen. Das Unternehmen soll, so hat er es verfügt, mehrheitlich in der Hand der Familie bleiben. Hörmanns jüngste Tochter Anna, als einziges seiner Kinder in der Firma tätig, könnte einmal die Gesamtleitung übernehmen, im Moment verantwortet sie geschäftsführend den Bereich Hörmann Digital.

Vor dem Firmengebäude in Hörmann steht eine Hörmann-Stromtankstelle. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Aus dem Unternehmen entstanden ist die Hörmann-Stiftung, sie investiert in Geothermie und Photovoltaikanlagen, fördert über ein Stipendium junge Studierende an der Technischen Universität München und unterstützt ein Kinder-Hospiz.

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