Süddeutsche Zeitung

Exportschlager aus Kirchseeon:Von einem, der auszog, das Fürchten zu lehren

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Mario Lochert, Bassist der Metal-Band "Serious Black", stammt aus Kirchseeon. Besuch bei einem, der es vom Konditor zum Rockstar gebracht hat

Von Dorian Baganz

Scheinwerferlicht, schwarze Klamotten, voll tätowierte Körper, brummende Bässe - der Arbeitsplatz von Mario Lochert ist nicht gerade eine Oase der Ruhe. Besucht man ihn hingegen in seinem Zuhause in Kirchseeon, denkt man an eines mit Sicherheit nicht: Metal-Musik. Es ist ein Neubau mit einem kleinem Garten hinterm Haus, in der Mitte des Wohnzimmers steht ein Aquarium. "Gutbürgerlich", wie Lochert selbst zugibt. Nur das viele Merchandise, das im ganzen Raum verteilt herumliegt, deutet auf sein Leben als Rockmusiker hin. Lochert hat lange Haare, unter seinen Augen tiefe Ringe. Klar, es liegen ja auch stressige Monate hinter ihm: ein anstrengender Hausbau und vor allem die Produktion der neuen Platte "Suite 226", die gerade erschienen ist. Und dann musste er auch noch alles für die Tournee vorbereiten: Mit Serious Black wird er vier Wochen lang durch halb Europa reisen, als Support der schwedischen Gruppe Hammerfall. Mit denen habe er bereits etliche Festivals gespielt, sagt der 40-Jährige, zum Beispiel in Mexiko. Das Metal-Business sei eben klein - "wie eine große Familie".

Ursprünglich hat Mario Lochert mal Konditor gelernt, beim Bäcker "Hasi", da war er 16 Jahre alt. Doch schon bald machte er "sein Hobby zum Beruf": Eine Ausbildung zum Tontechniker brachte ihn "wie die Madonna zum Kinde", wie er es formuliert. Allerdings ging er nicht den klassischen Weg und besuchte eine Schule für audiovisuelle Medien oder dergleichen. Stattdessen lernte er das Handwerk bei Spike Streefkerk, der schon als Toningenieur für Größen wie Phil Collins oder Lionel Richie gearbeitet hat. Im Jahr 1995 gründete Lochert dann Emergency Gate, eine Metal-Band, die 2009 mit Kreator auf Europatournee ging - einem der erfolgreichsten Acts der Szene.

Überhaupt: Mario Lochert scheint viele Leute im Business zu kennen. Mit "dem Herman" gehe er hin und wieder Kaffee trinken, sagt er - und meint Herman Rarebell, der bis 1996 Schlagzeuger bei den Scorpions war. Lochert steigt die Treppe in den Keller hinab, wo er sich sein eigenes Tonstudio eingerichtet hat. Im Vorraum liegt ein Sitzsack mit dem Logo von Metallica - den hätten ihm die Jungs aus Los Angeles zur Fertigstellung des Studios zukommen lassen, quasi als Einweihungsgeschenk, erzählt er. Im Studio selbst erinnert alles an zwei Jahrzehnte in der Branche. In einem Bilderrahmen befinden sich Plektren von unzähligen Bands, mit denen er schon zusammengearbeitet haben will, darunter Paul McCartney und Ringo Starr - The Beatles steht auf einem der Plättchen. Und das selbstgemalte Bild an der Wand, auf dem die Mitglieder der von ihm 2014 gegründeten Truppe Serious Black zu sehen sind, habe er von einem Fan aus Japan erhalten. "Den Heavy-Metaller aus Bayern vergisst man eben nicht." Nur einmal sei ihm das alles zu viel geworden: In China habe er nach einem Konzert vor 70 000 Fans viereinhalb Stunden Autogramme schreiben müssen. "Irgendwann geht dir das schon auf die Nüsse."

Dann wird's laut. Auf der großen Anlage spielt Lochert den Song "We Stand Tall" von der neuen Platte und nickt dabei zufrieden mit dem Kopf. "Scho' guat, oder?" Die Scheibe ist ein Konzeptalbum: "Wir arrangieren immer eine Geschichte drumherum", sagt Lochert, "das machen nur sehr wenige Bands." Für "Suite 226" hat sich das Quartett ein, nun ja, brisantes Thema ausgesucht: die menschliche Psyche. "Was liegt näher, als über Burnouts und Depressionen zu schreiben?" Der Titel "We Stand Tall" etwa handle von dem "Erfolgsdruck", dem man als Musiker ausgesetzt sei, erklärt der Kirchseeoner, der am späten Vormittag in Badelatschen und kurzer Sporthose zuhause sitzt. Klar, das Studio sei ziemlich kostspielig gewesen, aber als erfolgreicher Musiker sei man "noch lange nicht Millionär", sagt der 40-Jährige, "das ist doch Käse!" Während seiner Anfangszeit habe er in zehn Jahren lediglich zwölf Tage Urlaub gehabt.

