Kaputter Aufzug am Bahnhof Baldham:Krawall und Barrieren

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Hinter diesem Bauzaun am Bahnhof Baldham versteckt sich seit zehn Monaten der Aufzug zum Bahnsteig. (Foto: Christian Endt)

Weil der Aufzug am S-Bahnhof noch immer nicht in Betrieb ist, ruft der Behindertenbeauftragte der Gemeinde zum Protest auf. Vereine und Politiker haben ihre Unterstützung zugesagt.

Von Marie Gundlach

Es ist Zeit für Krawall, findet Jens Möllenhoff. Denn der Frust ist groß: Seit zehn Monaten ist der Aufzug am Bahnhof Baldham außer Betrieb. Für Möllenhoff, Rollstuhlfahrer, bedeutet das: Jede Fahrt, die er von seiner Heimatgemeinde aus antritt, wird zur Odyssee und zu einem größeren Kostenfaktor. Da sei der 20-Euro-Gutschein, den er einmalig von der Bahn als Kompensation erhalten habe, „blanker Hohn“.

Gemeinsam mit Britta Jörgens ist Möllenhoff als Behindertenbeauftragter in der Gemeinde Vaterstetten tätig, der Aufzug beschäftigt ihn auch deshalb seit Monaten. Regelmäßig erkundigt er sich bei der Bahn nach dem aktuellen Stand oder spricht mit Pressevertretern und Betroffenen. In den vergangenen Wochen hat der Frust allerdings eine neue Qualität erreicht. Am 8. Juli, vor mehr als einem Monat also, hätten die Bauarbeiten nun abgeschlossen sein sollen, doch es geschieht: nichts. Immer wieder verschiebt die Bahn die Inbetriebnahme des Aufzugs, ein genaues Datum ist aktuell nicht bekannt.

Eigentlich sollte der Aufzug seit mehr als einem Monat wieder fahren. Jens Möllenhoff, Behindertenbeauftragter der Gemeinde Vaterstetten, will den Zustand nun nicht mehr hinnehmen. (Foto: Christian Endt)

Am Bauzaun vor den Aufzugtüren entlädt sich der Ärger der Bevölkerung – bisher nur in Form von Zetteln und Plakaten. „Barrierefreiheit außer Betrieb“ steht dort, und „Sänk ju for NOT träweling wis Deutsche Bahn“, eine zynische Variante der altbekannten Abschiedsformel aus deutschen Fernverkehrszügen.

Vereine aus der Gemeinde unterstützen den Protest

Um diesem Ärger nun etwas mehr öffentlichkeitswirksamen Raum zu geben, lädt Möllenhof zum „Baldhamer Barrierekrawall“ ein. Am Freitag, 23. August, von 14 bis 16 Uhr, soll das Thema Barrierefreiheit in Baldham in den Mittelpunkt rücken. Treffpunkt für die Kundgebung ist die Unterführung am S-Bahnhof. Möllenhof hat sich viele Mitstreiter ins Boot geholt, etwa den Seniorenbeirat der Gemeinde Vaterstetten, den Verein aktiver Bürger oder den VdK-Ortsverband Vaterstetten.

Auch Parteien aus dem Landkreis sind zur Kundgebung eingeladen, Der Behindertenbeauftragte setzt auf eine möglichst breite Unterstützung: „Dem Aufzug ist egal, wer mit ihm fährt.“ Der Vaterstettener Bürgermeister Leonhard Spitzauer (CSU) habe sein Kommen bereits zugesagt, auch die 2. Bürgermeisterin Maria Wirnitzer (SPD) wird erwartet. Neben Reden aus Politik und Vereinslandschaft sollen auch Beiträge aus der lokalen Kulturszene das Programm bereichern. „Es soll ein energischer, lauter, aber bunter und fröhlicher Protest werden, von allen.“

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Krawall, das klingt nach Chaos, Lärm, Zerstörung. Der Name habe schon zu einigen Irritationen geführt, so der Initiator. In diesem Falle solle er aber ganz gesittet ablaufen, versichert er: „Ich bin der friedlichste Mensch der Welt. Da werden sicher keine Molotowcocktails fliegen und auch keine faulen Eier. Aber nach zehn Monaten muss eben Krawall gemacht werden.“

„Menschen sind nicht behindert, Menschen werden behindert.“

Inspiriert ist der Name vom Randgruppenkrawall, einem jährlich in München stattfindenden Behindertenprotesttag. Dieses Jahr konnte Möllenhoff nicht teilnehmen – der gesperrte Aufzug und Bauarbeiten an der Stammstrecke hatten ihm die Anreise unmöglich gemacht. „Menschen sind nicht behindert, Menschen werden behindert“, betont der 49-Jährige. Es sei wichtig, den Fokus daraufzulegen, diese Barrieren abzubauen. Das betreffe nicht nur Menschen im Rollstuhl, auch ältere Bürgerinnen und Bürger seien auf den Aufzug angewiesen, ebenso Familien mit Kinderwagen, Reisende mit viel Gepäck oder Fahrrädern. „Dieser Aufzug ist für alle eine Entlastung und Bereicherung“, so Möllenhoff. In den vergangenen Monaten habe er immer wieder große Hilfsbereitschaft erfahren, Menschen hätten seinen Rollstuhl Treppen heruntergetragen und ihn unterstützt. „Das ist toll, aber man darf sich darauf nicht verlassen müssen“, betont er. Gerade in Randzeiten sei es ein Glücksspiel, ob am Bahnsteig zufällig gerade jemand vorbeikommt, der helfen will und kann.

Auf Plakaten, die am Bauzaun hängen, haben Fahrgäste ihrem Ärger in ironischer Form Luft gemacht. (Foto: Christian Endt)

Auch an anderen Orten im Gemeindegebiet gebe es noch Verbesserungspotenzial, erzählt der Baldhamer. So sei etwa die Rampe am Rathaus relativ steil und damit für Rollstuhlfahrer eher anstrengend zu erklimmen. Auch von den privaten Gewerbetreibenden, etwa Läden oder Cafés, wünscht sich Möllenhoff eine stärkere Sensibilisierung für barrierearme Gestaltung. Und: „Dass sie auch Leute mit Behinderung bei sich einstellen. Wohnortnahe Beschäftigungsmöglichkeiten sind ganz wichtig.“ Solange das aber nicht der Fall ist, bleibt der Arbeitsweg abhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln, vor allem von der S-Bahn nach München.

Wann der Aufzug wieder läuft, bleibt fraglich

Aktuell künden Plakate am Bauzaun vor dem Aufzug von einem Ende der Sperrung spätestens Mitte September. Ein Sprecher der Bahn äußert sich zuversichtlich, dass der Zeitplan dieses Mal eingehalten werden könne. Man arbeite mit Hochdruck an der Behebung festgestellter Mängel. Sobald der Aufzug in Betrieb sei, könne der Status auch in den digitalen Angeboten der Bahn abgefragt werden, aktuell sei das nicht der Fall, da der Aufzug zuletzt der Gemeinde gehört hatte.

Und selbst wenn der Aufzug in Baldham wieder in Betrieb ist, das Drama geht weiter. Direkt danach soll jener an der Haltestelle Vaterstetten saniert werden. Die Probleme verschieben sich also nur innerhalb der Gemeinde. Für Möllenhoff ist deshalb klar,: Das Thema wird ihn noch eine Weile begleiten. Aber die Hoffnung bleibt, dass vielleicht nicht noch einmal ein Krawall nötig wird.

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