Süddeutsche Zeitung

Whatsapp:Was tun, wenn in der Schule Pornofotos kursieren?

Lesezeit: 4 min

Von Franziska Langhammer, Glonn

Kurz vor Weihnachten kamen zwei Schüler der sechsten Klasse auf Hartmut Lüling zu, Leiter der Freien Schule Glonntal. Sie hatten über Whatsapp pornografische Bilder geschickt bekommen, die auch unter den älteren Schülern kursierten. "Hardcore" seien die Bilder gewesen, so Lüling, sodass sie "eine Weichenstellung im Seelenleben eines Kindes" darstellten, nicht nur eine Irritation. "Klar, dass man da sofort handeln muss", sagt Lüling. Zum einen, um eine weitere Verbreitung der Fotos zu unterbinden, zum anderen, um den wahren Urheber des Versands ausmachen zu können, bevor er die Daten von seinem Handy löschen kann.

Und so griff der Schulleiter zu einer radikalen Maßnahme: Er ließ von allen Schülern der Klassenstufen sechs bis zehn die Handys einsammeln. Daraufhin wurden die Eltern per Mail informiert und gefragt, ob in ihrem Beisein die Handys angeschaltet und nach dem Fotomaterial gesucht werden dürfe. "Ein Riesenaufwand", so Lüling. Bis auf sehr wenige Ausnahmen gaben die Eltern ihr Einverständnis. Dem einen oder anderen Elternteil sei die Kinnlade runtergegangen, erzählt der Schulleiter, als sich auf dem Smartphone des eigenen Kindes tatsächlich die Bilder fanden. Die meisten Eltern seien entsetzt gewesen und hätten Betroffenheit gezeigt.

Dem Jungen, der mutmaßlich die Bilder an der Schule in Umlauf gebracht hat, sei durch diese Aktion die Tragweite seines Handelns bewusst geworden, so Lüling. Momentan ist er noch im Gespräch mit ihm, Konsequenzen sind noch nicht ausgearbeitet. Er habe zwar überlegt, die Polizei einzuschalten, sich jedoch dann dagegen entschieden, sagt Lüling: "Die Polizei kann nicht auf die Vertrauensbasis zurückgreifen, die zwischen den Schülern und mir herrscht."

Rechtlich würde dieser Fall unter den Paragrafen 184 des Strafgesetzbuchs fallen, der das Vorgehen bei der Verbreitung pornografischer Schriften regelt. Dies kann mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe belangt werden, sofern der Täter über 18 Jahre alt ist - was in Glonn nicht der Fall ist. Weil es an anderen Schulen auch immer wieder zu solchen Fällen kommt, startete etwa vor zwei Monaten die Polizei Niederbayern eine Aktion, die dafür sensibilisieren soll, dass der Besitz und das Weiterleiten pornografischer Bilder strafrechtlich geahndet werden kann, bei unter 14-Jährigen etwa auch mit der ersatzlosen Wegnahme des Handys.

Die Zahlen in diesem Deliktbereich steigen langsam, aber stetig: Im Jahr 2018 wurden beispielsweise im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München insgesamt 142 Fälle von Verbreitung pornografischer Schriften registriert, davon waren 17,6 Prozent der Tatverdächtigen jünger als 18 Jahre. Zum Vergleich: 2015 waren 12,7 Prozent der Tatverdächtigen noch minderjährig. Diese Zahlen stellen jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar, denn viele Fälle kommen gar nicht ans Tageslicht.

Thomas König von der Polizei Poing betont: "Vor allem ist es wichtig, dass dem Kind vonseiten der Lehrer und der Eltern das Fehlverhalten erklärt wird." In der Regel sollte auch Anzeige erstattet werden, um eine Weiterverbreitung des Bildmaterials zu unterbinden.

Im Nachhinein hätten sich viele Eltern bedankt für das beherzte Eingreifen, so Petra Michalke, Geschäftsführerin der Freien Schule Glonntal. "Viele wissen nicht, dass Whatsapp erst ab 16 Jahren erlaubt ist", sagt Michalke. Außerdem sei es auch für die Eltern schwierig, diese Art von Kommunikation zu kontrollieren. "Es geht halt alles so schnell", heißt es oft, denn tatsächlich ist das Weiterversenden ja nur ein Knopfdruck.

