Teilhabe in Grafing:Rundgang mit Hindernissen

Teilhabe in Grafing: Die Gruppe bespricht den Rundgang vor dem Grafinger Rathaus. Von links nach rechts: Uwe Peters, Rainer Krohe, Ottilie Eberl, Walter Gruber mit seiner Mutter Herta, Bürgermeister Christian Bauer und Gaby Köhler.

Die Gruppe bespricht den Rundgang vor dem Grafinger Rathaus. Von links nach rechts: Uwe Peters, Rainer Krohe, Ottilie Eberl, Walter Gruber mit seiner Mutter Herta, Bürgermeister Christian Bauer und Gaby Köhler.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zusammen mit betroffenen Grafingern machen sich Bezirksrätin Ottilie Eberl und Bürgermeister Christian Bauer ein Bild von der Barrierefreiheit der Stadt. Das Fazit ist eindeutig.

Von Ulli Kuhn, Grafing

"Wenn wir essen gehen, dann eigentlich nur außerhalb Grafings", sagt Gabi Köhler. Ihr Mann hat Multiple Sklerose und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Selbst wenn der Eingang zu manchen Lokalen barrierefrei wäre, so Köhler, sei eigentlich überall spätestens ab dem Gang zur Toilette Schluss mit der Freiheit. Das treibe viele dazu, erst gar nicht in Grafing essen zu gehen, sagt auch Ottilie Eberl. Die Bezirks- und Kreisrätin (Grüne) aus Grafing arbeitet schon seit mehr als 40 Jahren mit Menschen mit Behinderung - und ist die treibende Kraft hinter diesem Rundgang zum Thema Barrierefreiheit.

Die Gruppe möchte lokale Geschäfte, Restaurants, Arztpraxen und öffentliche Gebäude begutachten und mit den Betreibern in Austausch kommen, wie man die Barrierefreiheit vorantreiben könnte. Der Rundgang startet am Rathaus, geht am Marktplatz entlang, bis zur Ecke Münchener und Rotter Straße und auf der anderen Seite des Marktplatzes wieder zurück. Unterwegs macht die Gruppe mehrere Abstecher in Seitengassen und Geschäfte.

Weil der Gehsteig zu schmal ist, muss eine 80-Jährige im Rollstuhl auf der Straße fahren

Erster Halt: die Kreissparkasse am Marktplatz. Fazit: sehr gut. Durch einen Knopf innen und außen an der Türe kann auch ein Rollstuhlfahrer alleine hinein und hinaus gelangen. Mit solchen Informationen füttert Kreisrätin Eberl auch die "Wheelmap". Das ist eine App, in der Menschen die Barrierefreiheit öffentlicher Plätze bewerten und Kommentare dazu abgeben können. "Spätestens heute Abend nach dem Rundgang trage ich alles, was wir neu entdecken, da ein", erklärt Eberl.

Kurz darauf zeigt sich der dringende Handlungsbedarf sehr deutlich: Auf dem Gehweg am Marktplatz Richtung Rotter Straße ist kaum Platz für die breiten Rollstühle. Die drei Fahrer der Gruppe tun sich schwer. "Ich fahre hier dann immer auf der Straße", sagt Christa Haslinger. Sie wird bald 80 und ist seit zehn Jahren altersbedingt auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen. "Es ist zwar gefährlich, aber was soll man machen." Führe sie das Stück auf dem Bürgersteig, riskierte sie ein Umkippen des Rollstuhls auf die Straße. "Da bleibt mir also nichts anderes übrig", so die Rentnerin.

Teilhabe in Grafing: Kreuzungsbereich Lederergasse, Rotter Straße, Marktplatz: Es fehlen nur Zentimeter, und der Rollstuhl von Herta Gruber würde abrutschen. Deshalb weicht Christa Haslinger hier auf die Straße aus.

Kreuzungsbereich Lederergasse, Rotter Straße, Marktplatz: Es fehlen nur Zentimeter, und der Rollstuhl von Herta Gruber würde abrutschen. Deshalb weicht Christa Haslinger hier auf die Straße aus.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Solche Engstellen gibt es am Marktplatz immer wieder. Vor allem, wenn im Sommer die Restaurants und Cafés ihre Bestuhlung aufgestellt hätten, sei ein sicheres Fortkommen besonders schwer, erklärt Haslinger. "Man muss dann immer die Leute bitten, den Weg freizuräumen." Auch die anderen Betroffenen berichten von diesem Problem. "Sagen sie gerne Bescheid, dann schicken wir da mal das Ordnungsamt vorbei", sagt Grafings Bürgermeister Christian Bauer (CSU). Schließlich müssen Geschäfte qua Gesetz die Gehwege freihalten. Auch Walter Gruber sieht zu wenig befahrbare Wege in seiner Heimatstadt. Seine Mutter Herta lebt im örtlichen Seniorenheim und sitzt im Rollstuhl. "Bei uns passt es eigentlich, aber nur, weil ich hier aufgewachsen bin. Ich kenne meine Schleichwege", sagt Walter Gruber.