Dann begibt sich der Bassist auf dünnes Eis: Er redet über den KZ-Arzt Josef Mengele und dessen Menschenversuche - auch diese Dinge hätten er und seine Bandkollegen für das neue Album im Internet recherchiert. Auf dem gemalten Cover von "Suite 226" ist ein grimmig dreinblickender Mann zu sehen, dem von einer Krankenschwester eine grüne Substanz - offensichtlich Gift - verabreicht wird, daneben steht ein weiß bekittelter Mann mit Skalpell in der Hand. So sieht es also aus, wenn Metaller Geschichte interpretieren.

Lochert holt ein ziemlich zerfetztes Dokument aus der Schublade, es ist sein Reisepass, der nur noch "zwei freie Seiten" habe, wie der Bassist stolz erklärt. Auf seinen Tourneen hat er schon die halbe Welt gesehen: Indien, USA, Korea, Kanada, Japan, Australien. Dieser Kirchseeoner ist ein Exportschlager. Für touristische Besichtigungen allerdings habe er keine Zeit: "Ich war schon drei Mal in Paris - und habe noch nie den Eiffelturm gesehen." Mit dem Auf- und Abbau, dem Organisieren und Spielen der Konzerte sei er "on Tour" schon genug ausgelastet.

Große Städte seien sowieso nicht sein Ding, sagt Mario Lochert. Hier in Kirchseeon sei ein "Servus!" noch ernst gemeint und keine leere Floskel, wie man sie sich in den Metropolen entgegenschleudere. Dabei ist seine aktuelle Truppe - im Gegensatz zu Emergency Gate - alles andere als eine "Landkreisband": Der schwedische Sänger Urban Breed ist Wahlamerikaner und wird sich in wenigen Stunden auf Locherts Couch von seinem Flug aus Chicago erholen - bevor es dann auf Hammerfall-Tournee geht. Dominik Sebastian, der Gitarrist, nennt das oberösterreichische Linz sein Zuhause, und Schlagzeuger Ramy Ali wohnt im mittelfränkischen Fürth. Geprobt wird nicht nach Feierabend, klar, sondern jeweils vor den Gigs. Sein heimisches Bett für den nächsten Monat hinter sich zu lassen, sollte Mario Lochert indes nicht allzu schwer fallen. Schließlich hat er ein paar Jahre lang sogar in einem Wohnwagen - nein: nicht gehaust! - gelebt, richtig luxuriös "mit Dolby Surround und so", darauf legt der Freund des guten Klangs wert. Dementsprechend professionell ist auch das Album "Suite 226" produziert, an dem er "Tage und Nächte" in seinem Keller gefeilt habe. Es ist eine typische "Power-Metal"-Produktion, so die Genrebezeichnung: eingängige Melodie, klarer Gesang anstatt Geschrei, verzerrte Gitarren und dazu sanfte Keyboardklänge. Eigentlich sehr massenkompatibel. Die "Story" des titelgebenden Songs ist laut Lochert folgende: Irgendein armer Kerl werde seit Jahr und Tag zu Unrecht in einer Gummizelle mit der Nummer 226 gefangen gehalten und gefoltert. All das Leid habe ihn schizophren gemacht, erklärt der Bassist, deshalb verwandle er in seiner Fantasie das Loch, in dem er eingesperrt sei, in eine luxuriöse Suite - Zimmernummer 226.

Seit die vorherige Serious-Black-CD "Magic" released wurde und Platz 46 der deutschen Albumcharts erreichte, sind mehr als zwei Jahre vergangen. Auch diese Platte sollte eine Geschichte erzählen, "jedes Lied war ein Kapitel". Schon damals war das Thema keine leichte Kost: Hexenverbrennungen. Bei einem "Special Package" bekam der Käufer sogar ein okkultes Brett dazu, ziemlicher Hokuspokus. Aber erfolgreich: Auf Youtube wurde der Titelsong mittlerweile knapp 280 000 Mal aufgerufen.

Eine Prognose, ob "Suite 226" genauso durchstarten wird, traut sich Lochert nicht zu - der Erfolg eines Albums hänge von zu vielen Parametern ab. Man stelle sich mal vor, dass Robbie Williams oder Elton John in derselben Wochen eine CD herausbrächten! Nur wo er in zehn Jahren sein will, darauf hat der Rocker eine Antwort: "Da lieg' ich am Strand, mit ner' Buddel Rotwein in der Hand." Naja, das sei natürlich "Schmarrn". Aber kürzertreten, das wolle er schon irgendwann. Ein "gutbürgerliches" Eigenheim hat er ja schon.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2020
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