Fälle wie dieser oder der kürzlich aufgedeckte Nazi-Chat am Gymnasium Grafing zeigen, wie wichtig es ist, das Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen zu schärfen, wenn es um das Versenden von Nachrichten mit fragwürdigem Inhalt geht. Oder, anders formuliert: Wie wichtig das Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrern sowie Schülern und Eltern ist, wenn es um digitale Kommunikation geht. Sowohl in Grafing als auch jetzt in Glonn wären die Nachrichten und Bilder nicht aufgeflogen, wenn sich nicht die Schüler an Eltern oder Lehrer gewandt hätten. Soll die Schule eigentlich ein Schutzraum für Kinder und Jugendliche sein, stellt das Handy ein Leck dar, ein unkontrollierbares Schlupfloch, durch das für Schüler ungeeignete Inhalte eindringen können.

In Sachen Handynutzung sind die Schulen selbst gefragt, Regeln und Verbote einzuführen, so die Ebersberger Schulamtsdirektorin Sigrid Binder. Das bayerische Gesetz stellt lediglich fest: "Um sachgerecht, selbstbestimmt und verantwortungsvoll in einer zunehmend multimedial geprägten Gesellschaft handeln zu können", sei die Nutzung von Handys zu Unterrichtszwecken sinnvoll und erlaubt. Ansonsten solle das Handy im Schulgebäude oder auf dem Schulgelände abgeschaltet werden.

Am Gymnasium Vaterstetten etwa muss das Handy ausgemacht werden, sobald der Schüler die Schule betritt. Auch in den Pausen gilt das Verbot. "Wer mit dem Handy spielt, dem wird es abgenommen", so die stellvertretende Schulleiterin Marion Freytag. Nur bei der Kommunikation mit den Eltern oder im Unterricht können Ausnahmen gemacht werden, indem der Lehrer die Handynutzung erlaubt. Außerdem können Schüler ab der zehnten Klasse in den Freistunden ihr Handy nutzen, etwa zu Recherchezwecken in der Bibliothek.

Diese Vorgaben entspringen dem Versuch "Private Handynutzung an Schulen", an dem auch weitere Schulen aus dem Landkreis teilgenommen haben. Über Klassenchats wie etwa auf Whatsapp, so Freytag, habe die Schule keine Kontrolle, da diese ja privat liefen. Bisher sei jedoch - außer, dass manchmal Unfreundlichkeiten ausgetauscht würden - kein schlimmerer Fall bekannt geworden, sagt Freytag.

Ähnlich wird die Nutzung von privaten Handys an der Dominik-Brunner-Realschule in Poing gehandhabt: Auch dort nahm man an dem Schulversuch teil und hat sich auf dessen Grundlage Regeln erarbeitet. Die Schüler der 9. und 10. Klassen dürfen beispielsweise in Pausen oder vor Unterrichtsbeginn ihr Smartphone und andere digitale Speichermedien nutzen, so Schulleiterin Sylvie Schnaubelt. Die jüngeren Klassen nutzen Smartphones und Tablets im Unterricht, wenn Lehrkräfte dies erlauben.

Den Begriff "Klassenchat", so Schnaubelt, sehe sie etwas kritisch, da dieser den Eindruck vermittelt, die Schule hätte ihn angeordnet. "Auch das Kultusministerium hat deutlich klargestellt, dass Lehrkräfte nicht in einem solchen Chat agieren dürfen", so Schnaubelt, denn dieser Austausch unter Schülern sei als privat anzusehen. Die Schüler der Dominik-Brunner-Realschule würden in der sechsten Klasse einen Medienführerschein machen, zudem gebe es Vorträge für Schüler und auch für Eltern, etwa zu Themen wie "Cybermobbing".

"Wenn uns kritische Kommentare aus Chatverläufen zur Kenntnis gebracht werden, schalten wir je nach Lage des Falls unsere Ansprechpartner aus dem multiprofessionellen Beratungsteam ein", so Schnaubelt. Diese seien etwa der Schulpsychologe, ein Sozialpädagoge im schulischen Dienst oder auch ein Jugendkontaktbeamter der Polizei.

Auch an der Freien Schule Glonntal ist Digitalisierung und der altersgerechte Umgang damit immer wieder ein Thema von Vorträgen für Schüler und Eltern oder bei den regelmäßig stattfindenden Elternabenden. Eine ungewöhnliche Lösung zur Kommunikation wurde zumindest für bestimmte Zeitspannen gefunden: Sind Lehrer mit Klassen draußen in der Natur unterwegs, haben sie meist als Verbindung zum Schulhaus ein Walkie-Talkie dabei. Ganz oldschool.

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SZ vom 30.01.2020
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