Kommentar:Mehr Pragmatismus wagen

Die hohen bayerischen Maßstäbe, die in der Kinderbetreuung gelten, sind in ungewöhnlichen Zeiten nicht förderlich.

Kommentar von Alexandra Leuthner

Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Und sie fordern manchmal auch eine Anpassung der Maßstäbe. In Zeiten einer Pandemie musste das in vielen Bereichen geschehen. Als gelungener Abend mit Freunden galt nicht mehr das gemütliche Zusammensitzen in einer Kneipe, sondern das konzentrierte Versammeln vor den digitalen Fenstern zu einem Online-Plausch. Man freute sich nicht mehr auf den nächsten Flug in die Karibik, sondern war schon froh, wenn man Urlaub im Bayerischen Wald machen durfte. Und was die Schüler angeht, so wurden Anforderungen reduziert, Abiturienten etwa kamen in den Genuss einer geringeren Stoffauswahl - selbst, hört hört, bayerische Abiturienten! Plötzlich ging das, man konnte ja davon ausgehen, dass sich alles irgendwann wieder normalisieren würde.

Und nun ist mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die nächste Herausforderung da. Tausende von Kindern müssen für eine hoffentlich absehbare Zeit in den Unterricht integriert oder in Kindertagesstätten untergebracht werden, damit ihre Eltern, oft sind es nur die Mütter, hier arbeiten können. Bis sie hoffentlich wieder zurückkönnen in ihre Heimat.

Eine Beschäftigung von ukrainischem Erziehungspersonal würde Kommunen und Kreisen helfen

Und so sind schon wieder ungewöhnliche Maßnahmen gefragt. Eine Beschäftigung von ukrainischen Erzieherinnen und Erziehern, die unter den Geflüchteten sind, wäre solch eine Maßnahme. Den Kommunen und Landkreisen würde sie ihre Aufgabe erleichtern, ist doch die Klage über fehlendes Betreuungspersonal laut und seit Corona noch lauter geworden, weil viele Kindergärtnerinnen und Kinderpflegerinnen unter den besonderen Belastungen durch die Pandemie ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben. Wer sich aber in einem bayerischen Kindergarten um Kinder kümmern will, soll mindestens den Sprachkurs B2 absolviert haben, fordert das zuständige Bayerische Sozialministerium. Was einen Aufwand von 600 Lernstunden und etwa 30 Wochen bedeutet. Und in der Folge wahrscheinlich, dass eben nicht genug Menschen da sind, die sich um die Kinder kümmern können.

Ukrainische Erzieherinnen, die eine begrenzte Zeit in deutschen Kindergärten ukrainische Kinder in Obhut nehmen - eigentlich klingt das doch ganz logisch. "Hallo", "ich heiße", oder "danke", das lernen doch gerade Kinder ganz schnell und im sozialen Miteinander, dafür braucht es keine in deutscher Grammatik geschulte Erzieherin. Wenn das bayerische Sozialministerium aber auch für diese Übergangszeit auf gar zu hohen Maßstäben beharrt, richtet es möglicherweise mehr Schaden an als es verhindern möchte. Ein bisschen mehr Pragmatismus könnte nicht schaden.

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