Baldhamerin erhält Bundesverdienstkreuz:"Es war nicht einfach"

Seit 25 Jahren pflegt Ursula von Dahmen ihren gelähmten Sohn - für diese Leistung erhält die Baldhamerin nun das Bundesverdienstkreuz.

Sara Zinnecker

Jeder Tag im Leben von Ursula von Dahmen erzählt ihre Geschichte aufs Neue. Denn jeder Tag erinnert die heute 66 Jahre alte zierliche Frau aus Baldham an das, was ihrem Sohn Wolfgang vor mehr als 25 Jahren zustieß: Auf dem Weg zur Arbeit wurde der damals 19-jährige in einen Verkehrsunfalls verwickelt. Er überlebte, doch sein Gehirn hatte irreparable Schäden erlitten.

Baldhamerin erhält Bundesverdienstkreuz: Ursula von Dahmen erhält das Bundesverdienstkreuz für die jahrelange Pflege ihres Sohnes.

Ursula von Dahmen erhält das Bundesverdienstkreuz für die jahrelange Pflege ihres Sohnes.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wolfgang verlor die Fähigkeit, zu sprechen und sich zu bewegen. Seither pflegt Ursula von Dahmen ihren Sohn - sie tut dies selbstlos und aufopferungsvoll, Tag für Tag. Für diese Lebensleistung wird ihr an diesem Montag in München das Bundesverdienstkreuz verliehen.

In der ersten Zeit habe sie die Frage nach dem "Warum?" nicht losgelassen, sagt Ursula von Dahmen. "Der Unfall hob das Familienleben völlig aus den Fugen. Es war eine schwere Zeit", fügt sie nachdenklich hinzu. Dennoch gab es für sie damals keine Alternative: "Ich wollte Wolfgang nicht in fremde Hände geben", sagt sie. Und so wachte sie die ersten zwei Jahre nahezu pausenlos am Krankenbett, stets in der Hoffnung, einer der Spezialisten könne ihrem Sohn helfen, manche Fähigkeiten wiederzuerlangen.

Doch steckte die Gehirnforschung Mitte der 1980er Jahre noch in den Kinderschuhen. "Wolfgang war für die Ärzte ein Todespatient", sagt Ursula von Dahmen gefasst. In der Klinik habe er noch Stunden nach dem Unfall in einem Bett auf dem Flur gelegen, dabei "geht es da um Minuten", weiß seine Schwester Claudia von Dahmen.

"Bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma wird heute sofort versucht, über ein kleines Loch am Kopf Druck im Gehirn abzubauen. Nur so besteht eine Chance, dass gesunde Gehirnpartien, die Funktionen übernehmen könnten, nicht nachträglich zerstört werden", erklärt sie. Auch Formen der Reha wie ein gezieltes Sprach- und Beweglichkeitstraining hätten sich erst Jahre später etabliert.

Weil sie sich aber nicht damit zufrieden geben, nicht untätig abwarten wollte, suchte Ursula von Dahmen den Kontakt zu anderen Betroffenen. "Das war nicht einfach", sagt sie und fügt nachdenklich hinzu: "Man hat damals über so etwas einfach nicht gesprochen." Schließlich war es diese Erkenntnis, die sie dazu bewog, zusammen mit dem damaligen Landrat Armin Nentwig den Verein Schädel-Hirnpatienten in Not ins Leben zu rufen.

Das Langzeitgedächtnis ist unversehrt

Bis heute sieht der Verein seine Aufgabe darin, aufzuklären und zu informieren. "In Schulungen haben wir Angehörigen gelernt, worauf wir beim Umgang mit dem Patienten achten müssen, wie oft er im Bett gedreht werden muss, wie wir mit ihm sprechen können", zählt Ursula von Dahmen auf.

Dass sie derlei Dinge verinnerlicht hat, verwundert nicht. Denn längst sind die Belange ihres Sohnes Teil ihres Alltags geworden. Insgesamt fünf Jahre lang, schätzt sie, habe sie Wolfgang allein betreut, ihn morgens gewaschen, angezogen, die Nahrungsaufnahme kontrolliert, ihn im Rollstuhl im Garten spazieren geschoben: Dafür hatte sie aufgehört, als Immobilienkauffrau zu arbeiten. Als alles ein wenig besser "eingespielt war", nahm sie für einige Zeit die Hilfe von Zivildienstleistenden in Anspruch.

Heute kümmert sich von 9 bis 18 Uhr ein Pfleger um Wolfgang. Ursula von Dahmen ist wieder berufstätig. Die Arbeit, so sagt sie, habe ihr ein Stück weit die Normalität zurückgegeben. Doch verbringt sie die restliche Zeit bei ihrem Sohn. "Sein Langzeitgedächtnis ist unversehrt", freut sie sich. An Wolfgangs Mimik könne sie erkennen, dass er versteht und sich erinnert. Er genießt es, wenn er Ansprache hat, wenn wir ihm vorlesen oder ein Hörbuch vorspielen, sagt Claudia.

Sie habe, sagt Ursula von Dahmen rückblickend, auf vieles verzichtet. In 25 Jahren sei sie nur zweimal in Urlaub gefahren. Freunde und Bekannte hätten sich abgewandt. Selbst dafür hat sie Verständnis. "Wir konnten ja nie das Haus verlassen." Doch wer immer hinter ihr stand, ihr die Kraft gegeben habe, alles zu stemmen, war ihre Familie, ihr Mann, ihre Tochter, ihre Cousine, einige Nachbarn und ihr Arbeitsumfeld. So musste sie nie die Wertschätzung anderer vermissen.

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