Viele Wirte sehen keinen Bedarf für Verbesserungen - ein Fehler?

Der nächste Halt im Programm ist das Wirtshaus Kastenwirt. Kreisrätin Eberl hat gehört, dass es dort nun eine barrierefreie Toilette gebe. Bei Ankunft stellt die Gruppe fest, dass dies nur ein Gerücht war. Noch immer sind die einzigen Toiletten in dem historischen Altbau im Keller untergebracht. "Es wäre wirklich schön, wenn Sie sich nochmal Gedanken machen würden, wie man diese Situation verbessern könnte", spricht Eberl den Gastwirt auf das Problem an. Dieser entgegnet, dass es dafür kaum eine machbare Lösung gebe.

Eine Antwort, die Eberl schon öfter gehört hat. "Ein Café-Betreiber meinte letztens erst zu mir, dass es sich wegen den ein oder zwei Kunden mit Behinderung nicht wirklich lohnen würde, das Geschäft entsprechend umzubauen", erzählt die Kreisrätin. Doch sie glaubt, dass sich die Gastronomen mit dieser Annahme verkalkulieren. "Wir haben ein großes Seniorenheim mitten im Ort. Und das wird jetzt auch noch vergrößert."

Teilhabe in Grafing: An vielen Geschäften fehlt eine Rampe, so dass in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen leider draußen bleiben müssen.

An vielen Geschäften fehlt eine Rampe, so dass in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen leider draußen bleiben müssen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Positivbeispiel findet sich in der Bäckerei Hasi, direkt am Marktplatz. Hier wird im Zuge des Umbaus im hinteren Bereich eine barrierefreie Toilette eingebaut. Dafür gibt es von Eberl gleich ein Lob. Direkt hinter der Bäckerei befindet sich eine Zahnarztpraxis. "Man kommt da auch mit Rollstuhl ganz einfach in das Gebäude, das finde ich toll", freut sich Eberl. Auch die barrierefreie Toilette findet Anklang bei der Politikerin: "Sie bietet sehr viel Platz. Es stehen zwar ein paar Putzmittel herum, aber das ist hier nicht so das Problem."

In manch anderen barrierefreien Toiletten aber sei das sehr wohl problematisch, sagen Eberl und auch die Betroffenen. Gabi Köhler erklärt, dass die entsprechend großen WCs sehr oft nebenbei als Lagerraum oder Besenkammer herhalten müssten, was die Benutzung teilweise sehr einschränke. Die Stadtbücherei aber, so die Bewertung der Gruppe, habe eine sehr gute Toilette. Generell sei das Haus sehr behindertengerecht.

Im Zamworking gibt es Speis, Trank - und gleich noch eine Demonstration

Im Büro von "Zamworking", einem Unternehmen, das Home-Office-Tätigen eine ruhige Atmosphäre zum Arbeiten bietet, gibt es zum Schluss Kaffee, Snacks und noch eine Demonstration: Chefin Gabi Köhler zeigt der Gruppe die barrierefreie Toilette. "Hier waren vorher Kinderschuhe gestanden", erzählt sie. "Man kann wirklich überall eine barrierefreie Toilette einbauen. Es ist nur eine Frage des Wollens." Sie habe von Anfang an Wert darauf gelegt, dass es in ihrem Unternehmen auch Platz für Menschen mit Behinderung gebe, so Köhler. "Es gibt ja auch viele junge Menschen mit Behinderung, die arbeiten. Und es ist wichtig, diese Menschen in unseren Alltag einzubinden, sonst vereinsamen sie."

Teilhabe in Grafing: Vorbildlich ist die behindertengerechte Toilette im Co-Working-Space "Zamworking".

Vorbildlich ist die behindertengerechte Toilette im Co-Working-Space "Zamworking".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Resümee der rollstuhlfahrenden Grafinger und ihrer Angehörigen ist eindeutig: Es müsse mehr gemacht werden für die Barrierefreiheit. Alle sehen großen Bedarf. Und auch der Bürgermeister zieht ein entsprechendes Fazit. "Die Gehwege sind zu schmal, und es gibt zu viel Kopfsteinpflaster. Als erstes Projekt, steht ein mit Rollstühlen befahrbarer Weg vom Marktplatz bis zum Hintereingang des Rathauses an", sagt Bauer. Das sei bereits vor drei Jahren bei einem Rundgang besprochen worden. "Das liegt schon länger auf dem Tisch, das wollen wir in Zukunft umsetzen."

Zu guter Letzt hat Eberl noch eine Bitte an den Bürgermeister: Sie halte es für eine gute Idee, einmal alle Grafinger Gastronomen zu einem Gespräch einzuladen. Schließlich würden alle von mehr Barrierefreiheit profitieren - auch die Lokale. Und Bauer stimmt ihr zu. "Wir werden so etwas in der Art sicher bald machen."

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